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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Stellung Bismarcks und des Kronprinzen zu Baiern im Winter ^870.

Weiß, das; sie vergnügt fortgegangen sind. Ich wollte sie nicht Pressen, die Si¬
tuation nicht ausnutzen. Der Vertrag hat seine Mängel, aber er ist so fester.
Ich rechne ihn zu dem wichtigsten, was wir in diesem Jahre erreicht haben."
Einige Tage nachher äußerte er über die vielen Stimmen in der Presse, denen
die in Rede stehende Übereinkunft zu wenig zu bieten schien: "Ich habe mirs
gleich gedacht; es mißfällt ihnen, daß gewisse Beamte baierische heißen sollen,
die sich doch ganz nach unsern Gesetzen richten müssen. Mit dem Militär ists
ebenso. Die Bicrsteuer ist ihnen auch nicht recht; als ob wir das nicht jahre¬
lang im Zollvereine gehabt Hütten! Und so haben sie noch allerlei auszusetzen,
wo doch alles Wesentliche erreicht und gehörig fest gemacht ist. Sie thun, als
ob wir den Krieg gegen Baiern geführt hätten, wie 1866 gegen Sachsen, wäh¬
rend wir doch jetzt die Baiern als Bundesgenossen zur Seite haben. Ehe sie
den Vertrag gut heißen, wollen sie lieber warten, bis sie die Einheit kriegen
in der ihnen genehmen Form. Da können sie lange warten. Ihr Weg führt
zur Verschleppung, wo es doch rasch handeln heißt. Zögern wir, so gewinnt
der böse Feind Zeit, Unkraut dazwischen zu säen, und wenn das aufgeht, wenn
Beust Gelegenheit findet, uns seinen Keil in die Fuge zu stecken, so können
sich diese Tadler auf dem Altare des Vaterlandes totschlagen lassen, es wird
doch nichts aus ihren Wünschen. Der Vertrag sichert uns viel; wer alles will,
wird es möglich machen, daß nichts erlangt wird."

Wir begegnen hier einer Eigenschaft des Kanzlers, die wir auch sonst in seinem
Leben vielfach beobachten können, und die, wenn sie auch neben seinen glänzenderen
weniger ins Auge fällt, doch in Verbindung mit möglichster Aufrichtigkeit und
Ehrlichkeit im diplomatischen Verkehr ganz besonders geeignet war, ihm das
Vertrauen der deutschen und nicht minder das Vertrauen der auswärtigen
Fürsten und Mächte zu verschaffe" oder zu erhalten, womit er bisher den
Frieden im Reiche und in ganz Europa zu wahren im stände gewesen ist. Es
wird gut sein, diese Gabe einmal mit einigen Beispielen hervorzuheben und zu
betonen, schon weil sie als nicht sensationell selten so beachtet wird, wie es ihr
gebührt. Wir bewundern den genialen Instinkt des außerordentlichen Mannes,
seinen immer originellen, in der Kritik wie in der Produktion gleich mächtigen,
mit heroischer Willenskraft verbundenen Verstand. Wir bewundern in seinem
Denken und Thun ein vollkommen reines Rechnen mit klar erkannten Kräften
und Thatsachen, dem es beim Ausdrucke seiner Ergebnisse und deren Anwen¬
dung doch nicht an gewinnender Wärme und poetischem Glänze fehlt. Wir
beobachten ferner bei seiner Politik trotz vielfachem Wechsel der Mittel, der
Neben- und Zwischenziele eine Konsequenz, die fest und streng den Hauptzweck
im Auge behält, einen weitreichenden Überblick über die Wege und Seitenpfade
zu dessen Erreichung, eine feine und sichere Hand in der Behandlung der dabei
vor allem in Betracht kommenden maßgebenden Personen, die Gabe, im rechten
Augenblicke zuzugreifen und zuzuschlagen, sonst zu vertagen, und eine fast


Grenzbow, IV. 1833.
Die Stellung Bismarcks und des Kronprinzen zu Baiern im Winter ^870.

