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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Kupferstich und die vervielfältigenden Künste der Neuzeit.

mit der Entrüstung nicht gedient. Sie müssen Aufträge haben, um zu leben,
und dieser Notwendigkeit steht die Thatsache gegenüber, daß Kunsthändler, Ge¬
sellschaften und Vereinigungen, die sich die Pflege des Kupferstichs angelegen
sein lassen, in der Erteilung von größern Aufträgen immer zurückhaltender
werden, weil sie die Erfahrung gemacht haben, daß sich die Gunst des Publikums,
der großen Masse der Käufer, mit denen der Kunsthandel rechnen muß, andern
Sternen zugewendet hat. Diese Beobachtungen und geschäftlichen Erfahrungen
sind nicht allein in Deutschland, sondern ebenso gut in Frankreich und in
Belgien gemacht worden, und die belgische Akademie der Wissenschaften hat sich
sogar veranlaßt gesehen, für das Jahr 1889 die Aufgabe einer Preisarbeit zu
stellen, worin die Ursachen des Verfalls der Kupferstecherkunst entwickelt und
die besten Mittel angegeben werden sollen, "mit denen diesem Kunstzweig zu
seinem alten Glänze verholfen werden kann." Mit der Angabe solcher gründlich
heilsamen Mittel, die dem kranken Manne wieder auf die Beine helfen können,
wird es nur seine Schwierigkeiten haben. Leichter ist es, die Ursachen oder
wenigstens die meisten derselben zu ermitteln, welche die Kupferstecherkunst in
Bedrängnis gebracht haben, ohne daß ein Verschulden durch Rückgang der
Technik oder innere Gründe nachweisbar wäre.

Kunstforscher und Ästhetiker haben in den letzten Jahren einen wahren
Sturmlauf gegen alles Farblose unterhalten. Sie haben das Publikum wegen
seiner Farbenblindheit, wegen feiner Verständnislosigkeit für das Element der
Farbe in der plastischen und dekorativen Kunst wie im Kunstgewerbe so lauge
ausgescholten, bis es endlich aus seiner Trägheit erwacht ist und nun alles
nicht farbig genug haben kann. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese plötzlich
erwachte Farbenfreudigkeit dazu beigetragen hat, daß der Kupferstich seine bevor¬
zugte Bedeutung für den Zimmerschmuck verloren hat. Aber der Abbruch auf
diesem Gebiete ist ihm nicht etwa, wie man im Hinblick auf die Farbenlust
doch zunächst annehmen sollte, durch den Ölfarbendruck verursacht worden. Der
Ölfarbendruck steht vielmehr nach wie vor bei allen feiner gebildeten Kunst¬
freunden in geringer Achtung, und die Versuche, den Farbendruck mit Hilfe der
Photographie und des Lichtdruckverfahrens zu veredeln, welche vornehmlich
durch die "Vereinigung der Kunstfreunde für die Publikationen der Königlichen
Nativnalgalerie" in Berlin gefördert werden, haben erst in neuester Zeit mehr
und mehr Boden gewonnen. Nicht die farbigen Wiedergaben von Gemälden
und sonstigen Kunstwerken, sondern die Radirung und der mit Hilfe und auf
Grundlage der Photographie ermöglichte Lichtdruck mit seinen verschiedenen,
mehr oder weniger raffinirten Abarten (Photogravüre, Heliogravüre u. s. w.)
sind die gefährlichen Nebenbuhler des Kupferstichs, die ihm einerseits durch die
größere Schnelligkeit der darstellenden Technik und dem entsprechende Wohlfeil¬
heit, anderseits durch eine dem Auge gefülligere, dem malerischen Sinn ungleich
mehr entgegenkommende Wirkung sein Arbeits- und Absatzfeld streitig machen.


Der Kupferstich und die vervielfältigenden Künste der Neuzeit.

mit der Entrüstung nicht gedient. Sie müssen Aufträge haben, um zu leben,
und dieser Notwendigkeit steht die Thatsache gegenüber, daß Kunsthändler, Ge¬
sellschaften und Vereinigungen, die sich die Pflege des Kupferstichs angelegen
sein lassen, in der Erteilung von größern Aufträgen immer zurückhaltender
werden, weil sie die Erfahrung gemacht haben, daß sich die Gunst des Publikums,
der großen Masse der Käufer, mit denen der Kunsthandel rechnen muß, andern
Sternen zugewendet hat. Diese Beobachtungen und geschäftlichen Erfahrungen
sind nicht allein in Deutschland, sondern ebenso gut in Frankreich und in
Belgien gemacht worden, und die belgische Akademie der Wissenschaften hat sich
sogar veranlaßt gesehen, für das Jahr 1889 die Aufgabe einer Preisarbeit zu
stellen, worin die Ursachen des Verfalls der Kupferstecherkunst entwickelt und
die besten Mittel angegeben werden sollen, „mit denen diesem Kunstzweig zu
seinem alten Glänze verholfen werden kann." Mit der Angabe solcher gründlich
heilsamen Mittel, die dem kranken Manne wieder auf die Beine helfen können,
wird es nur seine Schwierigkeiten haben. Leichter ist es, die Ursachen oder
wenigstens die meisten derselben zu ermitteln, welche die Kupferstecherkunst in
Bedrängnis gebracht haben, ohne daß ein Verschulden durch Rückgang der
Technik oder innere Gründe nachweisbar wäre.

