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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Halbafiatisches.

sowohl die Kirche als einige nationale Institute mit reichen Spenden bedacht.
Besonders das letztere hatte ihn in den Augen seiner polnischen Mitbürger
hoch erhoben, denn schone Worte für die heilige Sache der Nation hört man
dort zu Lande häufig, aber die Thaten sind spärlich. Was Herrn Thaddäus
zu solchen Opfern bewogen hatte, war sicherlich nur sein Herz und nicht etwa
die Stimme des Blutes, denn er führte einen urdeutschen Namen und war der
Sohn deutscher Eltern. Vielleicht eben darum gab er sich doppelt eifrig als
polnischen Patrioten.

Dieser Mann nun wurde eines Tages als Untersuchungsgefangener aus
seinem stattlichen Hause ins Kriminalgebäude übergeführt. Das regte seine
Freunde und Mitbürger nicht blos deshalb auf, weil man Herrn Thaddäus
keiner Missethat fähig hielt, sondern namentlich, weil eine Untersuchungshaft
nach der milden, an sich gewiß nicht tadelnswerten Praxis der dortigen Gerichte
nur dann verhängt wird, wenn ein Fluchtverdacht besteht, ein Fall, der hier
durch Stellung und Besitz des Angeklagten von vornherein fast undenkbar war.
Es erwies sich aber bald, daß das Gericht zu dieser Maßregel genötigt gewesen
war. Herr Thaddäus war des Meineids angeklagt und hatte den Versuch ge¬
macht, einen Belastungszeugen durch Geld und gute Worte zu seinen Gunsten
zu stimmen.

Der Sachverhalt war folgender. Herr Thaddäus dankte sein Vermögen
einer trüben Quelle, er war der listigste und grausamste Wucherer des Kreises
und seine Deklamationen gegen die "verdammten Juden" waren weniger durch,
sittliche Entrüstung hervorgerufen, als durch den Neid des Konkurrenten. Seit
vierzig Jahren hatte er sein Handwerk mit steigendem Erfolg getrieben, seine
Klientel, die namentlich aus masurischen Bauern der Umgebung, ferner aus
Edelleuten und Beamten bestand, ging zwar an ihm zu Grunde, ergänzte sich
jedoch immer wieder durch neue Opfer. Herr Thaddäus wuchs an Reichtum
und Ansehen und blieb dabei außer jeder Gefahr, denn so lange die Wucher-
gesetze in Österreich bestanden, wußte er seine Geschäfte zu maskiren, ließ dann,
als diese Gesetze im Mai 1863 unglücklicherweise aufgehoben wurden, die Maske
fallen, und nahm sie, als am 19. Juli 1877 abermals ein Wuchergesetz für
das östliche Cisleithanien in Kraft trat, seufzend aber gefaßt wieder vor das
biedere Antlitz. Hatte er in der glücklichen Zwischenzeit, wo man öffentlich
beliebig hohe Prozente fordern und einklagen konnte, von den Schuldnern die
Wechsel nur in der Höhe der wirklich empfangner Valuta ausstellen laisser und
dann die hundert, zweihundert oder vierhundert Prozent ruhig dazugeschlagen,
so mußte er nun wieder zu dem alten Mittel greifen: der Schuldner stellte den
Wechsel gleich auf den doppelten oder dreifachen Betrag des wirklich empfangenen
aus und unterschrieb überdies eine Bestätigung, daß ihm diese Wechselsumme
baar und ohne jeden Abzug eingehändigt worden sei. Konnte er am Verfall¬
tage nicht zahlen, so klagte Herr Thaddäus den Wechsel mit sechsprozentigen


Halbafiatisches.

sowohl die Kirche als einige nationale Institute mit reichen Spenden bedacht.
Besonders das letztere hatte ihn in den Augen seiner polnischen Mitbürger
hoch erhoben, denn schone Worte für die heilige Sache der Nation hört man
dort zu Lande häufig, aber die Thaten sind spärlich. Was Herrn Thaddäus
zu solchen Opfern bewogen hatte, war sicherlich nur sein Herz und nicht etwa
die Stimme des Blutes, denn er führte einen urdeutschen Namen und war der
Sohn deutscher Eltern. Vielleicht eben darum gab er sich doppelt eifrig als
polnischen Patrioten.

Dieser Mann nun wurde eines Tages als Untersuchungsgefangener aus
seinem stattlichen Hause ins Kriminalgebäude übergeführt. Das regte seine
Freunde und Mitbürger nicht blos deshalb auf, weil man Herrn Thaddäus
keiner Missethat fähig hielt, sondern namentlich, weil eine Untersuchungshaft
nach der milden, an sich gewiß nicht tadelnswerten Praxis der dortigen Gerichte
nur dann verhängt wird, wenn ein Fluchtverdacht besteht, ein Fall, der hier
durch Stellung und Besitz des Angeklagten von vornherein fast undenkbar war.
Es erwies sich aber bald, daß das Gericht zu dieser Maßregel genötigt gewesen
war. Herr Thaddäus war des Meineids angeklagt und hatte den Versuch ge¬
macht, einen Belastungszeugen durch Geld und gute Worte zu seinen Gunsten
zu stimmen.