Weiß, das; sie vergnügt fortgegangen sind. Ich wollte sie nicht Pressen, die Si¬
tuation nicht ausnutzen. Der Vertrag hat seine Mängel, aber er ist so fester.
Ich rechne ihn zu dem wichtigsten, was wir in diesem Jahre erreicht haben."
Einige Tage nachher äußerte er über die vielen Stimmen in der Presse, denen
die in Rede stehende Übereinkunft zu wenig zu bieten schien: „Ich habe mirs
gleich gedacht; es mißfällt ihnen, daß gewisse Beamte baierische heißen sollen,
die sich doch ganz nach unsern Gesetzen richten müssen. Mit dem Militär ists
ebenso. Die Bicrsteuer ist ihnen auch nicht recht; als ob wir das nicht jahre¬
lang im Zollvereine gehabt Hütten! Und so haben sie noch allerlei auszusetzen,
wo doch alles Wesentliche erreicht und gehörig fest gemacht ist. Sie thun, als
ob wir den Krieg gegen Baiern geführt hätten, wie 1866 gegen Sachsen, wäh¬
rend wir doch jetzt die Baiern als Bundesgenossen zur Seite haben. Ehe sie
den Vertrag gut heißen, wollen sie lieber warten, bis sie die Einheit kriegen
in der ihnen genehmen Form. Da können sie lange warten. Ihr Weg führt
zur Verschleppung, wo es doch rasch handeln heißt. Zögern wir, so gewinnt
der böse Feind Zeit, Unkraut dazwischen zu säen, und wenn das aufgeht, wenn
Beust Gelegenheit findet, uns seinen Keil in die Fuge zu stecken, so können
sich diese Tadler auf dem Altare des Vaterlandes totschlagen lassen, es wird
doch nichts aus ihren Wünschen. Der Vertrag sichert uns viel; wer alles will,
wird es möglich machen, daß nichts erlangt wird."

Wir begegnen hier einer Eigenschaft des Kanzlers, die wir auch sonst in seinem
Leben vielfach beobachten können, und die, wenn sie auch neben seinen glänzenderen
weniger ins Auge fällt, doch in Verbindung mit möglichster Aufrichtigkeit und
Ehrlichkeit im diplomatischen Verkehr ganz besonders geeignet war, ihm das
Vertrauen der deutschen und nicht minder das Vertrauen der auswärtigen
Fürsten und Mächte zu verschaffe» oder zu erhalten, womit er bisher den
Frieden im Reiche und in ganz Europa zu wahren im stände gewesen ist. Es
wird gut sein, diese Gabe einmal mit einigen Beispielen hervorzuheben und zu
betonen, schon weil sie als nicht sensationell selten so beachtet wird, wie es ihr
gebührt. Wir bewundern den genialen Instinkt des außerordentlichen Mannes,
seinen immer originellen, in der Kritik wie in der Produktion gleich mächtigen,
mit heroischer Willenskraft verbundenen Verstand. Wir bewundern in seinem
Denken und Thun ein vollkommen reines Rechnen mit klar erkannten Kräften
und Thatsachen, dem es beim Ausdrucke seiner Ergebnisse und deren Anwen¬
dung doch nicht an gewinnender Wärme und poetischem Glänze fehlt. Wir
beobachten ferner bei seiner Politik trotz vielfachem Wechsel der Mittel, der
Neben- und Zwischenziele eine Konsequenz, die fest und streng den Hauptzweck
im Auge behält, einen weitreichenden Überblick über die Wege und Seitenpfade
zu dessen Erreichung, eine feine und sichere Hand in der Behandlung der dabei
vor allem in Betracht kommenden maßgebenden Personen, die Gabe, im rechten
Augenblicke zuzugreifen und zuzuschlagen, sonst zu vertagen, und eine fast


