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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Universitäten im Mittelalter.

bildung des Rektorats im heutigen Sinne sowie der "Fakultäten", des Lehrer¬
kollegiums übernimmt die französische Universität, die Gestaltung der Studenten¬
schaft, ihre Einteilung und Stufenfolge in akademischen Graden geht auf ita¬
lienische Muster zurück. Es ist merkwürdig, daß auch in Paris die Rektorwürde
von unten heraufwächst. In den dreißiger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts
erscheint sie zum erstenmale verknüpft mit dem Vorstande der Artistenfakultät.
Die Artistenfakultät, die der freien Wissenschaften (artss), die heutige "Philo¬
sophische," galt als Voraussetzung der andern, der Geschüftswisscnschaften,
eine Einteilung, aus der sich die wunderliche Vorstellung der philosophischen
Fakultät als "unterer" im Gegensatz zu den drei "oberen" festsetzte. Noch am
Ende des vorigen Jahrhunderts hat Kant in seinem "Streit der Fakultäten" mit
launigen Tiefsinn darauf Bezug genommen. Nichts destoweniger gab die untere
Fakultät der Universität ihren Rektor. An Zahl sowohl der Magister als der
Studenten die bedeutendste, lag ihr die Vertretung der Universitätsintcressen
am meisten ob. Sie setzte sich also in eins mit der ganzen Körperschaft, und
ihr Vorstand war eben der Rektor, während die andern Fakultäten, trotz ihrer
wenigen Magister, besondre Vorstände, die Dekane, hatten. Die Wichtigkeit
des Nektoramtes, das lange Zeit dem der Dekane der obern Fakultäten an
Rang nachstand, trat aber immer mehr hervor, je mehr sich die Universitäts-
cinrichtung zusammenschloß, je mehr sie sich gegen die geistlichen Eingriffe,
gegen das alte Aufsichtsamt des bischöflichen Kanzlers zu wehren hatte. Das
gemeinsame Oberhaupt, das sich im Rektorat ausgebildet hatte, trug mit
der Behauptung der Unabhängigkeit von selbst den Sieg in dem Rangstreite
innerhalb der Universität davon. "Außer dem Rektor haben wir kein andres
Haupt als den Papst," heißt es bereits 1283. Was die Verhältnisse der
Studentenschaft betrifft, so gruppirte sie sich im Gegensatz zu den Magistern,
nicht nach Fakultäten, sondern nach Nationen; der persönliche, nicht der wissen¬
schaftliche Charakter war das Ausschlaggebende. Der alte italienische Gegensatz
zwischen "Citramontancn und Ultramontanen" lag hier zu Grunde, und an allen
Universitäten, nach den örtlichen Verhältnissen verändert, hat er sich, wie man
sich erinnert, bis in die neuere Zeit erhalten. Nach der Entdeckung Amerikas
eröffnete das kosmopolitische Bologna feierlich eine neue "Nation" für das
nunmehr akademisch nicht mehr abgeschlossene "Indien." Die Fakultäten hatten
auf die landsmannschaftliche Gliederung der Studentenkorporation keinen Einfluß.
Als es ums Jahr 1300 in Bologna zu einem Bruche der übrigen Fakultäten
mit der überhcrrschenden Juristenfakultät kam, der zu einer Absonderung der
Mediziner, Artisten und Theologen von den Kanonisten und Legisten als be¬
sondre uolvea-Liws mit besondern, Rektor führte, da teilten sich beide Parteien
wiederum jede für sich in Nationen. Das Prinzip der Fakultäten lag der
Trennung hierbei nicht zu Grunde. Wohl aber hatte es natürlich Bedeutung
für den Lehrgang und die Prüfungen. Hier hatte jede Fakultät ihre besondern


Die Universitäten im Mittelalter.

