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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Ver Kupferstich und die vcrmelfältigeudeu Mühle der Äenzeit.

die Abneigung feinfühlender Kunstfreunde gegen den trocknen Linienstich zu
verstärken.

Zeigte sich also der Kupferstich mit denjenigen Mitteln, auf die er sich
uuter dem Einflüsse der Italiener zurückgezogen hatte, einer entsprechenden
Wiedergabe der spezifisch malerischen Schöpfungen der Niederländer und der
nach gleichen Wirkungen strebenden Venezianer nicht gewachsen, so erstand in
der Nadirung plötzlich ein Ausdrucksmittel, das alleu Anforderungen in über¬
raschendem Maße entgegen kam. Es war freilich nicht mehr die Malerradirung
des 17. Jahrhunderts, die den Künstlern ein bequemer und leichter Behelf war,
Einfälle des Augenblicks auf der Kupferplatte festzuhalten oder in der Ent¬
faltung der feinsten Reize des Helldunkels durch einfache Nadelrisse in dem
bloßen Gegensatz von Schwarz und Weiß zu schwelgen. Die Nadirung trat
jetzt mit dem vollen Gewicht einer reprodnzircuden Kunst als ernsthafte Neben¬
buhlerin des Kupferstichs auf. Der Gedanke der alten Galeriewerke, die fast
zwei Jahrhunderte lang das Herrschafts- und Nahrnngsgebiet der Kupferstecher
gewesen waren, wurde wieder aufgenommen, und mit großer Schnelligkeit ent¬
standen jene langen Reihen von Radirungen nach Gemälden der Braunschweiger,
Kasseler und Wiener Galerien, nach Frans Hals, Rembrandt und andern
Niederländern, die zumeist William Unger verdankt werden, der als Begründer
oder doch als der erfolgreichste und thätigste Vertreter dieser neuen Richtung
der Nadirung anzusehen ist. Jetzt war endlich eine Art künstlerischer Repro¬
duktion gefunden, welche das höchste Maß von malerischer Wirkung mit ver¬
hältnismäßig großer Schnelligkeit der Arbeit und dadurch erreichter Wohlfeilheit
verband, und es war daher natürlich, daß sich Verleger und Unternehmer mit
großem Eifer auf die Pflege der Nadiruug warfen. Sie fanden überall ein
bereitwilliges Entgegenkommen zahlreicher Kräfte. Denn die Führung der
Radirnadel fordert eine viel geringere künstlerische Disziplin und Entsagung,
als die Handhabung des Grabstichels. Wie Pilze schössen in allen größern
Kunststädten berufsmäßige Radirer aus der Erde, die sich ausschließlich in den
Dienst der Galeriedirektorcn und Verleger zur Wiedergabe alter und neuer
Bilder stellten, und die Nadirnng wurde sogar auf den Akademien zünftig, auf
denen sich die Lehrer des Kupferstichs, wenn sie nicht zum alten Eisen geworfen
werden wollten, bequemen mußten, Unterweisung in dieser bis dahin über die
Achsel angesehenen, halb dilettantenhaften Technik zu erteilen.

Die weitere Entwicklung der Radirnng in der neuesten Zeit gewährt ein
Schauspiel, das einem Wettrennen nicht unähnlich ist. Nach den großen Er¬
folgen, welche die Nadirer mit ihren Blättern nach niederländischen Meistern
errangen, Erfolgen, die zum guten Teil auch in den Stoffen, nicht blos in
der Technik begründet lagen, besannen sich die deutschen Maler darauf, daß
die Führung der Nadirnadel einst auch zu den Privilegien ihrer Zunft gehört
hatte. Die französischen Maler, insbesondre die Realisten der neuerm Land-


Greuzbotm IV. 1388. 54
Ver Kupferstich und die vcrmelfältigeudeu Mühle der Äenzeit.

die Abneigung feinfühlender Kunstfreunde gegen den trocknen Linienstich zu
verstärken.

Zeigte sich also der Kupferstich mit denjenigen Mitteln, auf die er sich
uuter dem Einflüsse der Italiener zurückgezogen hatte, einer entsprechenden
Wiedergabe der spezifisch malerischen Schöpfungen der Niederländer und der
nach gleichen Wirkungen strebenden Venezianer nicht gewachsen, so erstand in
der Nadirung plötzlich ein Ausdrucksmittel, das alleu Anforderungen in über¬
raschendem Maße entgegen kam. Es war freilich nicht mehr die Malerradirung
des 17. Jahrhunderts, die den Künstlern ein bequemer und leichter Behelf war,
Einfälle des Augenblicks auf der Kupferplatte festzuhalten oder in der Ent¬
faltung der feinsten Reize des Helldunkels durch einfache Nadelrisse in dem
bloßen Gegensatz von Schwarz und Weiß zu schwelgen. Die Nadirung trat
jetzt mit dem vollen Gewicht einer reprodnzircuden Kunst als ernsthafte Neben¬
buhlerin des Kupferstichs auf. Der Gedanke der alten Galeriewerke, die fast
zwei Jahrhunderte lang das Herrschafts- und Nahrnngsgebiet der Kupferstecher
gewesen waren, wurde wieder aufgenommen, und mit großer Schnelligkeit ent¬
standen jene langen Reihen von Radirungen nach Gemälden der Braunschweiger,
Kasseler und Wiener Galerien, nach Frans Hals, Rembrandt und andern
Niederländern, die zumeist William Unger verdankt werden, der als Begründer
oder doch als der erfolgreichste und thätigste Vertreter dieser neuen Richtung
der Nadirung anzusehen ist. Jetzt war endlich eine Art künstlerischer Repro¬
duktion gefunden, welche das höchste Maß von malerischer Wirkung mit ver¬
hältnismäßig großer Schnelligkeit der Arbeit und dadurch erreichter Wohlfeilheit
verband, und es war daher natürlich, daß sich Verleger und Unternehmer mit
großem Eifer auf die Pflege der Nadiruug warfen. Sie fanden überall ein
bereitwilliges Entgegenkommen zahlreicher Kräfte. Denn die Führung der
Radirnadel fordert eine viel geringere künstlerische Disziplin und Entsagung,
als die Handhabung des Grabstichels. Wie Pilze schössen in allen größern
Kunststädten berufsmäßige Radirer aus der Erde, die sich ausschließlich in den
Dienst der Galeriedirektorcn und Verleger zur Wiedergabe alter und neuer
Bilder stellten, und die Nadirnng wurde sogar auf den Akademien zünftig, auf
denen sich die Lehrer des Kupferstichs, wenn sie nicht zum alten Eisen geworfen
werden wollten, bequemen mußten, Unterweisung in dieser bis dahin über die
Achsel angesehenen, halb dilettantenhaften Technik zu erteilen.

