Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Kupferstich und die vervielfältigenden Aünste der Neuzeit.

Vordergrund zu treten, und durch die Thätigkeit von R. Morghen, Longhi und
deren Schülern gelang es ihm, ein so entschiedenes Übergewicht über alle andern
Arten der graphischen Reproduktion zu gewinnen, daß seine Autorität seit der
Wende des Jahrhunderts auf Jahrzehnte hinaus unbestritten und unangetastet blieb.
Dieser Aufschwung des Kupferstichs und seine Begünstigung durch die Kunst¬
liebhaber und das von ihnen beeinflußte Publikum ist freilich nicht allein den
Eigenschaften der Grabsticheltechnik zuzuschreiben. Er fällt auch mit einer
Veränderung im Kunstgeschmack zusammen, der sich bereits zu der Zeit, wo
in der zeitgenössischen Kunst noch der Nokokostil in üppigster Blüte stand,
mit stark ausgeprägter Vorliebe deu malerischen Schöpfungen der Italiener
des 16. Jahrhunderts zugewendet hatte. Die Geschichte unsrer öffentlichen
Gemäldegalerien legt Zeugnis dafür ab, daß noch bis in die vierziger Jahre
unsers Jahrhunderts hinein anfangs die Fürsten, später die Sammlungs¬
vorstände ihr Hauptaugenmerk auf die Italiener richteten, und aus dieser vor¬
herrschenden Neigung einer langen Periode des Kunstgeschmacks erklärt es sich,
daß eine Reproduktionsart, die, wie der Linienstich, den damals am höchsten
geschätzten Leistungen der Malerei mit entsprechenden Mitteln der Darstellung
völlig gerecht werden konnte, von der allgemeinen Gunst getragen wurde. Er
durfte sich sogar herausnehmen, in der Absicht, nur die nackte Form oder gar
nur die Zeichnung wiederzugeben, seine Darstellungsmittel auf das nüchternste
und dürftigste Maß zu beschränken, und so entstanden, unterstützt durch die
Kartonmalerei der ueuklassischen deutschen Schule, jene sonderbaren Abarten
des Karton- und Umrißstiches, welche geraume Zeit ihr Unwesen, namentlich
in illustrirten Werken, getrieben haben.

Aber das malerische Ideal einer Periode ist ebensosehr den Launen der
Mode oder dem Wechsel unterworfen, wie alle Richtungen und Strömungen
des Menschengeistes. Seit dem durch die Belgier herbeigeführten Umschwung
der neuern Malerei, der im Anschluß an die nationalen Großmeister des 17. Jahr¬
hunderts das Element der Farbe, die koloristische Wirkung wieder in den Vorder¬
grund der künstlerischen Bestrebungen drängte, hat sich auch das Gefühl der
Kunstfreunde für das rein Malerische in der Kunst mehr entwickelt. Über
Rubens und van Dyck hinaus gelangten Liebhaber, Kenner, Bildertaufer und
Bilderverkäufer sehr bald zu jenen Meistern, deren Schöpfungen auf kleinsten
Raume die verhältnismäßig größten koloristischen Reize entfalten, zu der Bild¬
nis-, Genre-, Landschafts- und Stilllebenmalerei des vlämischen und holländi¬
schen Niederlands. Wir müßten eine Geschichte des modernen Kunstgeschmacks
schreiben, wenn wir im einzelnen schildern wollten, wie sich die Neigung der
reichen Sammler für Gemälde der niederländischen Schule seit dem Anfange
der fünfziger Jahre bis auf die Gegenwart allmählich bis zum Fanatismus
gesteigert hat, bis zu der im Hinblick auf die übliche Rangordnung der Künstler
ungeheuerlichen Thatsache, daß auf einer berühmten Versteigerung eine Bauern-


Der Kupferstich und die vervielfältigenden Aünste der Neuzeit.

