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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Kupferstich und die vervielfältigenden Künste der Neuzeit.

Die materielle Lage des Kupferstichs scheint von jeher insofern ungünstig
gewesen zu sein, als das auf die Bearbeitung einer Kupferplatte mit dem Grab¬
stichel verwendete Zeitmaß nicht im richtigen Verhältnis zu dem aus dem Ver¬
kaufe der Abdrücke erzielten Gewinne stand. Zu dieser Überzeugung muß schon
Dürer gelangt sein. Denn aus rein künstlerischen Gründen allein, etwa um
eine freiere, kräftigere und farbigere Wirkung herbeizuführen oder eine plötz¬
liche Eingebung der Phantasie schneller festzuhalten, lassen sich seine etwa seit
1510 gemachten Versuche, die eine schnellere Vollendung des graphischen Bildes
bezweckten, nicht erklären. Seit dem genannten Jahre versuchte Dürer nämlich
die Zeichnung statt mit dem Stichel mit der sogenannten kalten oder trock¬
nen Nadel auf der Kupferplatte einzuritzen, und Thausing hat es in seiner
Biographie des Meisters wahrscheinlich gemacht, daß er sich auch bereits einer
Säure bedient habe, um die Nisse der Nadel zu vertiefen, daß die Süure aber
nicht stark genug gewesen sei, eine dauerhafte Zeichnung herzustellen, die eine
die Mühe lohnende Anzahl von Abzügen erlaubte. Es ist auch umgekehrt
möglich, daß die Säure die Kupferplatte zu stark angriff, und die Linien der
Zeichnung infolge dessen zu grob ausfielen- Denn Dürer versuchte später mit
der Nadel auf Eisenplatten zu radiren, die nachweislich geätzt wurden, ohne
daß das Ergebnis ein viel erfreulicheres war. Aus diesen mißglückter Ver¬
suchen hatte Dürer jedoch einsehen lernen, daß die Nadel gleichwohl ihren guten
Dienst leisten könne, und er verband sie deshalb mit der Arbeit des Grab¬
stichels, den er freilich die Hauptrolle spielen ließ. Dürer wird daher mit
Recht als Vater der Radirung angesehen, obwohl er von dieser Technik noch
keinen ausgedehnten Gebrauch gemacht hat. Nach seinem Vorgange handhabten
noch andre deutsche und niederländische Stecher des 16. Jahrhunderts die
Radirnadel neben dem Grabstichel; aber sie vermochten diesem vereinigten Ver¬
fahren nicht alle Vorteile zu entlocken, die darin verborgen liegen, und über¬
dies führte die zur höchsten Blüte gesteigerte Entwicklung, welche die Radirung
durch die Niederländer, insbesondere durch Rembrandt, im 17. Jahrhundert er¬
lebte, eine entschiedn" Trennung der Nadel- von der Grabstichelarbeit herbei-
Wenn auch keine ausdrücklichen Zeugnisse dafür vorliegen, so ist doch wohl
anzunehmen, daß schon damals zwischen den berufsmäßigen Kupferstechern und
den Maler-Radirern, die ihre eignen Gedanken und Erfindungen in Kupfer
ätzten, ein Gegensatz bestand. Aber dieser Gegensatz war deshalb noch nicht so
scharf ausgeprägt wie heute, weil die Kupferstecher sich sehr selten an so große
Aufgaben wagten, wie sie im 19. Jahrhundert ganz allgemein geworden sind,
und daher mit der Produktion der leichter und schneller arbeitenden Radirer
annähernd gleichen Schritt halten konnten.

Nachdem die Radirung noch während des 13. Jahrhunderts ihre Herrschaft be¬
hauptet hatte, begann etwa seit der Mitte des Jahrhunderts der Kupferstich, und
zwar in der reinen und strengen Form der Linieumanier, zunächst in Italien, in den


Der Kupferstich und die vervielfältigenden Künste der Neuzeit.

Die materielle Lage des Kupferstichs scheint von jeher insofern ungünstig
gewesen zu sein, als das auf die Bearbeitung einer Kupferplatte mit dem Grab¬
stichel verwendete Zeitmaß nicht im richtigen Verhältnis zu dem aus dem Ver¬
kaufe der Abdrücke erzielten Gewinne stand. Zu dieser Überzeugung muß schon
Dürer gelangt sein. Denn aus rein künstlerischen Gründen allein, etwa um
eine freiere, kräftigere und farbigere Wirkung herbeizuführen oder eine plötz¬
liche Eingebung der Phantasie schneller festzuhalten, lassen sich seine etwa seit
1510 gemachten Versuche, die eine schnellere Vollendung des graphischen Bildes
bezweckten, nicht erklären. Seit dem genannten Jahre versuchte Dürer nämlich
die Zeichnung statt mit dem Stichel mit der sogenannten kalten oder trock¬
nen Nadel auf der Kupferplatte einzuritzen, und Thausing hat es in seiner
Biographie des Meisters wahrscheinlich gemacht, daß er sich auch bereits einer
Säure bedient habe, um die Nisse der Nadel zu vertiefen, daß die Süure aber
nicht stark genug gewesen sei, eine dauerhafte Zeichnung herzustellen, die eine
die Mühe lohnende Anzahl von Abzügen erlaubte. Es ist auch umgekehrt
möglich, daß die Säure die Kupferplatte zu stark angriff, und die Linien der
Zeichnung infolge dessen zu grob ausfielen- Denn Dürer versuchte später mit
der Nadel auf Eisenplatten zu radiren, die nachweislich geätzt wurden, ohne
daß das Ergebnis ein viel erfreulicheres war. Aus diesen mißglückter Ver¬
suchen hatte Dürer jedoch einsehen lernen, daß die Nadel gleichwohl ihren guten
Dienst leisten könne, und er verband sie deshalb mit der Arbeit des Grab¬
stichels, den er freilich die Hauptrolle spielen ließ. Dürer wird daher mit
Recht als Vater der Radirung angesehen, obwohl er von dieser Technik noch
keinen ausgedehnten Gebrauch gemacht hat. Nach seinem Vorgange handhabten
noch andre deutsche und niederländische Stecher des 16. Jahrhunderts die
Radirnadel neben dem Grabstichel; aber sie vermochten diesem vereinigten Ver¬
fahren nicht alle Vorteile zu entlocken, die darin verborgen liegen, und über¬
dies führte die zur höchsten Blüte gesteigerte Entwicklung, welche die Radirung
durch die Niederländer, insbesondere durch Rembrandt, im 17. Jahrhundert er¬
lebte, eine entschiedn« Trennung der Nadel- von der Grabstichelarbeit herbei-
Wenn auch keine ausdrücklichen Zeugnisse dafür vorliegen, so ist doch wohl
anzunehmen, daß schon damals zwischen den berufsmäßigen Kupferstechern und
den Maler-Radirern, die ihre eignen Gedanken und Erfindungen in Kupfer
ätzten, ein Gegensatz bestand. Aber dieser Gegensatz war deshalb noch nicht so
scharf ausgeprägt wie heute, weil die Kupferstecher sich sehr selten an so große
Aufgaben wagten, wie sie im 19. Jahrhundert ganz allgemein geworden sind,
und daher mit der Produktion der leichter und schneller arbeitenden Radirer
annähernd gleichen Schritt halten konnten.

