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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Universitäten im Mittelalter.

Mittelalter einleitete, galten bis auf den heutigen Tag. Die einzelnen
Universitäten fuhren fort mit fleißiger und übergenauer Zusammenstellung
ihrer Jahrbücher und Aktenstücke, aber eine Geschichte der Universität blieb
trotz oder vielleicht wegen der vielen Geschichten der Universitäten ungeschrieben.
Die großen Universitätsjubiläen der letzten Jahre scheinen nun das Augen¬
merk ganz besonders auf diesen Punkt gelenkt zu haben. 1885 erschien
der erste Teil der gelehrten Arbeit Dcnifles über die Universitäten des Mittel¬
alters bis 1400; in diesem Jahre, dem Jahre der ehrwürdigsten Jubelfeier
einer Universität, der Universität Bologna, und ihr zugeeignet, führt sich
der erste Band eines Werkes ein, das auf Anregung und mit Beihilfe
des preußischen Kultusministeriums unternommen, auf breitester Grund¬
lage eine "Geschichte der deutschen Universitäten" zu geben verspricht.*) Der
Verfasser, Georg Kaufmann, Professor in Straßburg, scheint berufen, diese Lücke
in der geschichtlichen Litteratur auszufüllen. An umfassenderen historischen Vor¬
würfen bereits bewährt, besitzt er die nicht allzuhäufigen Vorbedingungen für
die vorliegende Aufgabe: Weite des Überblickes und eine dem Begriff der
univorLiws entsprechende, verhältnißmüßige Allseitigkeit des Jnteressenkreises.
Auch die für kulturgeschichtliche Darstellungen ganz besonders nötige Gabe an¬
ziehenden Vortrciges, geschickter Anordnung, verbunden mit der Fähigkeit, die
Massen des Stoffes nach entscheidenden Grundsätzen zu bewältigen, zeichnen
ihn in nicht gewöhnlichen Grade ans.

Wie schon die Widmung andeuten kann, befinden wir uns in diesem Etn-
leitungsbande noch nicht bei unserm Thema, noch nicht ans deutschem Boden.
Die mittelalterliche Universität ist zwar in ihrem gesellschaftlichen Zusammen¬
hange eine wesentlich germanische Schöpfung. Aber ihre bis in die ersten Zeiten
unsers Jahrtausends zurückreichenden Anfänge fallen außerhalb Deutschlands.
Die Namen zweier deutschen Kaiser, Karls des Großen und Friedrich Barba¬
rossas, bilden die Marksteine für die Entstehungsgeschichte der Universitäten, die
man früher gern in unvordenkliche Zeiten zurücklegte. Dadurch treten sie in
eine eigenartige Beziehung zu den staatlichen Anfängen des Volkes, dessen Geistes¬
leben später am innigsten mit ihnen verwachsen sollte. Karls Verdienste um das
gesamte verfallene Schulwesen seiner Zeit sind allbekannt. In seinen energi¬
schen Bemühungen um die wissenschaftliche Ausbildung der Geistlichkeit liegen die
treibenden Keime, aus denen unmittelbar die Universitäten hervorwuchsen. Diese
Bemühungen setzten unter seinen Nachfolgern nicht aus. Allgemeine Verord¬
nungen der Kaiser, Gründungen von Schule", die von ihnen ausgehen, beweisen
das Interesse des Staates an gelehrter Bildung, welches damals, als im wesent¬
lichen der Geistlichkeit zu gute kommend, sich noch durchaus in Harmonie mit



*) Geschichte der deutschen Universitäten von Georg Kaufmann. Erster Band:
Vorgeschichte. Stuttgart, Cotta 1883.
Die Universitäten im Mittelalter.

Mittelalter einleitete, galten bis auf den heutigen Tag. Die einzelnen
Universitäten fuhren fort mit fleißiger und übergenauer Zusammenstellung
ihrer Jahrbücher und Aktenstücke, aber eine Geschichte der Universität blieb
trotz oder vielleicht wegen der vielen Geschichten der Universitäten ungeschrieben.
Die großen Universitätsjubiläen der letzten Jahre scheinen nun das Augen¬
merk ganz besonders auf diesen Punkt gelenkt zu haben. 1885 erschien
der erste Teil der gelehrten Arbeit Dcnifles über die Universitäten des Mittel¬
alters bis 1400; in diesem Jahre, dem Jahre der ehrwürdigsten Jubelfeier
einer Universität, der Universität Bologna, und ihr zugeeignet, führt sich
der erste Band eines Werkes ein, das auf Anregung und mit Beihilfe
des preußischen Kultusministeriums unternommen, auf breitester Grund¬
lage eine „Geschichte der deutschen Universitäten" zu geben verspricht.*) Der
Verfasser, Georg Kaufmann, Professor in Straßburg, scheint berufen, diese Lücke
in der geschichtlichen Litteratur auszufüllen. An umfassenderen historischen Vor¬
würfen bereits bewährt, besitzt er die nicht allzuhäufigen Vorbedingungen für
die vorliegende Aufgabe: Weite des Überblickes und eine dem Begriff der
univorLiws entsprechende, verhältnißmüßige Allseitigkeit des Jnteressenkreises.
Auch die für kulturgeschichtliche Darstellungen ganz besonders nötige Gabe an¬
ziehenden Vortrciges, geschickter Anordnung, verbunden mit der Fähigkeit, die
Massen des Stoffes nach entscheidenden Grundsätzen zu bewältigen, zeichnen
ihn in nicht gewöhnlichen Grade ans.

