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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Universitäten im Mittelalter.

Mitglieder zu wissenschaftlichem Weltruf gelangende Pariser Sorbonne (1257)
gegründet in der Zeit des heftigsten Kampfes zwischen der Universität und den
Bettelmönchen.

Man muß aber nicht glauben, daß durch diese Unterschiede und Sonderlingen
auch entschieden trennende Gegensätze im Äußern des Universitätsbaues hervor¬
gerufen worden wären. Das akademische Leben des Mittelalters war im Gegen¬
teil durchaus einheitlich. Vom Garigliano bis nach Schottland galt derselbe
Schülergruß, erschollen dieselben Gesänge, deren ehrwürdigste schon ebenso ver¬
nehmlich durchs zwölfte Jahrhundert hallen, wie durchs neunzehnte. Ja es ist
sicher keine bedeutungslose Erscheinung und keine geringe Ehre für diesen köstlichen
Sang, der schon deu jungen Gymnasiasten so kräftig zu den Bächen des Wissens
lockt und dem greisen Gelehrten noch einzig das Herz mit Jugendlust zu erfüllen
vermag, lange bevor es Universitäten gab, d. h, "lange ehe es zur Ausbildung
der Formen und Einrichtungen der Universitäten kam," gab es schon Studenten-
lieder. Das zwölfte Jahrhundert ist die Blütezeit jenes wandernden Schüler-
tums, dessen Konsolidirung die Organisation der Universitäten förmlich heraus¬
forderte. Das waren die Wanderjahre, um ein einschlägiges Bild zu ge¬
brauchen, die goldene Muluszeit der akademischen Freiheit. Und diese Werde¬
lust, dieser knospende Drang, der eine so edle, reiche Frucht im Schoße trägt,
das ist es ja, was diese Lieder so unnachahmlich, so anziehend, so herzerquickend
macht. Und ob sie gleich durch alle Lande wandern, den Sänger bald über¬
mütig in die Siebenhügelstadt, in den Palast des heiligen Vaters, bald minne¬
trunken in die Arme der schönen Königin von Frankreich versetzen, ihre
Heimat ist vorzugsweise Deutschland, ist der Rhein. Da lassen sie, wie später
Jena, das ehrwürdige Trier leben und mischen die ersten zarten Töne des
deutschen Minnesangs mit ihren unübersetzbaren lateinischen Reimen. Auch
das ist ein Merkmal, wo eigentlich die geistige Wiege der Universitäten steht,
wenn auch der Wandertrieb der deutschen Jugend ihre sichtbare Wiege ins
Ausland verlegte. Deutsche sind es, die nach den Berichten bei einem Skandal
voran sind, aber sie sind zugleich berufen wegen ihres wissenschaftlichen (histo¬
rischen) Sinnes. Man darf sich das mittelalterliche Studentenleben nicht als
seine wüsteste Periode vorstellen. Dies ist sicherlich das siebzehnte Jahr¬
hundert, von dessen akademischen Leben Tholuk eine ebenso anschauliche als
anwidernde Schilderung entworfen hat. Namentlich hatte sich der den ganzen
Stand schauderte "Pennalismus," die unwürdige Sklaverei der Neulinge unter
den Senioren, damals noch nicht entwickelt. Was die mittelalterlichen Scho¬
laren gerade besonders auszeichnet, ist ihre akademische Gleichheit. Alte, bemooste
Häupter mit Familie stellte da der gleiche Lerntrieb neben junge Burschen von
fünfzehn Jahren, unbefangen -- oft allzusehr, wie die Skandalberichte melden --
stand der Professor (Magister) mitten unter seinen Schülern, deren keiner
sich schenen durfte zu opponiren und selbst das Katheder zu besteigen, vor dem


Die Universitäten im Mittelalter.

Mitglieder zu wissenschaftlichem Weltruf gelangende Pariser Sorbonne (1257)
gegründet in der Zeit des heftigsten Kampfes zwischen der Universität und den
Bettelmönchen.

Man muß aber nicht glauben, daß durch diese Unterschiede und Sonderlingen
auch entschieden trennende Gegensätze im Äußern des Universitätsbaues hervor¬
gerufen worden wären. Das akademische Leben des Mittelalters war im Gegen¬
teil durchaus einheitlich. Vom Garigliano bis nach Schottland galt derselbe
Schülergruß, erschollen dieselben Gesänge, deren ehrwürdigste schon ebenso ver¬
nehmlich durchs zwölfte Jahrhundert hallen, wie durchs neunzehnte. Ja es ist
sicher keine bedeutungslose Erscheinung und keine geringe Ehre für diesen köstlichen
Sang, der schon deu jungen Gymnasiasten so kräftig zu den Bächen des Wissens
lockt und dem greisen Gelehrten noch einzig das Herz mit Jugendlust zu erfüllen
vermag, lange bevor es Universitäten gab, d. h, „lange ehe es zur Ausbildung
der Formen und Einrichtungen der Universitäten kam," gab es schon Studenten-
lieder. Das zwölfte Jahrhundert ist die Blütezeit jenes wandernden Schüler-
tums, dessen Konsolidirung die Organisation der Universitäten förmlich heraus¬
forderte. Das waren die Wanderjahre, um ein einschlägiges Bild zu ge¬
brauchen, die goldene Muluszeit der akademischen Freiheit. Und diese Werde¬
lust, dieser knospende Drang, der eine so edle, reiche Frucht im Schoße trägt,
das ist es ja, was diese Lieder so unnachahmlich, so anziehend, so herzerquickend
macht. Und ob sie gleich durch alle Lande wandern, den Sänger bald über¬
mütig in die Siebenhügelstadt, in den Palast des heiligen Vaters, bald minne¬
trunken in die Arme der schönen Königin von Frankreich versetzen, ihre
Heimat ist vorzugsweise Deutschland, ist der Rhein. Da lassen sie, wie später
Jena, das ehrwürdige Trier leben und mischen die ersten zarten Töne des
deutschen Minnesangs mit ihren unübersetzbaren lateinischen Reimen. Auch
das ist ein Merkmal, wo eigentlich die geistige Wiege der Universitäten steht,
wenn auch der Wandertrieb der deutschen Jugend ihre sichtbare Wiege ins
Ausland verlegte. Deutsche sind es, die nach den Berichten bei einem Skandal
voran sind, aber sie sind zugleich berufen wegen ihres wissenschaftlichen (histo¬
rischen) Sinnes. Man darf sich das mittelalterliche Studentenleben nicht als
seine wüsteste Periode vorstellen. Dies ist sicherlich das siebzehnte Jahr¬
hundert, von dessen akademischen Leben Tholuk eine ebenso anschauliche als
anwidernde Schilderung entworfen hat. Namentlich hatte sich der den ganzen
Stand schauderte „Pennalismus," die unwürdige Sklaverei der Neulinge unter
den Senioren, damals noch nicht entwickelt. Was die mittelalterlichen Scho¬
laren gerade besonders auszeichnet, ist ihre akademische Gleichheit. Alte, bemooste
Häupter mit Familie stellte da der gleiche Lerntrieb neben junge Burschen von
fünfzehn Jahren, unbefangen — oft allzusehr, wie die Skandalberichte melden —
stand der Professor (Magister) mitten unter seinen Schülern, deren keiner
sich schenen durfte zu opponiren und selbst das Katheder zu besteigen, vor dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/42>, abgerufen am 04.07.2024.