Der Sachverhalt war folgender. Herr Thaddäus dankte sein Vermögen
einer trüben Quelle, er war der listigste und grausamste Wucherer des Kreises
und seine Deklamationen gegen die „verdammten Juden" waren weniger durch,
sittliche Entrüstung hervorgerufen, als durch den Neid des Konkurrenten. Seit
vierzig Jahren hatte er sein Handwerk mit steigendem Erfolg getrieben, seine
Klientel, die namentlich aus masurischen Bauern der Umgebung, ferner aus
Edelleuten und Beamten bestand, ging zwar an ihm zu Grunde, ergänzte sich
jedoch immer wieder durch neue Opfer. Herr Thaddäus wuchs an Reichtum
und Ansehen und blieb dabei außer jeder Gefahr, denn so lange die Wucher-
gesetze in Österreich bestanden, wußte er seine Geschäfte zu maskiren, ließ dann,
als diese Gesetze im Mai 1863 unglücklicherweise aufgehoben wurden, die Maske
fallen, und nahm sie, als am 19. Juli 1877 abermals ein Wuchergesetz für
das östliche Cisleithanien in Kraft trat, seufzend aber gefaßt wieder vor das
biedere Antlitz. Hatte er in der glücklichen Zwischenzeit, wo man öffentlich
beliebig hohe Prozente fordern und einklagen konnte, von den Schuldnern die
Wechsel nur in der Höhe der wirklich empfangner Valuta ausstellen laisser und
dann die hundert, zweihundert oder vierhundert Prozent ruhig dazugeschlagen,
so mußte er nun wieder zu dem alten Mittel greifen: der Schuldner stellte den
Wechsel gleich auf den doppelten oder dreifachen Betrag des wirklich empfangenen
aus und unterschrieb überdies eine Bestätigung, daß ihm diese Wechselsumme
baar und ohne jeden Abzug eingehändigt worden sei. Konnte er am Verfall¬
tage nicht zahlen, so klagte Herr Thaddäus den Wechsel mit sechsprozentigen


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[0375] Halbafiatisches. sowohl die Kirche als einige nationale Institute mit reichen Spenden bedacht. Besonders das letztere hatte ihn in den Augen seiner polnischen Mitbürger hoch erhoben, denn schone Worte für die heilige Sache der Nation hört man dort zu Lande häufig, aber die Thaten sind spärlich. Was Herrn Thaddäus zu solchen Opfern bewogen hatte, war sicherlich nur sein Herz und nicht etwa die Stimme des Blutes, denn er führte einen urdeutschen Namen und war der Sohn deutscher Eltern. Vielleicht eben darum gab er sich doppelt eifrig als polnischen Patrioten. Dieser Mann nun wurde eines Tages als Untersuchungsgefangener aus seinem stattlichen Hause ins Kriminalgebäude übergeführt. Das regte seine Freunde und Mitbürger nicht blos deshalb auf, weil man Herrn Thaddäus keiner Missethat fähig hielt, sondern namentlich, weil eine Untersuchungshaft nach der milden, an sich gewiß nicht tadelnswerten Praxis der dortigen Gerichte nur dann verhängt wird, wenn ein Fluchtverdacht besteht, ein Fall, der hier durch Stellung und Besitz des Angeklagten von vornherein fast undenkbar war. Es erwies sich aber bald, daß das Gericht zu dieser Maßregel genötigt gewesen war. Herr Thaddäus war des Meineids angeklagt und hatte den Versuch ge¬ macht, einen Belastungszeugen durch Geld und gute Worte zu seinen Gunsten zu stimmen. Der Sachverhalt war folgender. Herr Thaddäus dankte sein Vermögen einer trüben Quelle, er war der listigste und grausamste Wucherer des Kreises und seine Deklamationen gegen die „verdammten Juden" waren weniger durch, sittliche Entrüstung hervorgerufen, als durch den Neid des Konkurrenten. Seit vierzig Jahren hatte er sein Handwerk mit steigendem Erfolg getrieben, seine Klientel, die namentlich aus masurischen Bauern der Umgebung, ferner aus Edelleuten und Beamten bestand, ging zwar an ihm zu Grunde, ergänzte sich jedoch immer wieder durch neue Opfer. Herr Thaddäus wuchs an Reichtum und Ansehen und blieb dabei außer jeder Gefahr, denn so lange die Wucher- gesetze in Österreich bestanden, wußte er seine Geschäfte zu maskiren, ließ dann, als diese Gesetze im Mai 1863 unglücklicherweise aufgehoben wurden, die Maske fallen, und nahm sie, als am 19. Juli 1877 abermals ein Wuchergesetz für das östliche Cisleithanien in Kraft trat, seufzend aber gefaßt wieder vor das biedere Antlitz. Hatte er in der glücklichen Zwischenzeit, wo man öffentlich beliebig hohe Prozente fordern und einklagen konnte, von den Schuldnern die Wechsel nur in der Höhe der wirklich empfangner Valuta ausstellen laisser und dann die hundert, zweihundert oder vierhundert Prozent ruhig dazugeschlagen, so mußte er nun wieder zu dem alten Mittel greifen: der Schuldner stellte den Wechsel gleich auf den doppelten oder dreifachen Betrag des wirklich empfangenen aus und unterschrieb überdies eine Bestätigung, daß ihm diese Wechselsumme baar und ohne jeden Abzug eingehändigt worden sei. Konnte er am Verfall¬ tage nicht zahlen, so klagte Herr Thaddäus den Wechsel mit sechsprozentigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/375>, abgerufen am 25.07.2024.