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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die preußische Tandtagswahl und die römische Frcige.

erhält diese Thatsache dadurch, daß die bischöflichen Erlasse zu der Zeit erschienen
sind, wo der Kaiser in Rom weilte. Vom 10. Oktober datirt das Wahlschreiben
des Erzbischofs von Köln, am 12. Oktober besuchte Kaiser Wilhelm den Papst.

Ist auch für jedermann, dem unsre Geschichte seit 1866 geläufig ist, voll¬
kommen begreiflich, daß Herr Windthorst den vom Papste für beendet erklärten
Kampf fortzuführen für notwendig erachtet, weil seine ganzen politischen Pläne
darauf gebaut sind, die Bevölkerung in Unfrieden und Aufregung zu erhalten,
so erscheint doch die Handlungsweise der Bischöfe nur dann verständlich, wenn
man sie in jene große Bewegung eingliedert, die unverkennbar die gesamte
katholische Welt durchzieht. Zum Teil vielleicht durch das Jubiläumsjahr des
Papstes, die zahlreichen Pilgerfahrten und vielfachen Kundgebungen Leos XIII.
hervorgerufen oder doch genährt, greift sie doch zum größern Teile in das kriegs¬
gefahrschwangere Jahr 1887 zurück und hat ihren Ausgangspunkt in der Situa¬
tion, welche durch die Verleihung des Schwarzen Adlerordens an den Grafen
Nobilant bezeichnet wurde. Der Dreibund gewährte Italien eine Bürgschaft für
seine Hauptstadt, wie es sie bis dahin noch nicht besessen hatte, aber damit war
den deutsch- und fricdensfeindlichen Bestrebungen zugleich ein neuer Angriffs¬
punkt gegeben. Bündnisverträge schließen für die verbündeten Staaten die
Verbürgung des Besitzstandes ein und jede Erörterung desselben aus. Von
diesem Gesichtspunkte muß die Anfeindung beurteilt werden, welcher das deutsch¬
österreichische Bündnis, welcher der Dreibund in gewissen Kreisen Österreichs
begegnet. Finden wir doch die Vertreter dieser Richtung unter dem Aufruf
vom 2. November, der die Katholiken Österreichs, "die katholischen Männer
aller Länder, aller Zungen der habsburgisch-lothringischen Monarchie" zum
zweiten österreichischen Katholikentag auf den 2ö. bis 29. November nach Wien
beruft. "Große Fragen der Gegenwart" sollen ans diesem Katholikentage ver¬
handelt werden, den die Einberufer unter den Schutz des göttlichen Herzens
Jesu stellen. Sie bezeichnen die Versammlung als "eine patriotische That,"
"weil jede Stärkung katholischen Geistes eine Stärkung Österreichs bedeutet,
denn Österreichs Grundvesten lagern tief im katholischen Christentum." Diesem
Katholikentage soll Prinz Liechtenstein Präsidiren, der Urheber der bekannten
Schulanträge im österreichischen Reichsrat, die zwar einstweilen auf den sehr
bestimmt ausgesprochenen Wunsch des Kaisers Franz Joseph vertagt worden
sind, aber der Katholikentag hat gar keinen andern Zweck, als der Politik, wie
sie durch den deutschen Adel Österreichs betrieben wird, der so undeutschen
Bestrebungen seinen Einfluß leiht und sich völlig in den Dienst derselben stellt,
als Stütze zu dienen. Der Eintritt des Grafen Schönborn in das Ministerium
Taaffe ist ein weiterer und deutlicher Schritt auf diesem Wege, während von
Osten her von Tag zu Tag erkennbarer eine ernste Gefahr gegen das Reich
heranzieht.

Einer mehr und mehr erstarkenden katholischen Bewegung, die vielfach


Die preußische Tandtagswahl und die römische Frcige.

erhält diese Thatsache dadurch, daß die bischöflichen Erlasse zu der Zeit erschienen
sind, wo der Kaiser in Rom weilte. Vom 10. Oktober datirt das Wahlschreiben
des Erzbischofs von Köln, am 12. Oktober besuchte Kaiser Wilhelm den Papst.

