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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Universitäten im Mittelalter.

d. h. alle, welche "Studirens halber" an fremdem Orte leben, wo sie nicht heimats-
berechtigt (ohne Bürgerrechte) sind, in des Kaisers besondern Schutz. Namentlich
bezieht sich dies auf Haftbarmcichung der Scholaren, d. i. Studenten oder
Professoren, für Schulden oder Vergehen ihrer Landsleute. Bologna, die alte
Rechtsschule, rühmte sich, dem Kaiser, als er 1155 vor ihrer Stadt lagerte, die
Anregung zu diesem bedeutungsvollen Schritte gegeben zu haben. In der That
lassen sich dessen Wirkungen, obwohl auf alle Schulen gehend, zunächst und
am bedeutendsten in Bologna spüren. Das kaiserliche Privileg gab dort zu¬
gleich den Antrieb zur Bildung von Genossenschaften, um seinen Genuß zu
sichern und seiner Anerkennung bei den städtischen Behörden gegebenen Falls
den nötigen Nachdruck zu verschaffen. So tritt der rmivsrsitg.8 oivwra, wie
sich die mittelalterliche Stadtgemeinde bezeichnet, nunmehr geschloffen eine
uvivöiÄtW selrolarwin gegenüber. Man sieht, daß der Name Universität in
seiner jetzigen Bedeutung als Gesamtheit der Wissenschaften mit seinen Anfängen
wenig zu thun hat. Wie wichtig er aber damals erschien, lehren die
unaufhörlichen Reibungen und Kämpfe, mit deuen die neuen Körperschaften ins
Leben traten. Kurz nach diesen Anfängen Bolognas, im Beginn des dreizehnten
Jahrhunderts, organisirt sich Paris, d. h. es bietet eine nicht abreißende Reihe
von Skandalen zwischen Studentenschaft und Bürgerschaft, in die der Hof ver¬
wickelt wird. Die Drohungen der Studentenschaft gegen die Stadt, die in
einer förmlichen Auswanderung gipfeln, lehren, wie die junge Macht sich zu
fühlen beginnt. Und auf diesem akademisch-republikanischen Wege entstehen wirklich
bereits neue Universitäten, Padua von Bologna aus, wie später in Deutschland
Leipzig von Prag. Die Auswanderung der Pariser auf Anlaß einer Vorstadtschlägerei
in der Fastnacht 1229 (bei der den Studenten auf königlichen Befehl von der
Polizeigewalt übel mitgespielt worden war) wird eine weltbewegende, inter¬
nationale Angelegenheit. König Heinrich III. von England ladet die Aus¬
wanderer förmlich ein und stellt ihnen alle Städte seines Gebietes mit der denk¬
barsten Freiheit zur Verfügung. Der Papst Gregor IX. muß sich ins Mittel
legen. Seine Bulle Garens soigntiÄrum 1231 ist für Paris von ähnlicher
Wichtigkeit, wie die ^ntdsnticZÄ UMtg, für Bologna. Sie regelt die Verhältnisse
der Universität zum Kanzler des Bischofs, dein geistlichen Vorstände jener Uni¬
versitäten in Frankreich und England, die man im Gegensatz gegen die Stadt¬
universitäten Italiens darnach Kanzlernniversitüten nennen kann. Sie ist für
die akademische Gerichtsbarkeit im allgemeinen ebenso bedeutungsvoll, wie Kaiser
Friedrichs Erlaß für die akademische Freiheit.

