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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die preußische Landtagswahl und die römische Frage.

genau angesehen hat. Für den Welfenstaatsmcmn sind freilich dabei andre Er¬
wägungen maßgebend als für den deutschen Reichskanzler. Der letztere wird
dafür zu sorgen wissen, daß die seinigen maßgebend bleiben, und der Dreibund
wird seine Kraft auch dann bewähren, wenn etwa Frankreich früher oder später,
auf die Stärke der katholischen Bewegung in Deutschland und namentlich in
Österreich vertrauend, Rom zur "Befreiung" des Papstes angreift. Frankreich
wird sein ersichtlich wieder erstarkendes Ausdchuungsbedürfnis stets durch eine
"Idee" zu legitimiren suchen, denn nur für eine solche wird die Nation fortzureißen
sein. Mit der bloßen "Revanche" ist es nichts, dazu ist Elsaß-Lothringe" dem
größten Teil der Franzosen viel zu gleichgiltig, und ein Revolutionskrieg im Namen
des vierten Standes, wie zu Ende des vorigen Jahrhunderts im Namen des
dritten Standes, dürfte auch nicht im Geschmack der Nation liegen, die den
Sanskülottismus doch nur vorübergehend als ein Extrem der Mode erträgt.
Aber für die "Befreiung des Papstes" wäre das Risiko ein geringeres, voraus¬
gesetzt, daß es zuvor gelingt, Deutschland zu neutralisiren. Zu solcher Politik
würde die Republik jetzt vielleicht noch bereitwilliger sein als eine sie beerbende
Monarchie. Das päpstliche Rundschreiben an die Nuntiaturen aus Anlaß des
Kaiserbesuchs sanktionirt im voraus alle derartigen Bestrebungen, es stellt die
gegenwärtige Lage als eine "für den Papst gänzlich unwürdige, die ganze ka¬
tholische Welt verletzende" hin. Schon sehen wir als zeitgemäße Erscheinung
auch die russischen Sendboten im Vatikan auftauchen und den französischen
Einfluß in Madrid bereits die Besetzung der spanischen Botschafterposten er¬
reichen.

Mit dem großen Geschick, welches die vatikanische Diplomatie in der Be¬
herrschung und Führerschaft der Massen bethätigt, hat sie sich soeben in kluger
Voraussicht auch mit an die Spitze der Bewegung gegen die Sklaverei gestellt.
Die Gürzemch-Versammlung in Köln war stark von klerikalen Elementen durch¬
setzt, Führer des Zentrums sind in der Agitation thätig, die ihnen einen neuen
Zugang des Einflusses auf die Massen eröffnet. Ist es einerseits begreiflich, daß die
römische Kirche sich einen möglichst großen Anteil an den zu belehrenden Neger¬
völkern zu sichern sucht, denen die Kultur Europas sich jetzt unzweifelhaft nähert,
so sind anderseits die achtzigtausend Franks, welche Kardinal Lavigerie dem
in Köln begründeten katholischen Afrikaverein zur Verfügung gestellt hat, doch
eine Ziffer, die im Auge behalten werden muß.

Die dieser Betrachtung vorgesetzte Überschrift ist weit davon entfernt, etwa
zu besagen, daß für uns Deutsche, für die deutsche Politik, die römische Frage,
d. h. die Frage der Hauptstadt Rom, irgend vorhanden wäre. Als Victor
Emanuel auf dem Monte Citorio vor dem italienischen Parlament die sieges¬
frohen Worte sprach: "Wir sind in Rom ! angelangt, und hier werden wir
bleiben," war diese Frage auch für Deutschland erledigt. Wohl aber zeichnet
sich auf dem Hintergrunde der jetzt beendeten preußischen Landtagswahl, durch


Die preußische Landtagswahl und die römische Frage.

genau angesehen hat. Für den Welfenstaatsmcmn sind freilich dabei andre Er¬
wägungen maßgebend als für den deutschen Reichskanzler. Der letztere wird
dafür zu sorgen wissen, daß die seinigen maßgebend bleiben, und der Dreibund
wird seine Kraft auch dann bewähren, wenn etwa Frankreich früher oder später,
auf die Stärke der katholischen Bewegung in Deutschland und namentlich in
Österreich vertrauend, Rom zur „Befreiung" des Papstes angreift. Frankreich
wird sein ersichtlich wieder erstarkendes Ausdchuungsbedürfnis stets durch eine
„Idee" zu legitimiren suchen, denn nur für eine solche wird die Nation fortzureißen
sein. Mit der bloßen „Revanche" ist es nichts, dazu ist Elsaß-Lothringe» dem
größten Teil der Franzosen viel zu gleichgiltig, und ein Revolutionskrieg im Namen
des vierten Standes, wie zu Ende des vorigen Jahrhunderts im Namen des
dritten Standes, dürfte auch nicht im Geschmack der Nation liegen, die den
Sanskülottismus doch nur vorübergehend als ein Extrem der Mode erträgt.
Aber für die „Befreiung des Papstes" wäre das Risiko ein geringeres, voraus¬
gesetzt, daß es zuvor gelingt, Deutschland zu neutralisiren. Zu solcher Politik
würde die Republik jetzt vielleicht noch bereitwilliger sein als eine sie beerbende
Monarchie. Das päpstliche Rundschreiben an die Nuntiaturen aus Anlaß des
Kaiserbesuchs sanktionirt im voraus alle derartigen Bestrebungen, es stellt die
gegenwärtige Lage als eine „für den Papst gänzlich unwürdige, die ganze ka¬
tholische Welt verletzende" hin. Schon sehen wir als zeitgemäße Erscheinung
auch die russischen Sendboten im Vatikan auftauchen und den französischen
Einfluß in Madrid bereits die Besetzung der spanischen Botschafterposten er¬
reichen.