Vordergrund zu treten, und durch die Thätigkeit von R. Morghen, Longhi und
deren Schülern gelang es ihm, ein so entschiedenes Übergewicht über alle andern
Arten der graphischen Reproduktion zu gewinnen, daß seine Autorität seit der
Wende des Jahrhunderts auf Jahrzehnte hinaus unbestritten und unangetastet blieb.
Dieser Aufschwung des Kupferstichs und seine Begünstigung durch die Kunst¬
liebhaber und das von ihnen beeinflußte Publikum ist freilich nicht allein den
Eigenschaften der Grabsticheltechnik zuzuschreiben. Er fällt auch mit einer
Veränderung im Kunstgeschmack zusammen, der sich bereits zu der Zeit, wo
in der zeitgenössischen Kunst noch der Nokokostil in üppigster Blüte stand,
mit stark ausgeprägter Vorliebe deu malerischen Schöpfungen der Italiener
des 16. Jahrhunderts zugewendet hatte. Die Geschichte unsrer öffentlichen
Gemäldegalerien legt Zeugnis dafür ab, daß noch bis in die vierziger Jahre
unsers Jahrhunderts hinein anfangs die Fürsten, später die Sammlungs¬
vorstände ihr Hauptaugenmerk auf die Italiener richteten, und aus dieser vor¬
herrschenden Neigung einer langen Periode des Kunstgeschmacks erklärt es sich,
daß eine Reproduktionsart, die, wie der Linienstich, den damals am höchsten
geschätzten Leistungen der Malerei mit entsprechenden Mitteln der Darstellung
völlig gerecht werden konnte, von der allgemeinen Gunst getragen wurde. Er
durfte sich sogar herausnehmen, in der Absicht, nur die nackte Form oder gar
nur die Zeichnung wiederzugeben, seine Darstellungsmittel auf das nüchternste
und dürftigste Maß zu beschränken, und so entstanden, unterstützt durch die
Kartonmalerei der ueuklassischen deutschen Schule, jene sonderbaren Abarten
des Karton- und Umrißstiches, welche geraume Zeit ihr Unwesen, namentlich
in illustrirten Werken, getrieben haben.

Aber das malerische Ideal einer Periode ist ebensosehr den Launen der
Mode oder dem Wechsel unterworfen, wie alle Richtungen und Strömungen
des Menschengeistes. Seit dem durch die Belgier herbeigeführten Umschwung
der neuern Malerei, der im Anschluß an die nationalen Großmeister des 17. Jahr¬
hunderts das Element der Farbe, die koloristische Wirkung wieder in den Vorder¬
grund der künstlerischen Bestrebungen drängte, hat sich auch das Gefühl der
Kunstfreunde für das rein Malerische in der Kunst mehr entwickelt. Über
Rubens und van Dyck hinaus gelangten Liebhaber, Kenner, Bildertaufer und
Bilderverkäufer sehr bald zu jenen Meistern, deren Schöpfungen auf kleinsten
Raume die verhältnismäßig größten koloristischen Reize entfalten, zu der Bild¬
nis-, Genre-, Landschafts- und Stilllebenmalerei des vlämischen und holländi¬
schen Niederlands. Wir müßten eine Geschichte des modernen Kunstgeschmacks
schreiben, wenn wir im einzelnen schildern wollten, wie sich die Neigung der
reichen Sammler für Gemälde der niederländischen Schule seit dem Anfange
der fünfziger Jahre bis auf die Gegenwart allmählich bis zum Fanatismus
gesteigert hat, bis zu der im Hinblick auf die übliche Rangordnung der Künstler
ungeheuerlichen Thatsache, daß auf einer berühmten Versteigerung eine Bauern-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0431" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203866"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Kupferstich und die vervielfältigenden Aünste der Neuzeit.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1099" prev="#ID_1098"> Vordergrund zu treten, und durch die Thätigkeit von R. Morghen, Longhi und<lb/>
