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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Halbasiatisches.

Zinsen ein und war dann erst recht ein Ehrenmann. Denn sechs vom Hundert
sind in jenen Ländern mit barbarischen Kreditvcrhältnissen ein unerhört milder
Zinsfuß.

Nach diesem Rezept hatte der Mann auch im August 1877 ein Geschäft
mit einem Beamten der Karl-Ludwigsbahn abgeschlossen, einem älteren Manne
aus Steiermark, der durch verschiedene Unglttcksfälle in so schwere Not geraten
war, daß ihm selbst die Hilfe unsers edeln Menschenfreundes willkommen kam.
Der Beamte hatte zweihundert Gulden erhalten und dafür einen Wechsel von
vierhundert Gulden ausgestellt, im November zahlbar, dazu jene Bestätigung.
Als er am Verfalltage nicht zahlen konnte, hatte ihm Herr Thciddäus gro߬
mütig bis zum Februar prolougirt, nur lauteten jetzt Wechsel und Bestätigung
auf sechshundert Gulden. An diesem zweiten Verfalltage erbot sich der Beamte,
dreihundert Gulden sofort, die andre Hälfte im Herbst 1878 zu zahlen. Herr
Thaddäus war es zufrieden, wenn ihm der Schuldner für den Herbst wieder
Wechsel und Bestätigung auf sechshundert Gulden ausstellte. Darauf konnte
der unglückliche Manu nicht eingehen, und Herr Thaddäus klagte den Wechsel
samt sechsprozcntigen Zinsen ein. Nun ging der Beamte zu einem Advokaten
und erzählte ihm den Fall. Es war dies ein junger, eifriger und ehrlicher
Mann, der sich sofort mit größter Energie für seinen Klienten einsetzte. Nach¬
dem eine gütliche Ausgleichung mißglückt war, erhob er gegen die Klage die
Einwendung der nicht vollständig erhaltnen Valuta, Herr Thaddäus lächelte
Hohn und rückte mit der Bestätigung heraus. Als aber der Advokat seine
Einwendung festhielt und Schwur und Zeugenbeweis anbot, daß nur zwei¬
hundert Gulden wirklich entlehnt worden, da lächelte Herr Thaddäus nicht
mehr, verlor den Kopf, gab seinem Advokaten die widersprechendsten Informationen
und brachte es durch sein Ungeschick dazu, daß der Rechtsfreund des Gegners
sogar den Spieß umkehren und ihm den Eid zuschieben konnte. Nun stand die
Sache so: leistete Thaddäus den Eid, so erhielt er sein Geld und war auch
im übrigen geborgen, leistete er ihn nicht, so war sein Gewinn verloren, und
überdies stand dann die Anklage wegen Wuchers in Sicht. Der fromme
Thaddäus besann sich nicht lange: er beschwor es, daß der Schuldner wirklich
baare sechshundert Gulden erhalten habe. Und dieser wurde sachfällig und war
ein ruinirter Mann.

Das konnte auch jener junge Advokat nicht ändern, machte aber nun im
Namen seines Klienten gegen Herrn Thaddäus die Anzeige wegen Meineids.
Die Untersuchung begann und ergab sehr bald gravirende Resultate. Wohl
war der einzige Mensch, der außer den Beteiligten bei Abschluß des Geschäfts
zugegen gewesen war -- gleichfalls ein Eisenbahnbeamter aus den deutschen Pro¬
vinzen -- deshalb nicht ganz zuverlässig, weil auch er ganz in den Händen
desselben Gläubigers war; immerhin war dem Manne zuzutrauen, daß er seine
ehrliche Seele mit keinem Meineid belasten würde.


Halbasiatisches.

Zinsen ein und war dann erst recht ein Ehrenmann. Denn sechs vom Hundert
sind in jenen Ländern mit barbarischen Kreditvcrhältnissen ein unerhört milder
Zinsfuß.

Nach diesem Rezept hatte der Mann auch im August 1877 ein Geschäft
mit einem Beamten der Karl-Ludwigsbahn abgeschlossen, einem älteren Manne
aus Steiermark, der durch verschiedene Unglttcksfälle in so schwere Not geraten
war, daß ihm selbst die Hilfe unsers edeln Menschenfreundes willkommen kam.
Der Beamte hatte zweihundert Gulden erhalten und dafür einen Wechsel von
vierhundert Gulden ausgestellt, im November zahlbar, dazu jene Bestätigung.
Als er am Verfalltage nicht zahlen konnte, hatte ihm Herr Thciddäus gro߬
mütig bis zum Februar prolougirt, nur lauteten jetzt Wechsel und Bestätigung
auf sechshundert Gulden. An diesem zweiten Verfalltage erbot sich der Beamte,
dreihundert Gulden sofort, die andre Hälfte im Herbst 1878 zu zahlen. Herr
Thaddäus war es zufrieden, wenn ihm der Schuldner für den Herbst wieder
Wechsel und Bestätigung auf sechshundert Gulden ausstellte. Darauf konnte
der unglückliche Manu nicht eingehen, und Herr Thaddäus klagte den Wechsel
samt sechsprozcntigen Zinsen ein. Nun ging der Beamte zu einem Advokaten
und erzählte ihm den Fall. Es war dies ein junger, eifriger und ehrlicher
Mann, der sich sofort mit größter Energie für seinen Klienten einsetzte. Nach¬
dem eine gütliche Ausgleichung mißglückt war, erhob er gegen die Klage die
Einwendung der nicht vollständig erhaltnen Valuta, Herr Thaddäus lächelte
Hohn und rückte mit der Bestätigung heraus. Als aber der Advokat seine
Einwendung festhielt und Schwur und Zeugenbeweis anbot, daß nur zwei¬
hundert Gulden wirklich entlehnt worden, da lächelte Herr Thaddäus nicht
mehr, verlor den Kopf, gab seinem Advokaten die widersprechendsten Informationen
und brachte es durch sein Ungeschick dazu, daß der Rechtsfreund des Gegners
sogar den Spieß umkehren und ihm den Eid zuschieben konnte. Nun stand die
Sache so: leistete Thaddäus den Eid, so erhielt er sein Geld und war auch
im übrigen geborgen, leistete er ihn nicht, so war sein Gewinn verloren, und
überdies stand dann die Anklage wegen Wuchers in Sicht. Der fromme
Thaddäus besann sich nicht lange: er beschwor es, daß der Schuldner wirklich
baare sechshundert Gulden erhalten habe. Und dieser wurde sachfällig und war
ein ruinirter Mann.

Das konnte auch jener junge Advokat nicht ändern, machte aber nun im
Namen seines Klienten gegen Herrn Thaddäus die Anzeige wegen Meineids.
Die Untersuchung begann und ergab sehr bald gravirende Resultate. Wohl
war der einzige Mensch, der außer den Beteiligten bei Abschluß des Geschäfts
zugegen gewesen war — gleichfalls ein Eisenbahnbeamter aus den deutschen Pro¬
vinzen — deshalb nicht ganz zuverlässig, weil auch er ganz in den Händen
desselben Gläubigers war; immerhin war dem Manne zuzutrauen, daß er seine
ehrliche Seele mit keinem Meineid belasten würde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/376>, abgerufen am 04.07.2024.