Ist auch für jedermann, dem unsre Geschichte seit 1866 geläufig ist, voll¬
kommen begreiflich, daß Herr Windthorst den vom Papste für beendet erklärten
Kampf fortzuführen für notwendig erachtet, weil seine ganzen politischen Pläne
darauf gebaut sind, die Bevölkerung in Unfrieden und Aufregung zu erhalten,
so erscheint doch die Handlungsweise der Bischöfe nur dann verständlich, wenn
man sie in jene große Bewegung eingliedert, die unverkennbar die gesamte
katholische Welt durchzieht. Zum Teil vielleicht durch das Jubiläumsjahr des
Papstes, die zahlreichen Pilgerfahrten und vielfachen Kundgebungen Leos XIII.
hervorgerufen oder doch genährt, greift sie doch zum größern Teile in das kriegs¬
gefahrschwangere Jahr 1887 zurück und hat ihren Ausgangspunkt in der Situa¬
tion, welche durch die Verleihung des Schwarzen Adlerordens an den Grafen
Nobilant bezeichnet wurde. Der Dreibund gewährte Italien eine Bürgschaft für
seine Hauptstadt, wie es sie bis dahin noch nicht besessen hatte, aber damit war
den deutsch- und fricdensfeindlichen Bestrebungen zugleich ein neuer Angriffs¬
punkt gegeben. Bündnisverträge schließen für die verbündeten Staaten die
Verbürgung des Besitzstandes ein und jede Erörterung desselben aus. Von
diesem Gesichtspunkte muß die Anfeindung beurteilt werden, welcher das deutsch¬
österreichische Bündnis, welcher der Dreibund in gewissen Kreisen Österreichs
begegnet. Finden wir doch die Vertreter dieser Richtung unter dem Aufruf
vom 2. November, der die Katholiken Österreichs, „die katholischen Männer
aller Länder, aller Zungen der habsburgisch-lothringischen Monarchie" zum
zweiten österreichischen Katholikentag auf den 2ö. bis 29. November nach Wien
beruft. „Große Fragen der Gegenwart" sollen ans diesem Katholikentage ver¬
handelt werden, den die Einberufer unter den Schutz des göttlichen Herzens
Jesu stellen. Sie bezeichnen die Versammlung als „eine patriotische That,"
„weil jede Stärkung katholischen Geistes eine Stärkung Österreichs bedeutet,
denn Österreichs Grundvesten lagern tief im katholischen Christentum." Diesem
Katholikentage soll Prinz Liechtenstein Präsidiren, der Urheber der bekannten
Schulanträge im österreichischen Reichsrat, die zwar einstweilen auf den sehr
bestimmt ausgesprochenen Wunsch des Kaisers Franz Joseph vertagt worden
sind, aber der Katholikentag hat gar keinen andern Zweck, als der Politik, wie
sie durch den deutschen Adel Österreichs betrieben wird, der so undeutschen
Bestrebungen seinen Einfluß leiht und sich völlig in den Dienst derselben stellt,
als Stütze zu dienen. Der Eintritt des Grafen Schönborn in das Ministerium
Taaffe ist ein weiterer und deutlicher Schritt auf diesem Wege, während von
Osten her von Tag zu Tag erkennbarer eine ernste Gefahr gegen das Reich
heranzieht.

Einer mehr und mehr erstarkenden katholischen Bewegung, die vielfach


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[0386] Die preußische Tandtagswahl und die römische Frcige. erhält diese Thatsache dadurch, daß die bischöflichen Erlasse zu der Zeit erschienen sind, wo der Kaiser in Rom weilte. Vom 10. Oktober datirt das Wahlschreiben des Erzbischofs von Köln, am 12. Oktober besuchte Kaiser Wilhelm den Papst. Ist auch für jedermann, dem unsre Geschichte seit 1866 geläufig ist, voll¬ kommen begreiflich, daß Herr Windthorst den vom Papste für beendet erklärten Kampf fortzuführen für notwendig erachtet, weil seine ganzen politischen Pläne darauf gebaut sind, die Bevölkerung in Unfrieden und Aufregung zu erhalten, so erscheint doch die Handlungsweise der Bischöfe nur dann verständlich, wenn man sie in jene große Bewegung eingliedert, die unverkennbar die gesamte katholische Welt durchzieht. Zum Teil vielleicht durch das Jubiläumsjahr des Papstes, die zahlreichen Pilgerfahrten und vielfachen Kundgebungen Leos XIII. hervorgerufen oder doch genährt, greift sie doch zum größern Teile in das kriegs¬ gefahrschwangere Jahr 1887 zurück und hat ihren Ausgangspunkt in der Situa¬ tion, welche durch die Verleihung des Schwarzen Adlerordens an den Grafen Nobilant bezeichnet wurde. Der Dreibund gewährte Italien eine Bürgschaft für seine Hauptstadt, wie es sie bis dahin noch nicht besessen hatte, aber damit war den deutsch- und fricdensfeindlichen Bestrebungen zugleich ein neuer Angriffs¬ punkt gegeben. Bündnisverträge schließen für die verbündeten Staaten die Verbürgung des Besitzstandes ein und jede Erörterung desselben aus. Von diesem Gesichtspunkte muß die Anfeindung beurteilt werden, welcher das deutsch¬ österreichische Bündnis, welcher der Dreibund in gewissen Kreisen Österreichs begegnet. Finden wir doch die Vertreter dieser Richtung unter dem Aufruf vom 2. November, der die Katholiken Österreichs, „die katholischen Männer aller Länder, aller Zungen der habsburgisch-lothringischen Monarchie" zum zweiten österreichischen Katholikentag auf den 2ö. bis 29. November nach Wien beruft. „Große Fragen der Gegenwart" sollen ans diesem Katholikentage ver¬ handelt werden, den die Einberufer unter den Schutz des göttlichen Herzens Jesu stellen. Sie bezeichnen die Versammlung als „eine patriotische That," „weil jede Stärkung katholischen Geistes eine Stärkung Österreichs bedeutet, denn Österreichs Grundvesten lagern tief im katholischen Christentum." Diesem Katholikentage soll Prinz Liechtenstein Präsidiren, der Urheber der bekannten Schulanträge im österreichischen Reichsrat, die zwar einstweilen auf den sehr bestimmt ausgesprochenen Wunsch des Kaisers Franz Joseph vertagt worden sind, aber der Katholikentag hat gar keinen andern Zweck, als der Politik, wie sie durch den deutschen Adel Österreichs betrieben wird, der so undeutschen Bestrebungen seinen Einfluß leiht und sich völlig in den Dienst derselben stellt, als Stütze zu dienen. Der Eintritt des Grafen Schönborn in das Ministerium Taaffe ist ein weiterer und deutlicher Schritt auf diesem Wege, während von Osten her von Tag zu Tag erkennbarer eine ernste Gefahr gegen das Reich heranzieht. Einer mehr und mehr erstarkenden katholischen Bewegung, die vielfach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/386>, abgerufen am 04.07.2024.