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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Friedrich Bischer.

Mit diesen Erwägungen war Bischer aber noch lange nicht fertig; einer
der mitwirkenden Beweggründe war auch die Aussicht, beim jungen König Lud¬
wig H. ein Gegengewicht gegen den Einfluß Richard Wagners bilden zu können.
Es ist nicht abzusehen, wie anders sich vieles in Kunst und Litteratur würde
gestaltet haben, wenn Bischer die Berufung nach München angenommen hätte.
Bis in den Dezember des Jahres zogen sich die Verhandlungen hin. Da endlich
schreibt er: "Soll ich Ihnen sagen, wie endlich der Entschluß des Bleibens zur
Welt kam -- ich weiß es kaum mehr. Ich spürte eben, daß zwei Haken in
der Seele waren, von denen der Entschluß, zu gehen, gepackt war und nicht los
wollte: Gewissen -- rvliAto -- Pietät -- wie wollen wir den einen nennen?
Bekanntes, befreundetes Element heißt der andre. Mündlich kann ichs vielleicht
deutlicher machen. Ich bin zufrieden mit meinem Entschluß. Unter den auf¬
richtigen Gratulanten ist namentlich Strauß."

Bischer blieb also dauernd in Stuttgart, der Minister hatte ihm auch er¬
spart, immer zwischen den zwei Hochschulen auf der Reise sein zu müssen. Dort
hatte er bis in die Mitte der siebziger Jahre seinen Kreis alter, geliebter
Freunde: Mörike, Notker, im Kriegsjahre war auch Günthert hinzugekommen,
der endlich von Ulm nach Stuttgart versetzt worden war, während die Jugend¬
freundschaft mit Strauß durch dessen Buch "Der alte und der neue Glaube",
dem Bischer nicht zustimme" konnte, bald in die Brüche ging. Denn Bischer
ist nicht wie Strauß Darwinist und Materialist geworden, sondern blieb bis an
sein Lebensende ein philosophischer Idealist, den "idealistischen Monismus" hielt
er schließlich für die Folgerung der Philosophie seit Kant. Günthert teilt die
merkwürdige letzte Begegnung Wischers mit Strauß mit. Es war im Jahre
1873; Strauß war totkrank aus Karlsbad zurückgekehrt. "Bischer war lange
Zeit im Streit mit sich, ob er Strauß besuchen solle, ob nicht. Ich sprach ihm
lebhaft zu, den alten Freund nochmals zu sehen, zu sprechen -- er sei ster¬
bend -- ihm aber werde es eine Genugthuung für das ganze Leben sein.
Bischer entschloß sich endlich dazu. Er wird kalt von Strauß empfangen, und
als er die Rede auf das Buch bringt, kurz mit dem Bescheid abgefertigt, daß
Strauß die Diskussion darüber als abgeschlossen betrachte. Bischer wahrt seinen
Standpunkt; Strauß werde das Manuskript gelesen haben? Dieser verneint
es. "Auch nicht den Brief?" Strauß schüttelt den Kopf. Tief verletzt ent¬
fernt sich Bischer. "Nicht einmal den Brief hat er geöffnet!" klagte er mir
schmerzlich. "Er ist eisigkalt, glüht nur für den Ruhm! Und wir waren so
innig verbunden wie Menächmen!" Der Bruch war vorhanden -- der Tod,
der Allversöhner, versöhnte auch hier!"

In Stuttgart war Wischers Zeit am meisten von der Arbeit für seine Vor¬


sitz suchte und zwischen Mannheim und Frankfurt a. M. schwankte, stellte er in ganz ähn¬
licher Weise schematisch die Vorzüge und Nachteile beider Wohnsitze einander gegenüber.
Vergl. Gwinncr, Schopenhauers Leben, 2. Ausgabe, 1878, S. 391.
Grenzboten IV. 1888. L3
Friedrich Bischer.

Mit diesen Erwägungen war Bischer aber noch lange nicht fertig; einer
der mitwirkenden Beweggründe war auch die Aussicht, beim jungen König Lud¬
wig H. ein Gegengewicht gegen den Einfluß Richard Wagners bilden zu können.
Es ist nicht abzusehen, wie anders sich vieles in Kunst und Litteratur würde
gestaltet haben, wenn Bischer die Berufung nach München angenommen hätte.
Bis in den Dezember des Jahres zogen sich die Verhandlungen hin. Da endlich
schreibt er: „Soll ich Ihnen sagen, wie endlich der Entschluß des Bleibens zur
Welt kam — ich weiß es kaum mehr. Ich spürte eben, daß zwei Haken in
der Seele waren, von denen der Entschluß, zu gehen, gepackt war und nicht los
wollte: Gewissen — rvliAto — Pietät — wie wollen wir den einen nennen?
Bekanntes, befreundetes Element heißt der andre. Mündlich kann ichs vielleicht
deutlicher machen. Ich bin zufrieden mit meinem Entschluß. Unter den auf¬
richtigen Gratulanten ist namentlich Strauß."

