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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Bischer.

lesurigen in Anspruch genommen. Von jeher, auch in Zürich, pflegte er seine
Kollegienhefte mit großer Sorgfalt auszuarbeiten, aber niemals hat er sie in
eine bleibende Gestalt bringen können, immer hatte er neues anzusetzen, immer
sah er von neuem die Quellen durch und studirte fortlaufend die gelehrten
Werke darüber. Er nahm seine Vorlesungen sehr ernst; nur den Honig von
seinen Studien gab er den Hörern, was ihn zwei Stunden kostete, war in
zehn Minuten gesprochen. Es ist auch bekannt, daß Wischers Vorlesungen ein
großes Publikum heranzogen, seine Zuhörer waren nicht blos Studenten, son¬
dern auch Herren und Damen aus den besten Stuttgarter Kreisen, und je
mehr er Hörer hatte, desto peinlicher nahm er es mit seiner Vorarbeit. Gün-
thert schildert ihn einige Male in seiner fesselnden, aber auch leicht erregten
und gestörten Art, zu sprechen. Ein dummes Gesicht im Zuhörerraum, eine
zu spät kommende Dame, die knarrend die Thür öffnete, konnten ihn so ver¬
stimmen, daß er die Vorlesung unterbrach. Was Bischer in seinen Vorlesungen
anstrebte, spricht er öfter aus. Hier eine Äußerung vom 15. März 1867: "Der
Ki--ele hat meinen Tübinger Vortrag in der Merkuranzeige recht veranne-
mergelt. Auch über den Stuttgarter hat niemand gesagt, um was einzig es
sich handelt. Ich will nicht, will mindestens nicht unbedingt gelobt sein, aber
ich durfte erwarten, daß man den Maßstab erkenne und nenne, den ich selbst
lege. Ob ich ihm genüge, ist eine andre Frage. Dieser Maßstab ist die For¬
derung, eine solche Stunde zu benutzen, um den Menschen Bilder des Großen
in die Seele zu führen, ihnen Schwung, torus zu geben. Um das zu machen,
muß man die eigne Seele ganz daran geben, mit dem innersten Leben dabei
sein. Da gleichzeitig Aufgabe ist, sich den Gegenstand ganz objektiv zu halten,
so handelt es sich um etwas sehr Schweres: ganz subjektiv und ganz objektiv
zu sein, und ich bin der Letzte, der meint, die große Aufgabe gelöst zu haben.
Aber meinen Willen sollten die Kerle begreifen, erkennen, daß ich straff mit
meinem Innersten bei der Sache bin und ins Große strebe. Da sprechen die
Käseseeleu.- von "köstlicher Detailmalerei", und der Ki--ele verwandelt nur meinen
Wein in eine altbackene Laugenpretzel. Sie ahnen nicht, was Pathos ist, weil
sie keines haben." Günthert bemerkt mit Recht: "Auf Wischers Kolleg waren
die Worte des Faust anzuwenden: Wenn ihrs nicht fühlt, ihr werdets nicht
erjagen, Wenn es nicht aus der Seele dringt:c."

Anzunehmen, daß diese Arbeit an den Kollegienheften Bischer an der Um¬
arbeitung seiner Ästhetik gehindert habe, wäre aber doch sehr verfehlt. Viel¬
mehr verfolgt ihn der Gedanke an sie die ganze Zeit hindurch vom Beginn
des Briefwechsels an. Am 2. Mai 1863 schreibt er: "Meine Arbeit würde
diesen Sommer die Vorstudien für die neue Ausgabe der Ästhetik sein; nichts
Angenehmes, denn es gilt, mehrere dicke Bücher zu lesen, die höchst ermüden¬
den Inhalts sind und doch durchgearbeitet sein wollen. Mein Hauptaugenmerk
muß sein, die Frage über das Verhältnis von Form und Inhalt im Schönen


Friedrich Bischer.

lesurigen in Anspruch genommen. Von jeher, auch in Zürich, pflegte er seine
Kollegienhefte mit großer Sorgfalt auszuarbeiten, aber niemals hat er sie in
eine bleibende Gestalt bringen können, immer hatte er neues anzusetzen, immer
sah er von neuem die Quellen durch und studirte fortlaufend die gelehrten
Werke darüber. Er nahm seine Vorlesungen sehr ernst; nur den Honig von
seinen Studien gab er den Hörern, was ihn zwei Stunden kostete, war in
zehn Minuten gesprochen. Es ist auch bekannt, daß Wischers Vorlesungen ein
großes Publikum heranzogen, seine Zuhörer waren nicht blos Studenten, son¬
dern auch Herren und Damen aus den besten Stuttgarter Kreisen, und je
mehr er Hörer hatte, desto peinlicher nahm er es mit seiner Vorarbeit. Gün-
thert schildert ihn einige Male in seiner fesselnden, aber auch leicht erregten
und gestörten Art, zu sprechen. Ein dummes Gesicht im Zuhörerraum, eine
zu spät kommende Dame, die knarrend die Thür öffnete, konnten ihn so ver¬
stimmen, daß er die Vorlesung unterbrach. Was Bischer in seinen Vorlesungen
anstrebte, spricht er öfter aus. Hier eine Äußerung vom 15. März 1867: „Der
Ki—ele hat meinen Tübinger Vortrag in der Merkuranzeige recht veranne-
mergelt. Auch über den Stuttgarter hat niemand gesagt, um was einzig es
sich handelt. Ich will nicht, will mindestens nicht unbedingt gelobt sein, aber
ich durfte erwarten, daß man den Maßstab erkenne und nenne, den ich selbst
lege. Ob ich ihm genüge, ist eine andre Frage. Dieser Maßstab ist die For¬
derung, eine solche Stunde zu benutzen, um den Menschen Bilder des Großen
in die Seele zu führen, ihnen Schwung, torus zu geben. Um das zu machen,
muß man die eigne Seele ganz daran geben, mit dem innersten Leben dabei
sein. Da gleichzeitig Aufgabe ist, sich den Gegenstand ganz objektiv zu halten,
so handelt es sich um etwas sehr Schweres: ganz subjektiv und ganz objektiv
zu sein, und ich bin der Letzte, der meint, die große Aufgabe gelöst zu haben.
Aber meinen Willen sollten die Kerle begreifen, erkennen, daß ich straff mit
meinem Innersten bei der Sache bin und ins Große strebe. Da sprechen die
Käseseeleu.- von »köstlicher Detailmalerei«, und der Ki—ele verwandelt nur meinen
Wein in eine altbackene Laugenpretzel. Sie ahnen nicht, was Pathos ist, weil
sie keines haben." Günthert bemerkt mit Recht: „Auf Wischers Kolleg waren
die Worte des Faust anzuwenden: Wenn ihrs nicht fühlt, ihr werdets nicht
erjagen, Wenn es nicht aus der Seele dringt:c."