Grenzbow, IV. 1833.
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[0361] Die Stellung Bismarcks und des Kronprinzen zu Baiern im Winter ^870. Weiß, das; sie vergnügt fortgegangen sind. Ich wollte sie nicht Pressen, die Si¬ tuation nicht ausnutzen. Der Vertrag hat seine Mängel, aber er ist so fester. Ich rechne ihn zu dem wichtigsten, was wir in diesem Jahre erreicht haben." Einige Tage nachher äußerte er über die vielen Stimmen in der Presse, denen die in Rede stehende Übereinkunft zu wenig zu bieten schien: „Ich habe mirs gleich gedacht; es mißfällt ihnen, daß gewisse Beamte baierische heißen sollen, die sich doch ganz nach unsern Gesetzen richten müssen. Mit dem Militär ists ebenso. Die Bicrsteuer ist ihnen auch nicht recht; als ob wir das nicht jahre¬ lang im Zollvereine gehabt Hütten! Und so haben sie noch allerlei auszusetzen, wo doch alles Wesentliche erreicht und gehörig fest gemacht ist. Sie thun, als ob wir den Krieg gegen Baiern geführt hätten, wie 1866 gegen Sachsen, wäh¬ rend wir doch jetzt die Baiern als Bundesgenossen zur Seite haben. Ehe sie den Vertrag gut heißen, wollen sie lieber warten, bis sie die Einheit kriegen in der ihnen genehmen Form. Da können sie lange warten. Ihr Weg führt zur Verschleppung, wo es doch rasch handeln heißt. Zögern wir, so gewinnt der böse Feind Zeit, Unkraut dazwischen zu säen, und wenn das aufgeht, wenn Beust Gelegenheit findet, uns seinen Keil in die Fuge zu stecken, so können sich diese Tadler auf dem Altare des Vaterlandes totschlagen lassen, es wird doch nichts aus ihren Wünschen. Der Vertrag sichert uns viel; wer alles will, wird es möglich machen, daß nichts erlangt wird." Wir begegnen hier einer Eigenschaft des Kanzlers, die wir auch sonst in seinem Leben vielfach beobachten können, und die, wenn sie auch neben seinen glänzenderen weniger ins Auge fällt, doch in Verbindung mit möglichster Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit im diplomatischen Verkehr ganz besonders geeignet war, ihm das Vertrauen der deutschen und nicht minder das Vertrauen der auswärtigen Fürsten und Mächte zu verschaffe» oder zu erhalten, womit er bisher den Frieden im Reiche und in ganz Europa zu wahren im stände gewesen ist. Es wird gut sein, diese Gabe einmal mit einigen Beispielen hervorzuheben und zu betonen, schon weil sie als nicht sensationell selten so beachtet wird, wie es ihr gebührt. Wir bewundern den genialen Instinkt des außerordentlichen Mannes, seinen immer originellen, in der Kritik wie in der Produktion gleich mächtigen, mit heroischer Willenskraft verbundenen Verstand. Wir bewundern in seinem Denken und Thun ein vollkommen reines Rechnen mit klar erkannten Kräften und Thatsachen, dem es beim Ausdrucke seiner Ergebnisse und deren Anwen¬ dung doch nicht an gewinnender Wärme und poetischem Glänze fehlt. Wir beobachten ferner bei seiner Politik trotz vielfachem Wechsel der Mittel, der Neben- und Zwischenziele eine Konsequenz, die fest und streng den Hauptzweck im Auge behält, einen weitreichenden Überblick über die Wege und Seitenpfade zu dessen Erreichung, eine feine und sichere Hand in der Behandlung der dabei vor allem in Betracht kommenden maßgebenden Personen, die Gabe, im rechten Augenblicke zuzugreifen und zuzuschlagen, sonst zu vertagen, und eine fast Grenzbow, IV. 1833.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/361>, abgerufen am 04.07.2024.