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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Zollanschlnß Hamburgs und Bremens.

den, und nachdem seine baltische See durch das Aufblühen des ozeanischen Ver¬
kehrs ein bescheidenes Binnenmeer geworden war, von seiner einstigen Bevöl¬
kerung zwei Drittel und von seinem Handel beinahe fünf Sechstel eingebüßt.
Gleichwohl wußte die ehemalige Königin der Ostsee sich nicht nur einen soliden
Grundstock althansischen Wohlstandes zu bewahren, sondern sogar, auch ohne
die Privilegien der alten Hanse und trotz der bösen Nachbarschaft der Dänen,
als Kommissionär Hamburgs ihre alten Beziehungen zu dem aufblühenden Finn¬
land, zu den russischen Küstenländern und zu Schweden und Dänemark neu zu
beleben. Und was die Hansestadt an der Ostsee verloren hatte, wurde durch die
beiden glücklicheren Schwesterstädte an der Nordsee, die sich, als der große
Hansebund zerfiel, mit Lübeck verpflichtet hatten, den alten Namen und die alte
Verbindung aufrecht zu erhalten, doppelt und dreifach wieder eingebracht. Nach¬
dem am 4. Juli 1776 die dreizehn englischen Kolonien in Nordamerika ihre
Unabhängigkeit vom Mutterlands erklärt hatten, und Englands Feinde an der
Seite der Rebellen sich anschickten, ihre Rache für alte Demütigungen zu nehmen,
begannen beide sofort, während ein greuelvoller Kaperkrieg alle Meere ver¬
wüstete, unter neutraler Flagge ihre große Schiffahrt. Insbesondere unternahm
es das anfänglich rascher und kräftiger vorwärts schreitende Bremen, in der
sichern Erkenntnis, daß seine Zukunft namentlich von dem Gedeihen seines nord-
amerikanischen Eigenhandels abhänge, das rauchlustige Deutschland mit den Ta¬
baken von Virginia und Maryland zu versorgen und sich selbst an Stelle Lon¬
dons zum ersten Tabaksmarkte emporzuarbeiten. Als es außer Zweifel
war, daß die größer und größer werdenden Schiffe des transatlantischen Ver¬
kehrs nicht mehr bis zu dem allzusehr landeinwärts gelegenen Weserplatzc hin¬
aufgelangen konnten, kaufte der Bürgermeister Johann Smidt --, derselbe,
der, Bremer mit Leib und Seele, schon als Jenaer Student mit Amel-Tenien
gegen die Dioskuren von Weimar aufgetreten war, weil Schiller sich unter¬
standen hatte, der Weser die demütige Äußerung in den Mund zu legen:
"Leider von mir ist gar nichts zu sagen," der während des Befreiungskrieges
durch rührige diplomatische Thätigkeit vor allen die Wiederherstellung seiner ge¬
liebten Hansestädte durchgesetzt hatte, dem sein Lebenlang der Ratschlag unver¬
gessen blieb, den ihm einst ein alter Basler Bürgermeister gegeben hatte: "wir
haben uns immer ein wenig größer gemacht, als wir waren, und haben uns
gut dabei gestanden" -- von dem gegen Oldenburg aufgereizten Hannover an
der völlig schiffbaren Unterwcser einige Hunderte Morgen des Anßendeichlandes
von Lebe und gründete darauf das neue Bremerhaven. Da die oldenburgischen
Ingenieure daran verzweifelten, an der Mündung der Weser einen Leuchtturm
herzustellen, übernahmen die Bremer die unlösbare Aufgabe und führten sie
glücklich zu Ende. Aus kleinen Anfängen, ohne Staatsunterstützung, aus
eigenster Kraft schuf Hermann Heinrich Meier die stolzeste Dampferflotte, die
heute der Ozean trägt, den Norddeutschen Lloyd.


Der Zollanschlnß Hamburgs und Bremens.

den, und nachdem seine baltische See durch das Aufblühen des ozeanischen Ver¬
kehrs ein bescheidenes Binnenmeer geworden war, von seiner einstigen Bevöl¬
kerung zwei Drittel und von seinem Handel beinahe fünf Sechstel eingebüßt.
Gleichwohl wußte die ehemalige Königin der Ostsee sich nicht nur einen soliden
Grundstock althansischen Wohlstandes zu bewahren, sondern sogar, auch ohne
die Privilegien der alten Hanse und trotz der bösen Nachbarschaft der Dänen,
als Kommissionär Hamburgs ihre alten Beziehungen zu dem aufblühenden Finn¬
land, zu den russischen Küstenländern und zu Schweden und Dänemark neu zu
beleben. Und was die Hansestadt an der Ostsee verloren hatte, wurde durch die
beiden glücklicheren Schwesterstädte an der Nordsee, die sich, als der große
Hansebund zerfiel, mit Lübeck verpflichtet hatten, den alten Namen und die alte
Verbindung aufrecht zu erhalten, doppelt und dreifach wieder eingebracht. Nach¬
dem am 4. Juli 1776 die dreizehn englischen Kolonien in Nordamerika ihre
Unabhängigkeit vom Mutterlands erklärt hatten, und Englands Feinde an der
Seite der Rebellen sich anschickten, ihre Rache für alte Demütigungen zu nehmen,
begannen beide sofort, während ein greuelvoller Kaperkrieg alle Meere ver¬
wüstete, unter neutraler Flagge ihre große Schiffahrt. Insbesondere unternahm
es das anfänglich rascher und kräftiger vorwärts schreitende Bremen, in der
sichern Erkenntnis, daß seine Zukunft namentlich von dem Gedeihen seines nord-
amerikanischen Eigenhandels abhänge, das rauchlustige Deutschland mit den Ta¬
baken von Virginia und Maryland zu versorgen und sich selbst an Stelle Lon¬
dons zum ersten Tabaksmarkte emporzuarbeiten. Als es außer Zweifel
war, daß die größer und größer werdenden Schiffe des transatlantischen Ver¬
kehrs nicht mehr bis zu dem allzusehr landeinwärts gelegenen Weserplatzc hin¬
aufgelangen konnten, kaufte der Bürgermeister Johann Smidt —, derselbe,
der, Bremer mit Leib und Seele, schon als Jenaer Student mit Amel-Tenien
gegen die Dioskuren von Weimar aufgetreten war, weil Schiller sich unter¬
standen hatte, der Weser die demütige Äußerung in den Mund zu legen:
„Leider von mir ist gar nichts zu sagen," der während des Befreiungskrieges
durch rührige diplomatische Thätigkeit vor allen die Wiederherstellung seiner ge¬
liebten Hansestädte durchgesetzt hatte, dem sein Lebenlang der Ratschlag unver¬
gessen blieb, den ihm einst ein alter Basler Bürgermeister gegeben hatte: „wir
haben uns immer ein wenig größer gemacht, als wir waren, und haben uns
gut dabei gestanden" — von dem gegen Oldenburg aufgereizten Hannover an
der völlig schiffbaren Unterwcser einige Hunderte Morgen des Anßendeichlandes
von Lebe und gründete darauf das neue Bremerhaven. Da die oldenburgischen
Ingenieure daran verzweifelten, an der Mündung der Weser einen Leuchtturm
herzustellen, übernahmen die Bremer die unlösbare Aufgabe und führten sie
glücklich zu Ende. Aus kleinen Anfängen, ohne Staatsunterstützung, aus
eigenster Kraft schuf Hermann Heinrich Meier die stolzeste Dampferflotte, die
heute der Ozean trägt, den Norddeutschen Lloyd.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/394>, abgerufen am 22.07.2024.