Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Stellung Bismcircks und des Kronprinzen zu Baiern im Winter ^870.

Virchow im Dezember 1881 dem Kanzler den Vorwurf machen zu dürfen
glaubte, er sei inkonsequent gewesen, (inkonsequent heißt im Wörterbuche des
Deutschfreisinns, der die Inkonsequenz zu den sieben Todsünden des Politikers
zählt, wer niemals belehrbar, der Belehrung durch Thatsachen zugänglich ist),
indem er vom Kampfe mit den Ultramontanen abgelassen, den er eine zeitlang
betrieben habe, erhielt er zur Antwort: "Jeder Kampf hat seine Höhe und seine
Hitze. Aber kein Kampf im Innern, zwischen einer Partei und der Regierung, kein
Konflikt kann von mir als eine dauernde und nützliche Institution behandelt
werden. Ich muß ja Kämpfe führen, aber doch nur zu dem Zwecke, Frieden
zu erlangen. Diese Kämpfe können sehr heiß werden, und das hängt nicht
immer von mir allein ab, aber mein Endziel ist dabei doch immer der Friede.
Wenn ich nun glaube, diesem Frieden in der heutigen Zeit mit mehr Wahr¬
scheinlichkeit nahe zu kommen, als in der Zeit, wo des Kampfes Hitze ent¬
brannte, so ist es ja meine Pflicht, dem Frieden meine Aufmerksamkeit zuzu¬
wenden, nicht aber weiter zu fechten, blos um zu fechten wie ein politischer
Raufbold. Kann ich ihn haben, den Frieden, kann ich auch nur einen Waffen¬
stillstand, wie wir deren ja gehabt haben, die Jahrhunderte gedauert haben,
durch einen annehmbaren inoäus vivöucii erlangen, so würde ich pflichtwidrig
handeln, wenn ich das nicht acceptiren wollte." Ähnliches hat er während
der letzten Jahre des Kulturkampfes noch mehr als einmal gesagt.

Diese staatskluge Billigkeit war es, die gegen den Wunsch und Willen
des Kronprinzen und seiner Freunde das deutsche Reich in Versailles zu stände
brachte, so wie es geschehen mußte, nicht mit Gewalt und Drohung, nicht mit
mittelbarem oder unmittelbarem Zwang, sondern durch Vereinbarung auf güt¬
lichem Wege, durch Nachgiebigkeit, der dann Nachgiebigkeit von der andern Seite
entsprach, und die hier weder Verstimmung noch Hintergedanken für die Zu¬
kunft zurückließ. Mit dieser Eigenschaft allein konnte, wie die Dinge lagen,
das neue Reich mit Aussicht auf Dauer gegründet, mit ihr allein konnte es
bis jetzt zusammengehalten werden, und wurde es in der That durch Vertrauen,
Zufriedenheit und guten Willen Aller wie mit goldenen Klammern zusammen¬
gehalten.




Die Stellung Bismcircks und des Kronprinzen zu Baiern im Winter ^870.

Virchow im Dezember 1881 dem Kanzler den Vorwurf machen zu dürfen
glaubte, er sei inkonsequent gewesen, (inkonsequent heißt im Wörterbuche des
Deutschfreisinns, der die Inkonsequenz zu den sieben Todsünden des Politikers
zählt, wer niemals belehrbar, der Belehrung durch Thatsachen zugänglich ist),
indem er vom Kampfe mit den Ultramontanen abgelassen, den er eine zeitlang
betrieben habe, erhielt er zur Antwort: „Jeder Kampf hat seine Höhe und seine
Hitze. Aber kein Kampf im Innern, zwischen einer Partei und der Regierung, kein
Konflikt kann von mir als eine dauernde und nützliche Institution behandelt
werden. Ich muß ja Kämpfe führen, aber doch nur zu dem Zwecke, Frieden
zu erlangen. Diese Kämpfe können sehr heiß werden, und das hängt nicht
immer von mir allein ab, aber mein Endziel ist dabei doch immer der Friede.
Wenn ich nun glaube, diesem Frieden in der heutigen Zeit mit mehr Wahr¬
scheinlichkeit nahe zu kommen, als in der Zeit, wo des Kampfes Hitze ent¬
brannte, so ist es ja meine Pflicht, dem Frieden meine Aufmerksamkeit zuzu¬
wenden, nicht aber weiter zu fechten, blos um zu fechten wie ein politischer
Raufbold. Kann ich ihn haben, den Frieden, kann ich auch nur einen Waffen¬
stillstand, wie wir deren ja gehabt haben, die Jahrhunderte gedauert haben,
durch einen annehmbaren inoäus vivöucii erlangen, so würde ich pflichtwidrig
handeln, wenn ich das nicht acceptiren wollte." Ähnliches hat er während
der letzten Jahre des Kulturkampfes noch mehr als einmal gesagt.