Mit dem großen Geschick, welches die vatikanische Diplomatie in der Be¬
herrschung und Führerschaft der Massen bethätigt, hat sie sich soeben in kluger
Voraussicht auch mit an die Spitze der Bewegung gegen die Sklaverei gestellt.
Die Gürzemch-Versammlung in Köln war stark von klerikalen Elementen durch¬
setzt, Führer des Zentrums sind in der Agitation thätig, die ihnen einen neuen
Zugang des Einflusses auf die Massen eröffnet. Ist es einerseits begreiflich, daß die
römische Kirche sich einen möglichst großen Anteil an den zu belehrenden Neger¬
völkern zu sichern sucht, denen die Kultur Europas sich jetzt unzweifelhaft nähert,
so sind anderseits die achtzigtausend Franks, welche Kardinal Lavigerie dem
in Köln begründeten katholischen Afrikaverein zur Verfügung gestellt hat, doch
eine Ziffer, die im Auge behalten werden muß.

Die dieser Betrachtung vorgesetzte Überschrift ist weit davon entfernt, etwa
zu besagen, daß für uns Deutsche, für die deutsche Politik, die römische Frage,
d. h. die Frage der Hauptstadt Rom, irgend vorhanden wäre. Als Victor
Emanuel auf dem Monte Citorio vor dem italienischen Parlament die sieges¬
frohen Worte sprach: „Wir sind in Rom ! angelangt, und hier werden wir
bleiben," war diese Frage auch für Deutschland erledigt. Wohl aber zeichnet
sich auf dem Hintergrunde der jetzt beendeten preußischen Landtagswahl, durch


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[0388] Die preußische Landtagswahl und die römische Frage. genau angesehen hat. Für den Welfenstaatsmcmn sind freilich dabei andre Er¬ wägungen maßgebend als für den deutschen Reichskanzler. Der letztere wird dafür zu sorgen wissen, daß die seinigen maßgebend bleiben, und der Dreibund wird seine Kraft auch dann bewähren, wenn etwa Frankreich früher oder später, auf die Stärke der katholischen Bewegung in Deutschland und namentlich in Österreich vertrauend, Rom zur „Befreiung" des Papstes angreift. Frankreich wird sein ersichtlich wieder erstarkendes Ausdchuungsbedürfnis stets durch eine „Idee" zu legitimiren suchen, denn nur für eine solche wird die Nation fortzureißen sein. Mit der bloßen „Revanche" ist es nichts, dazu ist Elsaß-Lothringe» dem größten Teil der Franzosen viel zu gleichgiltig, und ein Revolutionskrieg im Namen des vierten Standes, wie zu Ende des vorigen Jahrhunderts im Namen des dritten Standes, dürfte auch nicht im Geschmack der Nation liegen, die den Sanskülottismus doch nur vorübergehend als ein Extrem der Mode erträgt. Aber für die „Befreiung des Papstes" wäre das Risiko ein geringeres, voraus¬ gesetzt, daß es zuvor gelingt, Deutschland zu neutralisiren. Zu solcher Politik würde die Republik jetzt vielleicht noch bereitwilliger sein als eine sie beerbende Monarchie. Das päpstliche Rundschreiben an die Nuntiaturen aus Anlaß des Kaiserbesuchs sanktionirt im voraus alle derartigen Bestrebungen, es stellt die gegenwärtige Lage als eine „für den Papst gänzlich unwürdige, die ganze ka¬ tholische Welt verletzende" hin. Schon sehen wir als zeitgemäße Erscheinung auch die russischen Sendboten im Vatikan auftauchen und den französischen Einfluß in Madrid bereits die Besetzung der spanischen Botschafterposten er¬ reichen. Mit dem großen Geschick, welches die vatikanische Diplomatie in der Be¬ herrschung und Führerschaft der Massen bethätigt, hat sie sich soeben in kluger Voraussicht auch mit an die Spitze der Bewegung gegen die Sklaverei gestellt. Die Gürzemch-Versammlung in Köln war stark von klerikalen Elementen durch¬ setzt, Führer des Zentrums sind in der Agitation thätig, die ihnen einen neuen Zugang des Einflusses auf die Massen eröffnet. Ist es einerseits begreiflich, daß die römische Kirche sich einen möglichst großen Anteil an den zu belehrenden Neger¬ völkern zu sichern sucht, denen die Kultur Europas sich jetzt unzweifelhaft nähert, so sind anderseits die achtzigtausend Franks, welche Kardinal Lavigerie dem in Köln begründeten katholischen Afrikaverein zur Verfügung gestellt hat, doch eine Ziffer, die im Auge behalten werden muß. Die dieser Betrachtung vorgesetzte Überschrift ist weit davon entfernt, etwa zu besagen, daß für uns Deutsche, für die deutsche Politik, die römische Frage, d. h. die Frage der Hauptstadt Rom, irgend vorhanden wäre. Als Victor Emanuel auf dem Monte Citorio vor dem italienischen Parlament die sieges¬ frohen Worte sprach: „Wir sind in Rom ! angelangt, und hier werden wir bleiben," war diese Frage auch für Deutschland erledigt. Wohl aber zeichnet sich auf dem Hintergrunde der jetzt beendeten preußischen Landtagswahl, durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/388>, abgerufen am 30.06.2024.