Paris und Bologna zeigen die Grundtypen, aus denen das akademische
Leben erwachsen ist. In Bologna die republikanische Scholarenverfassung, in
Paris das Magisterregimcnt, dort der Rektor ein vornehmer Student, der als
oberster Ausschuß die Leitung der Studentenschaft übernimmt, sie zu vertreten
hat, hier ein Magister, der ihre Geschäfte beamtenmäßig besorgt. Die Aus-


Die Universitäten im Mittelalter.

d. h. alle, welche „Studirens halber" an fremdem Orte leben, wo sie nicht heimats-
berechtigt (ohne Bürgerrechte) sind, in des Kaisers besondern Schutz. Namentlich
bezieht sich dies auf Haftbarmcichung der Scholaren, d. i. Studenten oder
Professoren, für Schulden oder Vergehen ihrer Landsleute. Bologna, die alte
Rechtsschule, rühmte sich, dem Kaiser, als er 1155 vor ihrer Stadt lagerte, die
Anregung zu diesem bedeutungsvollen Schritte gegeben zu haben. In der That
lassen sich dessen Wirkungen, obwohl auf alle Schulen gehend, zunächst und
am bedeutendsten in Bologna spüren. Das kaiserliche Privileg gab dort zu¬
gleich den Antrieb zur Bildung von Genossenschaften, um seinen Genuß zu
sichern und seiner Anerkennung bei den städtischen Behörden gegebenen Falls
den nötigen Nachdruck zu verschaffen. So tritt der rmivsrsitg.8 oivwra, wie
sich die mittelalterliche Stadtgemeinde bezeichnet, nunmehr geschloffen eine
uvivöiÄtW selrolarwin gegenüber. Man sieht, daß der Name Universität in
seiner jetzigen Bedeutung als Gesamtheit der Wissenschaften mit seinen Anfängen
wenig zu thun hat. Wie wichtig er aber damals erschien, lehren die
unaufhörlichen Reibungen und Kämpfe, mit deuen die neuen Körperschaften ins
Leben traten. Kurz nach diesen Anfängen Bolognas, im Beginn des dreizehnten
Jahrhunderts, organisirt sich Paris, d. h. es bietet eine nicht abreißende Reihe
von Skandalen zwischen Studentenschaft und Bürgerschaft, in die der Hof ver¬
wickelt wird. Die Drohungen der Studentenschaft gegen die Stadt, die in
einer förmlichen Auswanderung gipfeln, lehren, wie die junge Macht sich zu
fühlen beginnt. Und auf diesem akademisch-republikanischen Wege entstehen wirklich
bereits neue Universitäten, Padua von Bologna aus, wie später in Deutschland
Leipzig von Prag. Die Auswanderung der Pariser auf Anlaß einer Vorstadtschlägerei
in der Fastnacht 1229 (bei der den Studenten auf königlichen Befehl von der
Polizeigewalt übel mitgespielt worden war) wird eine weltbewegende, inter¬
nationale Angelegenheit. König Heinrich III. von England ladet die Aus¬
wanderer förmlich ein und stellt ihnen alle Städte seines Gebietes mit der denk¬
barsten Freiheit zur Verfügung. Der Papst Gregor IX. muß sich ins Mittel
legen. Seine Bulle Garens soigntiÄrum 1231 ist für Paris von ähnlicher
Wichtigkeit, wie die ^ntdsnticZÄ UMtg, für Bologna. Sie regelt die Verhältnisse
der Universität zum Kanzler des Bischofs, dein geistlichen Vorstände jener Uni¬
versitäten in Frankreich und England, die man im Gegensatz gegen die Stadt¬
universitäten Italiens darnach Kanzlernniversitüten nennen kann. Sie ist für
die akademische Gerichtsbarkeit im allgemeinen ebenso bedeutungsvoll, wie Kaiser
Friedrichs Erlaß für die akademische Freiheit.