Diese staatskluge Billigkeit war es, die gegen den Wunsch und Willen
des Kronprinzen und seiner Freunde das deutsche Reich in Versailles zu stände
brachte, so wie es geschehen mußte, nicht mit Gewalt und Drohung, nicht mit
mittelbarem oder unmittelbarem Zwang, sondern durch Vereinbarung auf güt¬
lichem Wege, durch Nachgiebigkeit, der dann Nachgiebigkeit von der andern Seite
entsprach, und die hier weder Verstimmung noch Hintergedanken für die Zu¬
kunft zurückließ. Mit dieser Eigenschaft allein konnte, wie die Dinge lagen,
das neue Reich mit Aussicht auf Dauer gegründet, mit ihr allein konnte es
bis jetzt zusammengehalten werden, und wurde es in der That durch Vertrauen,
Zufriedenheit und guten Willen Aller wie mit goldenen Klammern zusammen¬
gehalten.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0364" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203799"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Stellung Bismcircks und des Kronprinzen zu Baiern im Winter ^870.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_915" prev="#ID_914"> Virchow im Dezember 1881 dem Kanzler den Vorwurf machen zu dürfen<lb/>
glaubte, er sei inkonsequent gewesen, (inkonsequent heißt im Wörterbuche des<lb/>
Deutschfreisinns, der die Inkonsequenz zu den sieben Todsünden des Politikers<lb/>
zählt, wer niemals belehrbar, der Belehrung durch Thatsachen zugänglich ist),<lb/>
indem er vom Kampfe mit den Ultramontanen abgelassen, den er eine zeitlang<lb/>
betrieben habe, erhielt er zur Antwort: &#x201E;Jeder Kampf hat seine Höhe und seine<lb/>
Hitze. Aber kein Kampf im Innern, zwischen einer Partei und der Regierung, kein<lb/>
Konflikt kann von mir als eine dauernde und nützliche Institution behandelt<lb/>
werden. Ich muß ja Kämpfe führen, aber doch nur zu dem Zwecke, Frieden<lb/>
zu erlangen. Diese Kämpfe können sehr heiß werden, und das hängt nicht<lb/>
immer von mir allein ab, aber mein Endziel ist dabei doch immer der Friede.<lb/>
Wenn ich nun glaube, diesem Frieden in der heutigen Zeit mit mehr Wahr¬<lb/>
scheinlichkeit nahe zu kommen, als in der Zeit, wo des Kampfes Hitze ent¬<lb/>
brannte, so ist es ja meine Pflicht, dem Frieden meine Aufmerksamkeit zuzu¬<lb/>
wenden, nicht aber weiter zu fechten, blos um zu fechten wie ein politischer<lb/>
Raufbold. Kann ich ihn haben, den Frieden, kann ich auch nur einen Waffen¬<lb/>
stillstand, wie wir deren ja gehabt haben, die Jahrhunderte gedauert haben,<lb/>
durch einen annehmbaren inoäus vivöucii erlangen, so würde ich pflichtwidrig<lb/>
handeln, wenn ich das nicht acceptiren wollte." Ähnliches hat er während<lb/>
der letzten Jahre des Kulturkampfes noch mehr als einmal gesagt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_916"> Diese staatskluge Billigkeit war es, die gegen den Wunsch und Willen<lb/>
des Kronprinzen und seiner Freunde das deutsche Reich in Versailles zu stände<lb/>
brachte, so wie es geschehen mußte, nicht mit Gewalt und Drohung, nicht mit<lb/>
mittelbarem oder unmittelbarem Zwang, sondern durch Vereinbarung auf güt¬<lb/>
