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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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gewesen, und man hat auch eigentlich niemals versucht, ein solches vorzuschützen.
Um solche Kleinigkeiten kümmerte sich der erste Träger der "Schwabenkrone,"
König Friedrich, nicht allzuviel.

Doch das ist lange, lange her, und auch hierüber ist Gras gewachsen.
Die Bewohner jener verschiedenen Landesteile haben sich an einander gewöhnt
und leben zufrieden unter einer guten Regierung. Zum Heile Deutschlands
und um einer Neubildung und Umgestaltung desselben Raum zu schaffen, mußte
der Zersplitterung des Vaterlandes ein Ende gemacht werden, und ebenso wie
die andern Süddeutschen, haben auch die Württemberger, die anfangs einen
zähen Partikularismus zeigten, sich in die neuen Verhältnisse gefunden. Daß sie
jetzt gute Deutsche und treue Anhänger des neuen Reiches sind, haben sie erst
vor kurzem glänzend bewiesen, als der jugendliche Herrscher, der jetzt die deutsche
Kaiserkrone trägt, ihr Land und ihre Hauptstadt mit seinem Besuche beehrte.

Am auffallendsten, man möchte fast sagen, am unnatürlichsten, ist das
Mißverhältnis zwischen den angestammten Gebieten des Herrscherhauses und
dem willkürlich im Anfange dieses Jahrhunderts dazugeworfenen Landesteilen
bei dem Großherzogtume Baden. Nur etwa der fünfte Teil dieses Landes
war ererbter Besitz der alten Markgrafen; vier Fünftel sind erst im Zeitalter
Napoleons dazugekommen. Von einer geschichtlichen Stammeszusammen-
gchörigkeit der Bewohner der vielen Einzelgebiete und Gebietsfetzen kann eben¬
sowenig die Rede sein, wie bei den übrigen Nheinbundsstaaten. Bei der Bildung
des Staates war nur die Dynastie maßgebend; deren Interessen und die früher
mehrfach bezeichneten Zufälligkeiten verschiedener Art haben die Gebietsent¬
wicklung bestimmt, beeinflußt und herbeigeführt.

Die Geschichte des in Baden herrschenden Geschlechts beginnt mit dem
Grafen Berchthold (oder Berthold) dem Bärtigen (gestorben 1078). Er ent¬
stammte einem edelfreien Geschlechte, das im Breisgau, im obern Albgau (an
den Ouellflüssen der Donau) und in der Ortenau begütert war, und dem
Otto III. Markt, Zoll und Münze zu Villingen ("auf der Bertholdsbaar")
verliehen hatte. Daß er ein Nachkomme der alten Allemannen-Herzöge gewesen
sei, ist unbegründet und nichts als eine Sage, wie die Hofgeschichtsschreiber
solche fast bei allen erlauchten Geschlechtern erfunden haben, um dadurch den
Glanz des Hauses, dem ihre Feder gewidmet war, zu erhöhen. Daß seine
Großmutter eine Schwester Friedrichs, des ersten staufischen Herzogs von
Schwaben, gewesen sei, ist möglich, aber nicht unzweifelhaft nachgewiesen. Da¬
gegen ist die Überlieferung, eine seiner Stammmutter "Hildegard aus dem
Stamme der Bertilonen" sei eine Gemahlin Karls des Großen gewesen, wie¬
der in das Reich der Sage zu verweisen. Er erlangte, wahrscheinlich durch
seine erste Heirat, die Belehnung mit Kcirnthen und der Mark Verona. Auf
dem letztern Besitze beruhte wohl der Markgrafentitel, den seine Nachkommen
Jahrhunderte lang führten; daß sie ihn, wie es wohl heißt, "zur Unterscheidung


gewesen, und man hat auch eigentlich niemals versucht, ein solches vorzuschützen.
Um solche Kleinigkeiten kümmerte sich der erste Träger der „Schwabenkrone,"
König Friedrich, nicht allzuviel.

Doch das ist lange, lange her, und auch hierüber ist Gras gewachsen.
Die Bewohner jener verschiedenen Landesteile haben sich an einander gewöhnt
und leben zufrieden unter einer guten Regierung. Zum Heile Deutschlands
und um einer Neubildung und Umgestaltung desselben Raum zu schaffen, mußte
der Zersplitterung des Vaterlandes ein Ende gemacht werden, und ebenso wie
die andern Süddeutschen, haben auch die Württemberger, die anfangs einen
zähen Partikularismus zeigten, sich in die neuen Verhältnisse gefunden. Daß sie
jetzt gute Deutsche und treue Anhänger des neuen Reiches sind, haben sie erst
vor kurzem glänzend bewiesen, als der jugendliche Herrscher, der jetzt die deutsche
Kaiserkrone trägt, ihr Land und ihre Hauptstadt mit seinem Besuche beehrte.

Am auffallendsten, man möchte fast sagen, am unnatürlichsten, ist das
Mißverhältnis zwischen den angestammten Gebieten des Herrscherhauses und
dem willkürlich im Anfange dieses Jahrhunderts dazugeworfenen Landesteilen
bei dem Großherzogtume Baden. Nur etwa der fünfte Teil dieses Landes
war ererbter Besitz der alten Markgrafen; vier Fünftel sind erst im Zeitalter
Napoleons dazugekommen. Von einer geschichtlichen Stammeszusammen-
gchörigkeit der Bewohner der vielen Einzelgebiete und Gebietsfetzen kann eben¬
sowenig die Rede sein, wie bei den übrigen Nheinbundsstaaten. Bei der Bildung
des Staates war nur die Dynastie maßgebend; deren Interessen und die früher
mehrfach bezeichneten Zufälligkeiten verschiedener Art haben die Gebietsent¬
wicklung bestimmt, beeinflußt und herbeigeführt.

Die Geschichte des in Baden herrschenden Geschlechts beginnt mit dem
Grafen Berchthold (oder Berthold) dem Bärtigen (gestorben 1078). Er ent¬
stammte einem edelfreien Geschlechte, das im Breisgau, im obern Albgau (an
den Ouellflüssen der Donau) und in der Ortenau begütert war, und dem
Otto III. Markt, Zoll und Münze zu Villingen („auf der Bertholdsbaar")
verliehen hatte. Daß er ein Nachkomme der alten Allemannen-Herzöge gewesen
sei, ist unbegründet und nichts als eine Sage, wie die Hofgeschichtsschreiber
solche fast bei allen erlauchten Geschlechtern erfunden haben, um dadurch den
Glanz des Hauses, dem ihre Feder gewidmet war, zu erhöhen. Daß seine
Großmutter eine Schwester Friedrichs, des ersten staufischen Herzogs von
Schwaben, gewesen sei, ist möglich, aber nicht unzweifelhaft nachgewiesen. Da¬
gegen ist die Überlieferung, eine seiner Stammmutter „Hildegard aus dem
Stamme der Bertilonen" sei eine Gemahlin Karls des Großen gewesen, wie¬
der in das Reich der Sage zu verweisen. Er erlangte, wahrscheinlich durch
seine erste Heirat, die Belehnung mit Kcirnthen und der Mark Verona. Auf
dem letztern Besitze beruhte wohl der Markgrafentitel, den seine Nachkommen
Jahrhunderte lang führten; daß sie ihn, wie es wohl heißt, „zur Unterscheidung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/414>, abgerufen am 02.07.2024.