Nachdem die Radirung noch während des 13. Jahrhunderts ihre Herrschaft be¬
hauptet hatte, begann etwa seit der Mitte des Jahrhunderts der Kupferstich, und
zwar in der reinen und strengen Form der Linieumanier, zunächst in Italien, in den


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[0430] Der Kupferstich und die vervielfältigenden Künste der Neuzeit. Die materielle Lage des Kupferstichs scheint von jeher insofern ungünstig gewesen zu sein, als das auf die Bearbeitung einer Kupferplatte mit dem Grab¬ stichel verwendete Zeitmaß nicht im richtigen Verhältnis zu dem aus dem Ver¬ kaufe der Abdrücke erzielten Gewinne stand. Zu dieser Überzeugung muß schon Dürer gelangt sein. Denn aus rein künstlerischen Gründen allein, etwa um eine freiere, kräftigere und farbigere Wirkung herbeizuführen oder eine plötz¬ liche Eingebung der Phantasie schneller festzuhalten, lassen sich seine etwa seit 1510 gemachten Versuche, die eine schnellere Vollendung des graphischen Bildes bezweckten, nicht erklären. Seit dem genannten Jahre versuchte Dürer nämlich die Zeichnung statt mit dem Stichel mit der sogenannten kalten oder trock¬ nen Nadel auf der Kupferplatte einzuritzen, und Thausing hat es in seiner Biographie des Meisters wahrscheinlich gemacht, daß er sich auch bereits einer Säure bedient habe, um die Nisse der Nadel zu vertiefen, daß die Süure aber nicht stark genug gewesen sei, eine dauerhafte Zeichnung herzustellen, die eine die Mühe lohnende Anzahl von Abzügen erlaubte. Es ist auch umgekehrt möglich, daß die Säure die Kupferplatte zu stark angriff, und die Linien der Zeichnung infolge dessen zu grob ausfielen- Denn Dürer versuchte später mit der Nadel auf Eisenplatten zu radiren, die nachweislich geätzt wurden, ohne daß das Ergebnis ein viel erfreulicheres war. Aus diesen mißglückter Ver¬ suchen hatte Dürer jedoch einsehen lernen, daß die Nadel gleichwohl ihren guten Dienst leisten könne, und er verband sie deshalb mit der Arbeit des Grab¬ stichels, den er freilich die Hauptrolle spielen ließ. Dürer wird daher mit Recht als Vater der Radirung angesehen, obwohl er von dieser Technik noch keinen ausgedehnten Gebrauch gemacht hat. Nach seinem Vorgange handhabten noch andre deutsche und niederländische Stecher des 16. Jahrhunderts die Radirnadel neben dem Grabstichel; aber sie vermochten diesem vereinigten Ver¬ fahren nicht alle Vorteile zu entlocken, die darin verborgen liegen, und über¬ dies führte die zur höchsten Blüte gesteigerte Entwicklung, welche die Radirung durch die Niederländer, insbesondere durch Rembrandt, im 17. Jahrhundert er¬ lebte, eine entschiedn« Trennung der Nadel- von der Grabstichelarbeit herbei- Wenn auch keine ausdrücklichen Zeugnisse dafür vorliegen, so ist doch wohl anzunehmen, daß schon damals zwischen den berufsmäßigen Kupferstechern und den Maler-Radirern, die ihre eignen Gedanken und Erfindungen in Kupfer ätzten, ein Gegensatz bestand. Aber dieser Gegensatz war deshalb noch nicht so scharf ausgeprägt wie heute, weil die Kupferstecher sich sehr selten an so große Aufgaben wagten, wie sie im 19. Jahrhundert ganz allgemein geworden sind, und daher mit der Produktion der leichter und schneller arbeitenden Radirer annähernd gleichen Schritt halten konnten. Nachdem die Radirung noch während des 13. Jahrhunderts ihre Herrschaft be¬ hauptet hatte, begann etwa seit der Mitte des Jahrhunderts der Kupferstich, und zwar in der reinen und strengen Form der Linieumanier, zunächst in Italien, in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/430>, abgerufen am 02.07.2024.