lichem Wege, durch Nachgiebigkeit, der dann Nachgiebigkeit von der andern Seite<lb/>
entsprach, und die hier weder Verstimmung noch Hintergedanken für die Zu¬<lb/>
kunft zurückließ. Mit dieser Eigenschaft allein konnte, wie die Dinge lagen,<lb/>
das neue Reich mit Aussicht auf Dauer gegründet, mit ihr allein konnte es<lb/>
bis jetzt zusammengehalten werden, und wurde es in der That durch Vertrauen,<lb/>
Zufriedenheit und guten Willen Aller wie mit goldenen Klammern zusammen¬<lb/>
gehalten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0364] Die Stellung Bismcircks und des Kronprinzen zu Baiern im Winter ^870. Virchow im Dezember 1881 dem Kanzler den Vorwurf machen zu dürfen glaubte, er sei inkonsequent gewesen, (inkonsequent heißt im Wörterbuche des Deutschfreisinns, der die Inkonsequenz zu den sieben Todsünden des Politikers zählt, wer niemals belehrbar, der Belehrung durch Thatsachen zugänglich ist), indem er vom Kampfe mit den Ultramontanen abgelassen, den er eine zeitlang betrieben habe, erhielt er zur Antwort: „Jeder Kampf hat seine Höhe und seine Hitze. Aber kein Kampf im Innern, zwischen einer Partei und der Regierung, kein Konflikt kann von mir als eine dauernde und nützliche Institution behandelt werden. Ich muß ja Kämpfe führen, aber doch nur zu dem Zwecke, Frieden zu erlangen. Diese Kämpfe können sehr heiß werden, und das hängt nicht immer von mir allein ab, aber mein Endziel ist dabei doch immer der Friede. Wenn ich nun glaube, diesem Frieden in der heutigen Zeit mit mehr Wahr¬ scheinlichkeit nahe zu kommen, als in der Zeit, wo des Kampfes Hitze ent¬ brannte, so ist es ja meine Pflicht, dem Frieden meine Aufmerksamkeit zuzu¬ wenden, nicht aber weiter zu fechten, blos um zu fechten wie ein politischer Raufbold. Kann ich ihn haben, den Frieden, kann ich auch nur einen Waffen¬ stillstand, wie wir deren ja gehabt haben, die Jahrhunderte gedauert haben, durch einen annehmbaren inoäus vivöucii erlangen, so würde ich pflichtwidrig handeln, wenn ich das nicht acceptiren wollte." Ähnliches hat er während der letzten Jahre des Kulturkampfes noch mehr als einmal gesagt. Diese staatskluge Billigkeit war es, die gegen den Wunsch und Willen des Kronprinzen und seiner Freunde das deutsche Reich in Versailles zu stände brachte, so wie es geschehen mußte, nicht mit Gewalt und Drohung, nicht mit mittelbarem oder unmittelbarem Zwang, sondern durch Vereinbarung auf güt¬ lichem Wege, durch Nachgiebigkeit, der dann Nachgiebigkeit von der andern Seite entsprach, und die hier weder Verstimmung noch Hintergedanken für die Zu¬ kunft zurückließ. Mit dieser Eigenschaft allein konnte, wie die Dinge lagen, das neue Reich mit Aussicht auf Dauer gegründet, mit ihr allein konnte es bis jetzt zusammengehalten werden, und wurde es in der That durch Vertrauen, Zufriedenheit und guten Willen Aller wie mit goldenen Klammern zusammen¬ gehalten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/364
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/364>, abgerufen am 30.06.2024.