Die weitere Entwicklung der Radirnng in der neuesten Zeit gewährt ein
Schauspiel, das einem Wettrennen nicht unähnlich ist. Nach den großen Er¬
folgen, welche die Nadirer mit ihren Blättern nach niederländischen Meistern
errangen, Erfolgen, die zum guten Teil auch in den Stoffen, nicht blos in
der Technik begründet lagen, besannen sich die deutschen Maler darauf, daß
die Führung der Nadirnadel einst auch zu den Privilegien ihrer Zunft gehört
hatte. Die französischen Maler, insbesondre die Realisten der neuerm Land-


Greuzbotm IV. 1388. 54
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[0433] Ver Kupferstich und die vcrmelfältigeudeu Mühle der Äenzeit. die Abneigung feinfühlender Kunstfreunde gegen den trocknen Linienstich zu verstärken. Zeigte sich also der Kupferstich mit denjenigen Mitteln, auf die er sich uuter dem Einflüsse der Italiener zurückgezogen hatte, einer entsprechenden Wiedergabe der spezifisch malerischen Schöpfungen der Niederländer und der nach gleichen Wirkungen strebenden Venezianer nicht gewachsen, so erstand in der Nadirung plötzlich ein Ausdrucksmittel, das alleu Anforderungen in über¬ raschendem Maße entgegen kam. Es war freilich nicht mehr die Malerradirung des 17. Jahrhunderts, die den Künstlern ein bequemer und leichter Behelf war, Einfälle des Augenblicks auf der Kupferplatte festzuhalten oder in der Ent¬ faltung der feinsten Reize des Helldunkels durch einfache Nadelrisse in dem bloßen Gegensatz von Schwarz und Weiß zu schwelgen. Die Nadirung trat jetzt mit dem vollen Gewicht einer reprodnzircuden Kunst als ernsthafte Neben¬ buhlerin des Kupferstichs auf. Der Gedanke der alten Galeriewerke, die fast zwei Jahrhunderte lang das Herrschafts- und Nahrnngsgebiet der Kupferstecher gewesen waren, wurde wieder aufgenommen, und mit großer Schnelligkeit ent¬ standen jene langen Reihen von Radirungen nach Gemälden der Braunschweiger, Kasseler und Wiener Galerien, nach Frans Hals, Rembrandt und andern Niederländern, die zumeist William Unger verdankt werden, der als Begründer oder doch als der erfolgreichste und thätigste Vertreter dieser neuen Richtung der Nadirung anzusehen ist. Jetzt war endlich eine Art künstlerischer Repro¬ duktion gefunden, welche das höchste Maß von malerischer Wirkung mit ver¬ hältnismäßig großer Schnelligkeit der Arbeit und dadurch erreichter Wohlfeilheit verband, und es war daher natürlich, daß sich Verleger und Unternehmer mit großem Eifer auf die Pflege der Nadiruug warfen. Sie fanden überall ein bereitwilliges Entgegenkommen zahlreicher Kräfte. Denn die Führung der Radirnadel fordert eine viel geringere künstlerische Disziplin und Entsagung, als die Handhabung des Grabstichels. Wie Pilze schössen in allen größern Kunststädten berufsmäßige Radirer aus der Erde, die sich ausschließlich in den Dienst der Galeriedirektorcn und Verleger zur Wiedergabe alter und neuer Bilder stellten, und die Nadirnng wurde sogar auf den Akademien zünftig, auf denen sich die Lehrer des Kupferstichs, wenn sie nicht zum alten Eisen geworfen werden wollten, bequemen mußten, Unterweisung in dieser bis dahin über die Achsel angesehenen, halb dilettantenhaften Technik zu erteilen. Die weitere Entwicklung der Radirnng in der neuesten Zeit gewährt ein Schauspiel, das einem Wettrennen nicht unähnlich ist. Nach den großen Er¬ folgen, welche die Nadirer mit ihren Blättern nach niederländischen Meistern errangen, Erfolgen, die zum guten Teil auch in den Stoffen, nicht blos in der Technik begründet lagen, besannen sich die deutschen Maler darauf, daß die Führung der Nadirnadel einst auch zu den Privilegien ihrer Zunft gehört hatte. Die französischen Maler, insbesondre die Realisten der neuerm Land- Greuzbotm IV. 1388. 54

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/433>, abgerufen am 22.07.2024.