deren Schülern gelang es ihm, ein so entschiedenes Übergewicht über alle andern<lb/>
Arten der graphischen Reproduktion zu gewinnen, daß seine Autorität seit der<lb/>
Wende des Jahrhunderts auf Jahrzehnte hinaus unbestritten und unangetastet blieb.<lb/>
Dieser Aufschwung des Kupferstichs und seine Begünstigung durch die Kunst¬<lb/>
liebhaber und das von ihnen beeinflußte Publikum ist freilich nicht allein den<lb/>
Eigenschaften der Grabsticheltechnik zuzuschreiben. Er fällt auch mit einer<lb/>
Veränderung im Kunstgeschmack zusammen, der sich bereits zu der Zeit, wo<lb/>
in der zeitgenössischen Kunst noch der Nokokostil in üppigster Blüte stand,<lb/>
mit stark ausgeprägter Vorliebe deu malerischen Schöpfungen der Italiener<lb/>
des 16. Jahrhunderts zugewendet hatte. Die Geschichte unsrer öffentlichen<lb/>
Gemäldegalerien legt Zeugnis dafür ab, daß noch bis in die vierziger Jahre<lb/>
unsers Jahrhunderts hinein anfangs die Fürsten, später die Sammlungs¬<lb/>
vorstände ihr Hauptaugenmerk auf die Italiener richteten, und aus dieser vor¬<lb/>
herrschenden Neigung einer langen Periode des Kunstgeschmacks erklärt es sich,<lb/>
daß eine Reproduktionsart, die, wie der Linienstich, den damals am höchsten<lb/>
geschätzten Leistungen der Malerei mit entsprechenden Mitteln der Darstellung<lb/>
völlig gerecht werden konnte, von der allgemeinen Gunst getragen wurde. Er<lb/>
durfte sich sogar herausnehmen, in der Absicht, nur die nackte Form oder gar<lb/>
nur die Zeichnung wiederzugeben, seine Darstellungsmittel auf das nüchternste<lb/>
und dürftigste Maß zu beschränken, und so entstanden, unterstützt durch die<lb/>
Kartonmalerei der ueuklassischen deutschen Schule, jene sonderbaren Abarten<lb/>
des Karton- und Umrißstiches, welche geraume Zeit ihr Unwesen, namentlich<lb/>
in illustrirten Werken, getrieben haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1100" next="#ID_1101"> Aber das malerische Ideal einer Periode ist ebensosehr den Launen der<lb/>
Mode oder dem Wechsel unterworfen, wie alle Richtungen und Strömungen<lb/>
des Menschengeistes. Seit dem durch die Belgier herbeigeführten Umschwung<lb/>
der neuern Malerei, der im Anschluß an die nationalen Großmeister des 17. Jahr¬<lb/>
hunderts das Element der Farbe, die koloristische Wirkung wieder in den Vorder¬<lb/>
grund der künstlerischen Bestrebungen drängte, hat sich auch das Gefühl der<lb/>
Kunstfreunde für das rein Malerische in der Kunst mehr entwickelt. Über<lb/>
Rubens und van Dyck hinaus gelangten Liebhaber, Kenner, Bildertaufer und<lb/>
Bilderverkäufer sehr bald zu jenen Meistern, deren Schöpfungen auf kleinsten<lb/>
Raume die verhältnismäßig größten koloristischen Reize entfalten, zu der Bild¬<lb/>
nis-, Genre-, Landschafts- und Stilllebenmalerei des vlämischen und holländi¬<lb/>
schen Niederlands. Wir müßten eine Geschichte des modernen Kunstgeschmacks<lb/>
schreiben, wenn wir im einzelnen schildern wollten, wie sich die Neigung der<lb/>
reichen Sammler für Gemälde der niederländischen Schule seit dem Anfange<lb/>
der fünfziger Jahre bis auf die Gegenwart allmählich bis zum Fanatismus<lb/>
gesteigert hat, bis zu der im Hinblick auf die übliche Rangordnung der Künstler<lb/>
