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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die preußische Landtagswahl und die römische Frage.

bereits an das Jahr 1875 erinnert, begegnen wir auch in Frankreich. Sie
hat dort, wie in Österreich, einen hervorragend politischen Charakter und
ausgesprochen politische Ziele. Jede durchgreifende Veränderung der innern
Lage Frankreichs vollzieht sich in dieser Richtung. Wir haben neuerdings ge¬
sehen, wie die Republik der Freidenker sich nach außen hin in den Dienst des
Papstes stellt, und wie die katholischen Missionen, besonders in Asien, mit
französischen Missionen gleichbedeutend sind. Wenn die Republik von 1849
Rom dem Papste zurückgab, weshalb sollte die Republik von heute davor
zurückschrecken -- wäre nur der Dreibund nicht da. So sind die Anstren¬
gungen, die sich gegen den letztern richten, eng verquickt mit den Bestrebungen
auf Wiederherstellung der weltlichen Papstmacht, und wie der Papst noch am
24. Oktober die neapolitanischen Pilger ermahnte, sich immer als ausdauernde
und furchtlose Freunde dieser edlen Sache zu zeigen, wie er bei einem andern
Anlaß kürzlich sagte: "wenn der Papst sich bedrückt fühlt, so sind die Katho¬
liken unzufrieden," so hat diese katholische Agitation in Deutschland und Öster¬
reich den wenn auch nicht genannten Zweck, durch die Unzufriedenheit der
Katholiken einen Druck auf die Regierungen zu üben, ihre Aktionskraft zu
lähmen, womöglich die Auflösung des Dreibundes herbeizuführen. Die NviltZ,
oatwliog, hat in ihrem am 3. November erschienenen Heft hierüber recht
deutlichen Aufschluß gegeben. Diese Aufgabe des Herrn Windthorst ist aller¬
dings "noch nicht gelöst."

Aus diesem Grunde ist der Kirchenfrieden für ihn so wenig ein Hindernis
zur Wiederaufnahme des Streites, wie der Wahlerlaß des Bischofs von
Münster für ihn ein Hindernis war, in Hagen die Wiederwahl Eugen Richters
vorzuschreiben, obgleich diese doch zu dem bischöflichen Erlaß, der die Wahl
von Männern empfiehlt, die von Religion und Gottesfurcht durchdrungen sind,
im denkbar größten Gegensatze steht. Die Schulfrage ist eben Mittel zum
Zweck. Herr Windthorst weiß genau, daß der preußische Staat die Axt an
die eigne Wurzel legen würde, wenn er die Schule aus der Hand geben wollte,
und daß dazu kein preußischer Staatsmann sich bereit finden lassen wird.
Aber darauf kommt es auch gar nicht an. Je entschiedeneren Widerstand der
Staat leistet, um so länger kann der Kampf fortgesponnen werden, dieser Kampf,
welcher der Kitt für die Zentrumspartei, die Nährwurzel der Zentrumspresse
und das einzige Piedestal der Windthorstschen Führerschaft ist. In dieser
anßerordertlich bequemen Position hat der Führer des Zentrums die Partei
völlig und dauernd in seiner Hand und kann sie zu seinen sonstigen Zwecken
wie die Steine im Brettspiel brauchen. Wohl hat Herr Windthorst dem
Fürsten Bismarck für den Abschluß des deutsch-österreichischen Bündnisses
Komplimente gemacht und dieses Bündnis als eine seiner bedeutendsten Thaten
gepriesen. Aber wir zweifeln nicht, daß der Kanzler da einen Augenblick
mißtrauisch gegen sich selbst geworden ist und sich die Sache noch einmal


Die preußische Landtagswahl und die römische Frage.

bereits an das Jahr 1875 erinnert, begegnen wir auch in Frankreich. Sie
hat dort, wie in Österreich, einen hervorragend politischen Charakter und
ausgesprochen politische Ziele. Jede durchgreifende Veränderung der innern
Lage Frankreichs vollzieht sich in dieser Richtung. Wir haben neuerdings ge¬
sehen, wie die Republik der Freidenker sich nach außen hin in den Dienst des
Papstes stellt, und wie die katholischen Missionen, besonders in Asien, mit
französischen Missionen gleichbedeutend sind. Wenn die Republik von 1849
Rom dem Papste zurückgab, weshalb sollte die Republik von heute davor
zurückschrecken — wäre nur der Dreibund nicht da. So sind die Anstren¬
gungen, die sich gegen den letztern richten, eng verquickt mit den Bestrebungen
auf Wiederherstellung der weltlichen Papstmacht, und wie der Papst noch am
24. Oktober die neapolitanischen Pilger ermahnte, sich immer als ausdauernde
und furchtlose Freunde dieser edlen Sache zu zeigen, wie er bei einem andern
Anlaß kürzlich sagte: „wenn der Papst sich bedrückt fühlt, so sind die Katho¬
liken unzufrieden," so hat diese katholische Agitation in Deutschland und Öster¬
reich den wenn auch nicht genannten Zweck, durch die Unzufriedenheit der
Katholiken einen Druck auf die Regierungen zu üben, ihre Aktionskraft zu
lähmen, womöglich die Auflösung des Dreibundes herbeizuführen. Die NviltZ,
oatwliog, hat in ihrem am 3. November erschienenen Heft hierüber recht
deutlichen Aufschluß gegeben. Diese Aufgabe des Herrn Windthorst ist aller¬
dings „noch nicht gelöst."

Aus diesem Grunde ist der Kirchenfrieden für ihn so wenig ein Hindernis
zur Wiederaufnahme des Streites, wie der Wahlerlaß des Bischofs von
Münster für ihn ein Hindernis war, in Hagen die Wiederwahl Eugen Richters
vorzuschreiben, obgleich diese doch zu dem bischöflichen Erlaß, der die Wahl
von Männern empfiehlt, die von Religion und Gottesfurcht durchdrungen sind,
im denkbar größten Gegensatze steht. Die Schulfrage ist eben Mittel zum
Zweck. Herr Windthorst weiß genau, daß der preußische Staat die Axt an
die eigne Wurzel legen würde, wenn er die Schule aus der Hand geben wollte,
und daß dazu kein preußischer Staatsmann sich bereit finden lassen wird.
Aber darauf kommt es auch gar nicht an. Je entschiedeneren Widerstand der
Staat leistet, um so länger kann der Kampf fortgesponnen werden, dieser Kampf,
welcher der Kitt für die Zentrumspartei, die Nährwurzel der Zentrumspresse
und das einzige Piedestal der Windthorstschen Führerschaft ist. In dieser
anßerordertlich bequemen Position hat der Führer des Zentrums die Partei
völlig und dauernd in seiner Hand und kann sie zu seinen sonstigen Zwecken
wie die Steine im Brettspiel brauchen. Wohl hat Herr Windthorst dem
Fürsten Bismarck für den Abschluß des deutsch-österreichischen Bündnisses
Komplimente gemacht und dieses Bündnis als eine seiner bedeutendsten Thaten
gepriesen. Aber wir zweifeln nicht, daß der Kanzler da einen Augenblick
mißtrauisch gegen sich selbst geworden ist und sich die Sache noch einmal


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/387>, abgerufen am 02.07.2024.