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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Stellung Bismarcks und des Kronprinzen z" Baiern im Winter ^370.

Nachrede der Bundesgenossen, sie hätten einen Eroberungskrieg für Preußen
mit führen müssen, vermied, und indem durch das gemeinsame Eigentum des
Nordens und des Südens Deutschlands an dieser Eroberung ein gemeinsames
Interesse und ein starkes Bindemittel zwischen den Staaten nördlich und denen
südlich vom Main geschaffen wurde. Bei jeder Verhandlung über diese und
später auftauchende ähnliche Fragen bekundete er die Selbstbeherrschung, die
Vorsicht und Rücksicht und den weiten Blick des echten Staatsmannes sowie den
mit diesen Tugenden verwandten billigen Sinn, bei keinem derartigen Geschäfte
ließ er sich durch Illusion. Gefühl oder Begier von den Beschlüssen, die ihm
zweckdienlich und sachgemäß erschienen, ablenken.

Recht charakteristisch sind auch noch folgende Beispiele für diesen Zug
seines Charakters und seiner Auffassungsweise. Als im September 1870 ein
angesehenes liberales Blatt Berlins über die rücksichtsvolle Behandlung des
Kaisers der Franzosen klagte und die Meinung äußerte, die Nemesis hätte
gegen diesen unsern Gefangnen, den Mann des zweiten Dezember, den Urheber
der Sicherheitsgesetze, den Anstifter des mexikanischen Trauerspiels, den An¬
zettler des jetzigen greuelvollen Krieges weniger galant sein sollten, der Sieger
sei hier nach dem Urteile des Volksgemütes allzu ritterlich gewesen, war der
Kanzler dieser Ansicht ganz und gar nicht. "Das Volksgemüt, die öffentliche
Meinung", sagte er lächelnd, "denkt allerdings so. Die Leute verlangen, daß
bei Konflikten der Staaten der Sieger sich mit dem Moralkodex in der Hand
über den Besiegten zu Gericht setze und ihn zur Strafe ziehe für das, was
er gegen ihn begangen, womöglich auch für seine Sünden gegen Dritte. Das
ist aber ein ganz ungebührliches Verlangen. Die Begriffe Strafe, Lohn, Rache
gehören nicht in die Politik. Diese darf der Nemesis nicht ins Handwerk
Pfuscher, nicht das Richteramt üben wollen. Das ist Sache der göttlichen
Vorsehung. Die Politik hat nicht zu rächen was geschehen ist, sondern zu
sorgen, daß es nicht wieder geschehen kann. Sie hat sich unter allen Umständen
einzig und allein mit der Frage zu beschäftigen: was ist hierbei der Vorteil
meines Landes, und wie nehme ich diesen Vorteil am besten wahr? Sie hat
sich in diesem Falle zu fragen: wer wird nützlicher für uns sein, ein schlecht
behandelter Napoleon oder ein gut behandelter? Die Möglichkeit ist doch nicht
ausgeschlossen, daß er einmal wieder obenauf kommt." Ähnlich äußerte er
sich in Versailles, als sein Vetter, der Graf Bismarck-Bohlen, in Betreff der
Verhaftung Johann Jacobys, des bekannten Königsberger Demokraten seine
Befriedigung aussprach. daß man "den faulen Schwätzer endlich eingespunden."
Der Kanzler erwiderte: "Ich freue mich darüber ganz und gar nicht. Der
Parteimann mag das thun, weil seine Nachegefühle dadurch befriedigt werden.
Der politische Mann kennt solche Gefühle nicht. Der fragt nur, ob es nützt,
wenn ein Gegner gemißhandelt wird."

Noch ein letztes Beispiel, das in spätere Zeit gehört. Als der Abgeordnete


Die Stellung Bismarcks und des Kronprinzen z» Baiern im Winter ^370.

Nachrede der Bundesgenossen, sie hätten einen Eroberungskrieg für Preußen
mit führen müssen, vermied, und indem durch das gemeinsame Eigentum des
Nordens und des Südens Deutschlands an dieser Eroberung ein gemeinsames
Interesse und ein starkes Bindemittel zwischen den Staaten nördlich und denen
südlich vom Main geschaffen wurde. Bei jeder Verhandlung über diese und
später auftauchende ähnliche Fragen bekundete er die Selbstbeherrschung, die
Vorsicht und Rücksicht und den weiten Blick des echten Staatsmannes sowie den
mit diesen Tugenden verwandten billigen Sinn, bei keinem derartigen Geschäfte
ließ er sich durch Illusion. Gefühl oder Begier von den Beschlüssen, die ihm
zweckdienlich und sachgemäß erschienen, ablenken.

