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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Stellung Bismarcks und des Kronprinzen zu Baiern im lvinter 1^370.

beispiellose Geschicklichkeit, den Gegner unvermerkt dahin zu lenken, daß er sich vor
der Welt selbst ins Unrecht versetzt. Wir sehen aber endlich auch in ihm neben
gewaltiger Energie des Willens, größter Entschlossenheit, Unerschrockenheit und
Beharrlichkeit, Charakterzügen, mit denen er vor nichts notwendigen zurück¬
schreckt, in ungewöhnlichem Grade jene Regeln der staatsmännischen Kunst
verkörpert und gewissermaßen zur zweiten Natur geworden, welche Mäßigung
und Billigkeit vorschreiben, die Denkart, die nur das Wesentliche fordert und
darum bereitwillig zur Vereinbarung über Nebensächliches die Hand bietet.

Als 1866 in höhern Kreisen des Feldlagers in Mähren der Besitz ganz
Sachsens oder wenigstens eines großen Teils desselben, Nordböhmens und des
einst den Hohenzollern gehörigen Nordbaierns, ins Auge gefaßt war, riet
Bismarck, von den eroberten Landstrichen nur Hannover, Hessen und Nassau
mit Frankfurt zu behalten, weil dadurch die große Lücke zwischen der östlichen
und der westlichen Hälfte der preußischen Monarchie ausgefüllt werde und
die betreffende Bevölkerung der preußischen im großen und ganzen homogen
war. Eine Teilung Sachsens würde, so erklärte er, Verbitterung in dem
übrigbleibenden Teile hervorrufen und dem beabsichtigten neuen deutschen Bunde
ein verstimmtes und unsicheres Glied anfügen. Ganz Sachsen zu beanspruchen,
würde bedenklich sein, da Österreich dann wahrscheinlich fortkämpfen und in
diesem Falle Frankreich sich -- nicht für Sachsen, sondern im eignen Interesse
am Rheine -- am Kriege beteiligen, und schon eine geringe französische Streit¬
macht ausreichen würde, um die inzwischen der Zahl nach sehr stark gewor¬
denen süddeutschen Truppen einig und unternehmend zu machen. Er wollte
aus dem gleichen Grunde Österreich und Vaiern mit Landverlust verschont
wissen, zugleich aber deshalb, weil er sich die Möglichkeit einer einstigen Ver-
ständigung mit dem Wiener Hofe nicht durch Erweckung bleibender Rancüne
abschneiden lassen wollte, und weil er für den Verzicht auf Nordbaiern ein
wertvolles Bündnis mit ganz Baiern einzutauschen hoffte, das die von ihm
erstrebte Einigung ganz Deutschlands anbahnen konnte. Und er rechnete richtig.
Die Verständigung mit Österreich kam 1879 zu stände, und das schon 1866 ab¬
geschlossene Bündnis mit Baiern half 1870 den Erbfeind im Westen besiegen
und verwandelte sich zuletzt in dauernden Anschluß Baierns an den deutschen
Norden.

1871 nahm er das Elsaß und einen Teil Lothringens nicht deshalb, weil
sie einmal zum deutschen Reiche gehört hatten -- "das ist Professorenidee,"
äußerte er, als dieser Grund einmal geltend gemacht wurde --, sondern aus
militärischen Beweggründen, d. h. weil die dominirende Lage von Straßburg
und der einspringende Winkel von Weißenburg Süddeutschland vom Norden
abschnitten und plötzlichen Überfällen aussetzten. Er ließ aber diese Lande nicht
zur preußischen Provinz erklären, wie wohlmeinende Patrioten wünschten, sondern
bewirkte, daß sie Reichsland wurden, indem er dadurch den Neid und die


Die Stellung Bismarcks und des Kronprinzen zu Baiern im lvinter 1^370.

beispiellose Geschicklichkeit, den Gegner unvermerkt dahin zu lenken, daß er sich vor
der Welt selbst ins Unrecht versetzt. Wir sehen aber endlich auch in ihm neben
gewaltiger Energie des Willens, größter Entschlossenheit, Unerschrockenheit und
Beharrlichkeit, Charakterzügen, mit denen er vor nichts notwendigen zurück¬
schreckt, in ungewöhnlichem Grade jene Regeln der staatsmännischen Kunst
verkörpert und gewissermaßen zur zweiten Natur geworden, welche Mäßigung
und Billigkeit vorschreiben, die Denkart, die nur das Wesentliche fordert und
darum bereitwillig zur Vereinbarung über Nebensächliches die Hand bietet.

Als 1866 in höhern Kreisen des Feldlagers in Mähren der Besitz ganz
Sachsens oder wenigstens eines großen Teils desselben, Nordböhmens und des
einst den Hohenzollern gehörigen Nordbaierns, ins Auge gefaßt war, riet
Bismarck, von den eroberten Landstrichen nur Hannover, Hessen und Nassau
mit Frankfurt zu behalten, weil dadurch die große Lücke zwischen der östlichen
und der westlichen Hälfte der preußischen Monarchie ausgefüllt werde und
die betreffende Bevölkerung der preußischen im großen und ganzen homogen
war. Eine Teilung Sachsens würde, so erklärte er, Verbitterung in dem
übrigbleibenden Teile hervorrufen und dem beabsichtigten neuen deutschen Bunde
ein verstimmtes und unsicheres Glied anfügen. Ganz Sachsen zu beanspruchen,
würde bedenklich sein, da Österreich dann wahrscheinlich fortkämpfen und in
diesem Falle Frankreich sich — nicht für Sachsen, sondern im eignen Interesse
am Rheine — am Kriege beteiligen, und schon eine geringe französische Streit¬
macht ausreichen würde, um die inzwischen der Zahl nach sehr stark gewor¬
denen süddeutschen Truppen einig und unternehmend zu machen. Er wollte
aus dem gleichen Grunde Österreich und Vaiern mit Landverlust verschont
wissen, zugleich aber deshalb, weil er sich die Möglichkeit einer einstigen Ver-
ständigung mit dem Wiener Hofe nicht durch Erweckung bleibender Rancüne
abschneiden lassen wollte, und weil er für den Verzicht auf Nordbaiern ein
wertvolles Bündnis mit ganz Baiern einzutauschen hoffte, das die von ihm
erstrebte Einigung ganz Deutschlands anbahnen konnte. Und er rechnete richtig.
Die Verständigung mit Österreich kam 1879 zu stände, und das schon 1866 ab¬
geschlossene Bündnis mit Baiern half 1870 den Erbfeind im Westen besiegen
und verwandelte sich zuletzt in dauernden Anschluß Baierns an den deutschen
Norden.

1871 nahm er das Elsaß und einen Teil Lothringens nicht deshalb, weil
sie einmal zum deutschen Reiche gehört hatten — „das ist Professorenidee,"
äußerte er, als dieser Grund einmal geltend gemacht wurde —, sondern aus
militärischen Beweggründen, d. h. weil die dominirende Lage von Straßburg
und der einspringende Winkel von Weißenburg Süddeutschland vom Norden
abschnitten und plötzlichen Überfällen aussetzten. Er ließ aber diese Lande nicht
zur preußischen Provinz erklären, wie wohlmeinende Patrioten wünschten, sondern
bewirkte, daß sie Reichsland wurden, indem er dadurch den Neid und die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/362>, abgerufen am 04.07.2024.