Paris und Bologna zeigen die Grundtypen, aus denen das akademische
Leben erwachsen ist. In Bologna die republikanische Scholarenverfassung, in
Paris das Magisterregimcnt, dort der Rektor ein vornehmer Student, der als
oberster Ausschuß die Leitung der Studentenschaft übernimmt, sie zu vertreten
hat, hier ein Magister, der ihre Geschäfte beamtenmäßig besorgt. Die Aus-


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[0038] Die Universitäten im Mittelalter. d. h. alle, welche „Studirens halber" an fremdem Orte leben, wo sie nicht heimats- berechtigt (ohne Bürgerrechte) sind, in des Kaisers besondern Schutz. Namentlich bezieht sich dies auf Haftbarmcichung der Scholaren, d. i. Studenten oder Professoren, für Schulden oder Vergehen ihrer Landsleute. Bologna, die alte Rechtsschule, rühmte sich, dem Kaiser, als er 1155 vor ihrer Stadt lagerte, die Anregung zu diesem bedeutungsvollen Schritte gegeben zu haben. In der That lassen sich dessen Wirkungen, obwohl auf alle Schulen gehend, zunächst und am bedeutendsten in Bologna spüren. Das kaiserliche Privileg gab dort zu¬ gleich den Antrieb zur Bildung von Genossenschaften, um seinen Genuß zu sichern und seiner Anerkennung bei den städtischen Behörden gegebenen Falls den nötigen Nachdruck zu verschaffen. So tritt der rmivsrsitg.8 oivwra, wie sich die mittelalterliche Stadtgemeinde bezeichnet, nunmehr geschloffen eine uvivöiÄtW selrolarwin gegenüber. Man sieht, daß der Name Universität in seiner jetzigen Bedeutung als Gesamtheit der Wissenschaften mit seinen Anfängen wenig zu thun hat. Wie wichtig er aber damals erschien, lehren die unaufhörlichen Reibungen und Kämpfe, mit deuen die neuen Körperschaften ins Leben traten. Kurz nach diesen Anfängen Bolognas, im Beginn des dreizehnten Jahrhunderts, organisirt sich Paris, d. h. es bietet eine nicht abreißende Reihe von Skandalen zwischen Studentenschaft und Bürgerschaft, in die der Hof ver¬ wickelt wird. Die Drohungen der Studentenschaft gegen die Stadt, die in einer förmlichen Auswanderung gipfeln, lehren, wie die junge Macht sich zu fühlen beginnt. Und auf diesem akademisch-republikanischen Wege entstehen wirklich bereits neue Universitäten, Padua von Bologna aus, wie später in Deutschland Leipzig von Prag. Die Auswanderung der Pariser auf Anlaß einer Vorstadtschlägerei in der Fastnacht 1229 (bei der den Studenten auf königlichen Befehl von der Polizeigewalt übel mitgespielt worden war) wird eine weltbewegende, inter¬ nationale Angelegenheit. König Heinrich III. von England ladet die Aus¬ wanderer förmlich ein und stellt ihnen alle Städte seines Gebietes mit der denk¬ barsten Freiheit zur Verfügung. Der Papst Gregor IX. muß sich ins Mittel legen. Seine Bulle Garens soigntiÄrum 1231 ist für Paris von ähnlicher Wichtigkeit, wie die ^ntdsnticZÄ UMtg, für Bologna. Sie regelt die Verhältnisse der Universität zum Kanzler des Bischofs, dein geistlichen Vorstände jener Uni¬ versitäten in Frankreich und England, die man im Gegensatz gegen die Stadt¬ universitäten Italiens darnach Kanzlernniversitüten nennen kann. Sie ist für die akademische Gerichtsbarkeit im allgemeinen ebenso bedeutungsvoll, wie Kaiser Friedrichs Erlaß für die akademische Freiheit. Paris und Bologna zeigen die Grundtypen, aus denen das akademische Leben erwachsen ist. In Bologna die republikanische Scholarenverfassung, in Paris das Magisterregimcnt, dort der Rektor ein vornehmer Student, der als oberster Ausschuß die Leitung der Studentenschaft übernimmt, sie zu vertreten hat, hier ein Magister, der ihre Geschäfte beamtenmäßig besorgt. Die Aus-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/38>, abgerufen am 22.07.2024.