Anzunehmen, daß diese Arbeit an den Kollegienheften Bischer an der Um¬
arbeitung seiner Ästhetik gehindert habe, wäre aber doch sehr verfehlt. Viel¬
mehr verfolgt ihn der Gedanke an sie die ganze Zeit hindurch vom Beginn
des Briefwechsels an. Am 2. Mai 1863 schreibt er: „Meine Arbeit würde
diesen Sommer die Vorstudien für die neue Ausgabe der Ästhetik sein; nichts
Angenehmes, denn es gilt, mehrere dicke Bücher zu lesen, die höchst ermüden¬
den Inhalts sind und doch durchgearbeitet sein wollen. Mein Hauptaugenmerk
muß sein, die Frage über das Verhältnis von Form und Inhalt im Schönen


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[0426] Friedrich Bischer. lesurigen in Anspruch genommen. Von jeher, auch in Zürich, pflegte er seine Kollegienhefte mit großer Sorgfalt auszuarbeiten, aber niemals hat er sie in eine bleibende Gestalt bringen können, immer hatte er neues anzusetzen, immer sah er von neuem die Quellen durch und studirte fortlaufend die gelehrten Werke darüber. Er nahm seine Vorlesungen sehr ernst; nur den Honig von seinen Studien gab er den Hörern, was ihn zwei Stunden kostete, war in zehn Minuten gesprochen. Es ist auch bekannt, daß Wischers Vorlesungen ein großes Publikum heranzogen, seine Zuhörer waren nicht blos Studenten, son¬ dern auch Herren und Damen aus den besten Stuttgarter Kreisen, und je mehr er Hörer hatte, desto peinlicher nahm er es mit seiner Vorarbeit. Gün- thert schildert ihn einige Male in seiner fesselnden, aber auch leicht erregten und gestörten Art, zu sprechen. Ein dummes Gesicht im Zuhörerraum, eine zu spät kommende Dame, die knarrend die Thür öffnete, konnten ihn so ver¬ stimmen, daß er die Vorlesung unterbrach. Was Bischer in seinen Vorlesungen anstrebte, spricht er öfter aus. Hier eine Äußerung vom 15. März 1867: „Der Ki—ele hat meinen Tübinger Vortrag in der Merkuranzeige recht veranne- mergelt. Auch über den Stuttgarter hat niemand gesagt, um was einzig es sich handelt. Ich will nicht, will mindestens nicht unbedingt gelobt sein, aber ich durfte erwarten, daß man den Maßstab erkenne und nenne, den ich selbst lege. Ob ich ihm genüge, ist eine andre Frage. Dieser Maßstab ist die For¬ derung, eine solche Stunde zu benutzen, um den Menschen Bilder des Großen in die Seele zu führen, ihnen Schwung, torus zu geben. Um das zu machen, muß man die eigne Seele ganz daran geben, mit dem innersten Leben dabei sein. Da gleichzeitig Aufgabe ist, sich den Gegenstand ganz objektiv zu halten, so handelt es sich um etwas sehr Schweres: ganz subjektiv und ganz objektiv zu sein, und ich bin der Letzte, der meint, die große Aufgabe gelöst zu haben. Aber meinen Willen sollten die Kerle begreifen, erkennen, daß ich straff mit meinem Innersten bei der Sache bin und ins Große strebe. Da sprechen die Käseseeleu.- von »köstlicher Detailmalerei«, und der Ki—ele verwandelt nur meinen Wein in eine altbackene Laugenpretzel. Sie ahnen nicht, was Pathos ist, weil sie keines haben." Günthert bemerkt mit Recht: „Auf Wischers Kolleg waren die Worte des Faust anzuwenden: Wenn ihrs nicht fühlt, ihr werdets nicht erjagen, Wenn es nicht aus der Seele dringt:c." Anzunehmen, daß diese Arbeit an den Kollegienheften Bischer an der Um¬ arbeitung seiner Ästhetik gehindert habe, wäre aber doch sehr verfehlt. Viel¬ mehr verfolgt ihn der Gedanke an sie die ganze Zeit hindurch vom Beginn des Briefwechsels an. Am 2. Mai 1863 schreibt er: „Meine Arbeit würde diesen Sommer die Vorstudien für die neue Ausgabe der Ästhetik sein; nichts Angenehmes, denn es gilt, mehrere dicke Bücher zu lesen, die höchst ermüden¬ den Inhalts sind und doch durchgearbeitet sein wollen. Mein Hauptaugenmerk muß sein, die Frage über das Verhältnis von Form und Inhalt im Schönen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/426>, abgerufen am 02.07.2024.