bildung des Rektorats im heutigen Sinne sowie der „Fakultäten", des Lehrer¬
kollegiums übernimmt die französische Universität, die Gestaltung der Studenten¬
schaft, ihre Einteilung und Stufenfolge in akademischen Graden geht auf ita¬
lienische Muster zurück. Es ist merkwürdig, daß auch in Paris die Rektorwürde
von unten heraufwächst. In den dreißiger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts
erscheint sie zum erstenmale verknüpft mit dem Vorstande der Artistenfakultät.
Die Artistenfakultät, die der freien Wissenschaften (artss), die heutige „Philo¬
sophische," galt als Voraussetzung der andern, der Geschüftswisscnschaften,
eine Einteilung, aus der sich die wunderliche Vorstellung der philosophischen
Fakultät als „unterer" im Gegensatz zu den drei „oberen" festsetzte. Noch am
Ende des vorigen Jahrhunderts hat Kant in seinem „Streit der Fakultäten" mit
launigen Tiefsinn darauf Bezug genommen. Nichts destoweniger gab die untere
Fakultät der Universität ihren Rektor. An Zahl sowohl der Magister als der
Studenten die bedeutendste, lag ihr die Vertretung der Universitätsintcressen
am meisten ob. Sie setzte sich also in eins mit der ganzen Körperschaft, und
ihr Vorstand war eben der Rektor, während die andern Fakultäten, trotz ihrer
wenigen Magister, besondre Vorstände, die Dekane, hatten. Die Wichtigkeit
des Nektoramtes, das lange Zeit dem der Dekane der obern Fakultäten an
Rang nachstand, trat aber immer mehr hervor, je mehr sich die Universitäts-
cinrichtung zusammenschloß, je mehr sie sich gegen die geistlichen Eingriffe,
gegen das alte Aufsichtsamt des bischöflichen Kanzlers zu wehren hatte. Das
gemeinsame Oberhaupt, das sich im Rektorat ausgebildet hatte, trug mit
der Behauptung der Unabhängigkeit von selbst den Sieg in dem Rangstreite
innerhalb der Universität davon. „Außer dem Rektor haben wir kein andres
Haupt als den Papst," heißt es bereits 1283. Was die Verhältnisse der
Studentenschaft betrifft, so gruppirte sie sich im Gegensatz zu den Magistern,
nicht nach Fakultäten, sondern nach Nationen; der persönliche, nicht der wissen¬
schaftliche Charakter war das Ausschlaggebende. Der alte italienische Gegensatz
zwischen „Citramontancn und Ultramontanen" lag hier zu Grunde, und an allen
Universitäten, nach den örtlichen Verhältnissen verändert, hat er sich, wie man
sich erinnert, bis in die neuere Zeit erhalten. Nach der Entdeckung Amerikas
eröffnete das kosmopolitische Bologna feierlich eine neue „Nation" für das
nunmehr akademisch nicht mehr abgeschlossene „Indien." Die Fakultäten hatten
auf die landsmannschaftliche Gliederung der Studentenkorporation keinen Einfluß.
Als es ums Jahr 1300 in Bologna zu einem Bruche der übrigen Fakultäten
mit der überhcrrschenden Juristenfakultät kam, der zu einer Absonderung der
Mediziner, Artisten und Theologen von den Kanonisten und Legisten als be¬
sondre uolvea-Liws mit besondern, Rektor führte, da teilten sich beide Parteien
wiederum jede für sich in Nationen. Das Prinzip der Fakultäten lag der
Trennung hierbei nicht zu Grunde. Wohl aber hatte es natürlich Bedeutung
für den Lehrgang und die Prüfungen. Hier hatte jede Fakultät ihre besondern


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[0039] Die Universitäten im Mittelalter. bildung des Rektorats im heutigen Sinne sowie der „Fakultäten", des Lehrer¬ kollegiums übernimmt die französische Universität, die Gestaltung der Studenten¬ schaft, ihre Einteilung und Stufenfolge in akademischen Graden geht auf ita¬ lienische Muster zurück. Es ist merkwürdig, daß auch in Paris die Rektorwürde von unten heraufwächst. In den dreißiger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts erscheint sie zum erstenmale verknüpft mit dem Vorstande der Artistenfakultät. Die Artistenfakultät, die der freien Wissenschaften (artss), die heutige „Philo¬ sophische," galt als Voraussetzung der andern, der Geschüftswisscnschaften, eine Einteilung, aus der sich die wunderliche Vorstellung der philosophischen Fakultät als „unterer" im Gegensatz zu den drei „oberen" festsetzte. Noch am Ende des vorigen Jahrhunderts hat Kant in seinem „Streit der Fakultäten" mit launigen Tiefsinn darauf Bezug genommen. Nichts destoweniger gab die untere Fakultät der Universität ihren Rektor. An Zahl sowohl der Magister als der Studenten die bedeutendste, lag ihr die Vertretung der Universitätsintcressen am meisten ob. Sie setzte sich also in eins mit der ganzen Körperschaft, und ihr Vorstand war eben der Rektor, während die andern Fakultäten, trotz ihrer wenigen Magister, besondre Vorstände, die Dekane, hatten. Die Wichtigkeit des Nektoramtes, das lange Zeit dem der Dekane der obern Fakultäten an Rang nachstand, trat aber immer mehr hervor, je mehr sich die Universitäts- cinrichtung zusammenschloß, je mehr sie sich gegen die geistlichen Eingriffe, gegen das alte Aufsichtsamt des bischöflichen Kanzlers zu wehren hatte. Das gemeinsame Oberhaupt, das sich im Rektorat ausgebildet hatte, trug mit der Behauptung der Unabhängigkeit von selbst den Sieg in dem Rangstreite innerhalb der Universität davon. „Außer dem Rektor haben wir kein andres Haupt als den Papst," heißt es bereits 1283. Was die Verhältnisse der Studentenschaft betrifft, so gruppirte sie sich im Gegensatz zu den Magistern, nicht nach Fakultäten, sondern nach Nationen; der persönliche, nicht der wissen¬ schaftliche Charakter war das Ausschlaggebende. Der alte italienische Gegensatz zwischen „Citramontancn und Ultramontanen" lag hier zu Grunde, und an allen Universitäten, nach den örtlichen Verhältnissen verändert, hat er sich, wie man sich erinnert, bis in die neuere Zeit erhalten. Nach der Entdeckung Amerikas eröffnete das kosmopolitische Bologna feierlich eine neue „Nation" für das nunmehr akademisch nicht mehr abgeschlossene „Indien." Die Fakultäten hatten auf die landsmannschaftliche Gliederung der Studentenkorporation keinen Einfluß. Als es ums Jahr 1300 in Bologna zu einem Bruche der übrigen Fakultäten mit der überhcrrschenden Juristenfakultät kam, der zu einer Absonderung der Mediziner, Artisten und Theologen von den Kanonisten und Legisten als be¬ sondre uolvea-Liws mit besondern, Rektor führte, da teilten sich beide Parteien wiederum jede für sich in Nationen. Das Prinzip der Fakultäten lag der Trennung hierbei nicht zu Grunde. Wohl aber hatte es natürlich Bedeutung für den Lehrgang und die Prüfungen. Hier hatte jede Fakultät ihre besondern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/39>, abgerufen am 24.08.2024.