Kunstforscher und Ästhetiker haben in den letzten Jahren einen wahren
Sturmlauf gegen alles Farblose unterhalten. Sie haben das Publikum wegen
seiner Farbenblindheit, wegen feiner Verständnislosigkeit für das Element der
Farbe in der plastischen und dekorativen Kunst wie im Kunstgewerbe so lauge
ausgescholten, bis es endlich aus seiner Trägheit erwacht ist und nun alles
nicht farbig genug haben kann. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese plötzlich
erwachte Farbenfreudigkeit dazu beigetragen hat, daß der Kupferstich seine bevor¬
zugte Bedeutung für den Zimmerschmuck verloren hat. Aber der Abbruch auf
diesem Gebiete ist ihm nicht etwa, wie man im Hinblick auf die Farbenlust
doch zunächst annehmen sollte, durch den Ölfarbendruck verursacht worden. Der
Ölfarbendruck steht vielmehr nach wie vor bei allen feiner gebildeten Kunst¬
freunden in geringer Achtung, und die Versuche, den Farbendruck mit Hilfe der
Photographie und des Lichtdruckverfahrens zu veredeln, welche vornehmlich
durch die „Vereinigung der Kunstfreunde für die Publikationen der Königlichen
Nativnalgalerie" in Berlin gefördert werden, haben erst in neuester Zeit mehr
und mehr Boden gewonnen. Nicht die farbigen Wiedergaben von Gemälden
und sonstigen Kunstwerken, sondern die Radirung und der mit Hilfe und auf
Grundlage der Photographie ermöglichte Lichtdruck mit seinen verschiedenen,
mehr oder weniger raffinirten Abarten (Photogravüre, Heliogravüre u. s. w.)
sind die gefährlichen Nebenbuhler des Kupferstichs, die ihm einerseits durch die
größere Schnelligkeit der darstellenden Technik und dem entsprechende Wohlfeil¬
heit, anderseits durch eine dem Auge gefülligere, dem malerischen Sinn ungleich
mehr entgegenkommende Wirkung sein Arbeits- und Absatzfeld streitig machen.


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[0429] Der Kupferstich und die vervielfältigenden Künste der Neuzeit. mit der Entrüstung nicht gedient. Sie müssen Aufträge haben, um zu leben, und dieser Notwendigkeit steht die Thatsache gegenüber, daß Kunsthändler, Ge¬ sellschaften und Vereinigungen, die sich die Pflege des Kupferstichs angelegen sein lassen, in der Erteilung von größern Aufträgen immer zurückhaltender werden, weil sie die Erfahrung gemacht haben, daß sich die Gunst des Publikums, der großen Masse der Käufer, mit denen der Kunsthandel rechnen muß, andern Sternen zugewendet hat. Diese Beobachtungen und geschäftlichen Erfahrungen sind nicht allein in Deutschland, sondern ebenso gut in Frankreich und in Belgien gemacht worden, und die belgische Akademie der Wissenschaften hat sich sogar veranlaßt gesehen, für das Jahr 1889 die Aufgabe einer Preisarbeit zu stellen, worin die Ursachen des Verfalls der Kupferstecherkunst entwickelt und die besten Mittel angegeben werden sollen, „mit denen diesem Kunstzweig zu seinem alten Glänze verholfen werden kann." Mit der Angabe solcher gründlich heilsamen Mittel, die dem kranken Manne wieder auf die Beine helfen können, wird es nur seine Schwierigkeiten haben. Leichter ist es, die Ursachen oder wenigstens die meisten derselben zu ermitteln, welche die Kupferstecherkunst in Bedrängnis gebracht haben, ohne daß ein Verschulden durch Rückgang der Technik oder innere Gründe nachweisbar wäre. Kunstforscher und Ästhetiker haben in den letzten Jahren einen wahren Sturmlauf gegen alles Farblose unterhalten. Sie haben das Publikum wegen seiner Farbenblindheit, wegen feiner Verständnislosigkeit für das Element der Farbe in der plastischen und dekorativen Kunst wie im Kunstgewerbe so lauge ausgescholten, bis es endlich aus seiner Trägheit erwacht ist und nun alles nicht farbig genug haben kann. Es ist nicht unwahrscheinlich, daß diese plötzlich erwachte Farbenfreudigkeit dazu beigetragen hat, daß der Kupferstich seine bevor¬ zugte Bedeutung für den Zimmerschmuck verloren hat. Aber der Abbruch auf diesem Gebiete ist ihm nicht etwa, wie man im Hinblick auf die Farbenlust doch zunächst annehmen sollte, durch den Ölfarbendruck verursacht worden. Der Ölfarbendruck steht vielmehr nach wie vor bei allen feiner gebildeten Kunst¬ freunden in geringer Achtung, und die Versuche, den Farbendruck mit Hilfe der Photographie und des Lichtdruckverfahrens zu veredeln, welche vornehmlich durch die „Vereinigung der Kunstfreunde für die Publikationen der Königlichen Nativnalgalerie" in Berlin gefördert werden, haben erst in neuester Zeit mehr und mehr Boden gewonnen. Nicht die farbigen Wiedergaben von Gemälden und sonstigen Kunstwerken, sondern die Radirung und der mit Hilfe und auf Grundlage der Photographie ermöglichte Lichtdruck mit seinen verschiedenen, mehr oder weniger raffinirten Abarten (Photogravüre, Heliogravüre u. s. w.) sind die gefährlichen Nebenbuhler des Kupferstichs, die ihm einerseits durch die größere Schnelligkeit der darstellenden Technik und dem entsprechende Wohlfeil¬ heit, anderseits durch eine dem Auge gefülligere, dem malerischen Sinn ungleich mehr entgegenkommende Wirkung sein Arbeits- und Absatzfeld streitig machen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/429>, abgerufen am 30.06.2024.