Bischer blieb also dauernd in Stuttgart, der Minister hatte ihm auch er¬
spart, immer zwischen den zwei Hochschulen auf der Reise sein zu müssen. Dort
hatte er bis in die Mitte der siebziger Jahre seinen Kreis alter, geliebter
Freunde: Mörike, Notker, im Kriegsjahre war auch Günthert hinzugekommen,
der endlich von Ulm nach Stuttgart versetzt worden war, während die Jugend¬
freundschaft mit Strauß durch dessen Buch „Der alte und der neue Glaube",
dem Bischer nicht zustimme» konnte, bald in die Brüche ging. Denn Bischer
ist nicht wie Strauß Darwinist und Materialist geworden, sondern blieb bis an
sein Lebensende ein philosophischer Idealist, den „idealistischen Monismus" hielt
er schließlich für die Folgerung der Philosophie seit Kant. Günthert teilt die
merkwürdige letzte Begegnung Wischers mit Strauß mit. Es war im Jahre
1873; Strauß war totkrank aus Karlsbad zurückgekehrt. „Bischer war lange
Zeit im Streit mit sich, ob er Strauß besuchen solle, ob nicht. Ich sprach ihm
lebhaft zu, den alten Freund nochmals zu sehen, zu sprechen — er sei ster¬
bend — ihm aber werde es eine Genugthuung für das ganze Leben sein.
Bischer entschloß sich endlich dazu. Er wird kalt von Strauß empfangen, und
als er die Rede auf das Buch bringt, kurz mit dem Bescheid abgefertigt, daß
Strauß die Diskussion darüber als abgeschlossen betrachte. Bischer wahrt seinen
Standpunkt; Strauß werde das Manuskript gelesen haben? Dieser verneint
es. »Auch nicht den Brief?« Strauß schüttelt den Kopf. Tief verletzt ent¬
fernt sich Bischer. »Nicht einmal den Brief hat er geöffnet!« klagte er mir
schmerzlich. »Er ist eisigkalt, glüht nur für den Ruhm! Und wir waren so
innig verbunden wie Menächmen!« Der Bruch war vorhanden — der Tod,
der Allversöhner, versöhnte auch hier!"

In Stuttgart war Wischers Zeit am meisten von der Arbeit für seine Vor¬


sitz suchte und zwischen Mannheim und Frankfurt a. M. schwankte, stellte er in ganz ähn¬
licher Weise schematisch die Vorzüge und Nachteile beider Wohnsitze einander gegenüber.
Vergl. Gwinncr, Schopenhauers Leben, 2. Ausgabe, 1878, S. 391.
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[0425] Friedrich Bischer. Mit diesen Erwägungen war Bischer aber noch lange nicht fertig; einer der mitwirkenden Beweggründe war auch die Aussicht, beim jungen König Lud¬ wig H. ein Gegengewicht gegen den Einfluß Richard Wagners bilden zu können. Es ist nicht abzusehen, wie anders sich vieles in Kunst und Litteratur würde gestaltet haben, wenn Bischer die Berufung nach München angenommen hätte. Bis in den Dezember des Jahres zogen sich die Verhandlungen hin. Da endlich schreibt er: „Soll ich Ihnen sagen, wie endlich der Entschluß des Bleibens zur Welt kam — ich weiß es kaum mehr. Ich spürte eben, daß zwei Haken in der Seele waren, von denen der Entschluß, zu gehen, gepackt war und nicht los wollte: Gewissen — rvliAto — Pietät — wie wollen wir den einen nennen? Bekanntes, befreundetes Element heißt der andre. Mündlich kann ichs vielleicht deutlicher machen. Ich bin zufrieden mit meinem Entschluß. Unter den auf¬ richtigen Gratulanten ist namentlich Strauß." Bischer blieb also dauernd in Stuttgart, der Minister hatte ihm auch er¬ spart, immer zwischen den zwei Hochschulen auf der Reise sein zu müssen. Dort hatte er bis in die Mitte der siebziger Jahre seinen Kreis alter, geliebter Freunde: Mörike, Notker, im Kriegsjahre war auch Günthert hinzugekommen, der endlich von Ulm nach Stuttgart versetzt worden war, während die Jugend¬ freundschaft mit Strauß durch dessen Buch „Der alte und der neue Glaube", dem Bischer nicht zustimme» konnte, bald in die Brüche ging. Denn Bischer ist nicht wie Strauß Darwinist und Materialist geworden, sondern blieb bis an sein Lebensende ein philosophischer Idealist, den „idealistischen Monismus" hielt er schließlich für die Folgerung der Philosophie seit Kant. Günthert teilt die merkwürdige letzte Begegnung Wischers mit Strauß mit. Es war im Jahre 1873; Strauß war totkrank aus Karlsbad zurückgekehrt. „Bischer war lange Zeit im Streit mit sich, ob er Strauß besuchen solle, ob nicht. Ich sprach ihm lebhaft zu, den alten Freund nochmals zu sehen, zu sprechen — er sei ster¬ bend — ihm aber werde es eine Genugthuung für das ganze Leben sein. Bischer entschloß sich endlich dazu. Er wird kalt von Strauß empfangen, und als er die Rede auf das Buch bringt, kurz mit dem Bescheid abgefertigt, daß Strauß die Diskussion darüber als abgeschlossen betrachte. Bischer wahrt seinen Standpunkt; Strauß werde das Manuskript gelesen haben? Dieser verneint es. »Auch nicht den Brief?« Strauß schüttelt den Kopf. Tief verletzt ent¬ fernt sich Bischer. »Nicht einmal den Brief hat er geöffnet!« klagte er mir schmerzlich. »Er ist eisigkalt, glüht nur für den Ruhm! Und wir waren so innig verbunden wie Menächmen!« Der Bruch war vorhanden — der Tod, der Allversöhner, versöhnte auch hier!" In Stuttgart war Wischers Zeit am meisten von der Arbeit für seine Vor¬ sitz suchte und zwischen Mannheim und Frankfurt a. M. schwankte, stellte er in ganz ähn¬ licher Weise schematisch die Vorzüge und Nachteile beider Wohnsitze einander gegenüber. Vergl. Gwinncr, Schopenhauers Leben, 2. Ausgabe, 1878, S. 391. Grenzboten IV. 1888. L3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/425>, abgerufen am 04.07.2024.