ungeheuerlichen Thatsache, daß auf einer berühmten Versteigerung eine Bauern-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0431] Der Kupferstich und die vervielfältigenden Aünste der Neuzeit. Vordergrund zu treten, und durch die Thätigkeit von R. Morghen, Longhi und deren Schülern gelang es ihm, ein so entschiedenes Übergewicht über alle andern Arten der graphischen Reproduktion zu gewinnen, daß seine Autorität seit der Wende des Jahrhunderts auf Jahrzehnte hinaus unbestritten und unangetastet blieb. Dieser Aufschwung des Kupferstichs und seine Begünstigung durch die Kunst¬ liebhaber und das von ihnen beeinflußte Publikum ist freilich nicht allein den Eigenschaften der Grabsticheltechnik zuzuschreiben. Er fällt auch mit einer Veränderung im Kunstgeschmack zusammen, der sich bereits zu der Zeit, wo in der zeitgenössischen Kunst noch der Nokokostil in üppigster Blüte stand, mit stark ausgeprägter Vorliebe deu malerischen Schöpfungen der Italiener des 16. Jahrhunderts zugewendet hatte. Die Geschichte unsrer öffentlichen Gemäldegalerien legt Zeugnis dafür ab, daß noch bis in die vierziger Jahre unsers Jahrhunderts hinein anfangs die Fürsten, später die Sammlungs¬ vorstände ihr Hauptaugenmerk auf die Italiener richteten, und aus dieser vor¬ herrschenden Neigung einer langen Periode des Kunstgeschmacks erklärt es sich, daß eine Reproduktionsart, die, wie der Linienstich, den damals am höchsten geschätzten Leistungen der Malerei mit entsprechenden Mitteln der Darstellung völlig gerecht werden konnte, von der allgemeinen Gunst getragen wurde. Er durfte sich sogar herausnehmen, in der Absicht, nur die nackte Form oder gar nur die Zeichnung wiederzugeben, seine Darstellungsmittel auf das nüchternste und dürftigste Maß zu beschränken, und so entstanden, unterstützt durch die Kartonmalerei der ueuklassischen deutschen Schule, jene sonderbaren Abarten des Karton- und Umrißstiches, welche geraume Zeit ihr Unwesen, namentlich in illustrirten Werken, getrieben haben. Aber das malerische Ideal einer Periode ist ebensosehr den Launen der Mode oder dem Wechsel unterworfen, wie alle Richtungen und Strömungen des Menschengeistes. Seit dem durch die Belgier herbeigeführten Umschwung der neuern Malerei, der im Anschluß an die nationalen Großmeister des 17. Jahr¬ hunderts das Element der Farbe, die koloristische Wirkung wieder in den Vorder¬ grund der künstlerischen Bestrebungen drängte, hat sich auch das Gefühl der Kunstfreunde für das rein Malerische in der Kunst mehr entwickelt. Über Rubens und van Dyck hinaus gelangten Liebhaber, Kenner, Bildertaufer und Bilderverkäufer sehr bald zu jenen Meistern, deren Schöpfungen auf kleinsten Raume die verhältnismäßig größten koloristischen Reize entfalten, zu der Bild¬ nis-, Genre-, Landschafts- und Stilllebenmalerei des vlämischen und holländi¬ schen Niederlands. Wir müßten eine Geschichte des modernen Kunstgeschmacks schreiben, wenn wir im einzelnen schildern wollten, wie sich die Neigung der reichen Sammler für Gemälde der niederländischen Schule seit dem Anfange der fünfziger Jahre bis auf die Gegenwart allmählich bis zum Fanatismus gesteigert hat, bis zu der im Hinblick auf die übliche Rangordnung der Künstler ungeheuerlichen Thatsache, daß auf einer berühmten Versteigerung eine Bauern-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/431
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/431>, abgerufen am 04.07.2024.