Recht charakteristisch sind auch noch folgende Beispiele für diesen Zug
seines Charakters und seiner Auffassungsweise. Als im September 1870 ein
angesehenes liberales Blatt Berlins über die rücksichtsvolle Behandlung des
Kaisers der Franzosen klagte und die Meinung äußerte, die Nemesis hätte
gegen diesen unsern Gefangnen, den Mann des zweiten Dezember, den Urheber
der Sicherheitsgesetze, den Anstifter des mexikanischen Trauerspiels, den An¬
zettler des jetzigen greuelvollen Krieges weniger galant sein sollten, der Sieger
sei hier nach dem Urteile des Volksgemütes allzu ritterlich gewesen, war der
Kanzler dieser Ansicht ganz und gar nicht. „Das Volksgemüt, die öffentliche
Meinung", sagte er lächelnd, „denkt allerdings so. Die Leute verlangen, daß
bei Konflikten der Staaten der Sieger sich mit dem Moralkodex in der Hand
über den Besiegten zu Gericht setze und ihn zur Strafe ziehe für das, was
er gegen ihn begangen, womöglich auch für seine Sünden gegen Dritte. Das
ist aber ein ganz ungebührliches Verlangen. Die Begriffe Strafe, Lohn, Rache
gehören nicht in die Politik. Diese darf der Nemesis nicht ins Handwerk
Pfuscher, nicht das Richteramt üben wollen. Das ist Sache der göttlichen
Vorsehung. Die Politik hat nicht zu rächen was geschehen ist, sondern zu
sorgen, daß es nicht wieder geschehen kann. Sie hat sich unter allen Umständen
einzig und allein mit der Frage zu beschäftigen: was ist hierbei der Vorteil
meines Landes, und wie nehme ich diesen Vorteil am besten wahr? Sie hat
sich in diesem Falle zu fragen: wer wird nützlicher für uns sein, ein schlecht
behandelter Napoleon oder ein gut behandelter? Die Möglichkeit ist doch nicht
ausgeschlossen, daß er einmal wieder obenauf kommt." Ähnlich äußerte er
sich in Versailles, als sein Vetter, der Graf Bismarck-Bohlen, in Betreff der
Verhaftung Johann Jacobys, des bekannten Königsberger Demokraten seine
Befriedigung aussprach. daß man „den faulen Schwätzer endlich eingespunden."
Der Kanzler erwiderte: „Ich freue mich darüber ganz und gar nicht. Der
Parteimann mag das thun, weil seine Nachegefühle dadurch befriedigt werden.
Der politische Mann kennt solche Gefühle nicht. Der fragt nur, ob es nützt,
wenn ein Gegner gemißhandelt wird."

Noch ein letztes Beispiel, das in spätere Zeit gehört. Als der Abgeordnete


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[0363] Die Stellung Bismarcks und des Kronprinzen z» Baiern im Winter ^370. Nachrede der Bundesgenossen, sie hätten einen Eroberungskrieg für Preußen mit führen müssen, vermied, und indem durch das gemeinsame Eigentum des Nordens und des Südens Deutschlands an dieser Eroberung ein gemeinsames Interesse und ein starkes Bindemittel zwischen den Staaten nördlich und denen südlich vom Main geschaffen wurde. Bei jeder Verhandlung über diese und später auftauchende ähnliche Fragen bekundete er die Selbstbeherrschung, die Vorsicht und Rücksicht und den weiten Blick des echten Staatsmannes sowie den mit diesen Tugenden verwandten billigen Sinn, bei keinem derartigen Geschäfte ließ er sich durch Illusion. Gefühl oder Begier von den Beschlüssen, die ihm zweckdienlich und sachgemäß erschienen, ablenken. Recht charakteristisch sind auch noch folgende Beispiele für diesen Zug seines Charakters und seiner Auffassungsweise. Als im September 1870 ein angesehenes liberales Blatt Berlins über die rücksichtsvolle Behandlung des Kaisers der Franzosen klagte und die Meinung äußerte, die Nemesis hätte gegen diesen unsern Gefangnen, den Mann des zweiten Dezember, den Urheber der Sicherheitsgesetze, den Anstifter des mexikanischen Trauerspiels, den An¬ zettler des jetzigen greuelvollen Krieges weniger galant sein sollten, der Sieger sei hier nach dem Urteile des Volksgemütes allzu ritterlich gewesen, war der Kanzler dieser Ansicht ganz und gar nicht. „Das Volksgemüt, die öffentliche Meinung", sagte er lächelnd, „denkt allerdings so. Die Leute verlangen, daß bei Konflikten der Staaten der Sieger sich mit dem Moralkodex in der Hand über den Besiegten zu Gericht setze und ihn zur Strafe ziehe für das, was er gegen ihn begangen, womöglich auch für seine Sünden gegen Dritte. Das ist aber ein ganz ungebührliches Verlangen. Die Begriffe Strafe, Lohn, Rache gehören nicht in die Politik. Diese darf der Nemesis nicht ins Handwerk Pfuscher, nicht das Richteramt üben wollen. Das ist Sache der göttlichen Vorsehung. Die Politik hat nicht zu rächen was geschehen ist, sondern zu sorgen, daß es nicht wieder geschehen kann. Sie hat sich unter allen Umständen einzig und allein mit der Frage zu beschäftigen: was ist hierbei der Vorteil meines Landes, und wie nehme ich diesen Vorteil am besten wahr? Sie hat sich in diesem Falle zu fragen: wer wird nützlicher für uns sein, ein schlecht behandelter Napoleon oder ein gut behandelter? Die Möglichkeit ist doch nicht ausgeschlossen, daß er einmal wieder obenauf kommt." Ähnlich äußerte er sich in Versailles, als sein Vetter, der Graf Bismarck-Bohlen, in Betreff der Verhaftung Johann Jacobys, des bekannten Königsberger Demokraten seine Befriedigung aussprach. daß man „den faulen Schwätzer endlich eingespunden." Der Kanzler erwiderte: „Ich freue mich darüber ganz und gar nicht. Der Parteimann mag das thun, weil seine Nachegefühle dadurch befriedigt werden. Der politische Mann kennt solche Gefühle nicht. Der fragt nur, ob es nützt, wenn ein Gegner gemißhandelt wird." Noch ein letztes Beispiel, das in spätere Zeit gehört. Als der Abgeordnete

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/363>, abgerufen am 02.07.2024.