Wie schon die Widmung andeuten kann, befinden wir uns in diesem Etn-
leitungsbande noch nicht bei unserm Thema, noch nicht ans deutschem Boden.
Die mittelalterliche Universität ist zwar in ihrem gesellschaftlichen Zusammen¬
hange eine wesentlich germanische Schöpfung. Aber ihre bis in die ersten Zeiten
unsers Jahrtausends zurückreichenden Anfänge fallen außerhalb Deutschlands.
Die Namen zweier deutschen Kaiser, Karls des Großen und Friedrich Barba¬
rossas, bilden die Marksteine für die Entstehungsgeschichte der Universitäten, die
man früher gern in unvordenkliche Zeiten zurücklegte. Dadurch treten sie in
eine eigenartige Beziehung zu den staatlichen Anfängen des Volkes, dessen Geistes¬
leben später am innigsten mit ihnen verwachsen sollte. Karls Verdienste um das
gesamte verfallene Schulwesen seiner Zeit sind allbekannt. In seinen energi¬
schen Bemühungen um die wissenschaftliche Ausbildung der Geistlichkeit liegen die
treibenden Keime, aus denen unmittelbar die Universitäten hervorwuchsen. Diese
Bemühungen setzten unter seinen Nachfolgern nicht aus. Allgemeine Verord¬
nungen der Kaiser, Gründungen von Schule», die von ihnen ausgehen, beweisen
das Interesse des Staates an gelehrter Bildung, welches damals, als im wesent¬
lichen der Geistlichkeit zu gute kommend, sich noch durchaus in Harmonie mit



*) Geschichte der deutschen Universitäten von Georg Kaufmann. Erster Band:
Vorgeschichte. Stuttgart, Cotta 1883.
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[0036] Die Universitäten im Mittelalter. Mittelalter einleitete, galten bis auf den heutigen Tag. Die einzelnen Universitäten fuhren fort mit fleißiger und übergenauer Zusammenstellung ihrer Jahrbücher und Aktenstücke, aber eine Geschichte der Universität blieb trotz oder vielleicht wegen der vielen Geschichten der Universitäten ungeschrieben. Die großen Universitätsjubiläen der letzten Jahre scheinen nun das Augen¬ merk ganz besonders auf diesen Punkt gelenkt zu haben. 1885 erschien der erste Teil der gelehrten Arbeit Dcnifles über die Universitäten des Mittel¬ alters bis 1400; in diesem Jahre, dem Jahre der ehrwürdigsten Jubelfeier einer Universität, der Universität Bologna, und ihr zugeeignet, führt sich der erste Band eines Werkes ein, das auf Anregung und mit Beihilfe des preußischen Kultusministeriums unternommen, auf breitester Grund¬ lage eine „Geschichte der deutschen Universitäten" zu geben verspricht.*) Der Verfasser, Georg Kaufmann, Professor in Straßburg, scheint berufen, diese Lücke in der geschichtlichen Litteratur auszufüllen. An umfassenderen historischen Vor¬ würfen bereits bewährt, besitzt er die nicht allzuhäufigen Vorbedingungen für die vorliegende Aufgabe: Weite des Überblickes und eine dem Begriff der univorLiws entsprechende, verhältnißmüßige Allseitigkeit des Jnteressenkreises. Auch die für kulturgeschichtliche Darstellungen ganz besonders nötige Gabe an¬ ziehenden Vortrciges, geschickter Anordnung, verbunden mit der Fähigkeit, die Massen des Stoffes nach entscheidenden Grundsätzen zu bewältigen, zeichnen ihn in nicht gewöhnlichen Grade ans. Wie schon die Widmung andeuten kann, befinden wir uns in diesem Etn- leitungsbande noch nicht bei unserm Thema, noch nicht ans deutschem Boden. Die mittelalterliche Universität ist zwar in ihrem gesellschaftlichen Zusammen¬ hange eine wesentlich germanische Schöpfung. Aber ihre bis in die ersten Zeiten unsers Jahrtausends zurückreichenden Anfänge fallen außerhalb Deutschlands. Die Namen zweier deutschen Kaiser, Karls des Großen und Friedrich Barba¬ rossas, bilden die Marksteine für die Entstehungsgeschichte der Universitäten, die man früher gern in unvordenkliche Zeiten zurücklegte. Dadurch treten sie in eine eigenartige Beziehung zu den staatlichen Anfängen des Volkes, dessen Geistes¬ leben später am innigsten mit ihnen verwachsen sollte. Karls Verdienste um das gesamte verfallene Schulwesen seiner Zeit sind allbekannt. In seinen energi¬ schen Bemühungen um die wissenschaftliche Ausbildung der Geistlichkeit liegen die treibenden Keime, aus denen unmittelbar die Universitäten hervorwuchsen. Diese Bemühungen setzten unter seinen Nachfolgern nicht aus. Allgemeine Verord¬ nungen der Kaiser, Gründungen von Schule», die von ihnen ausgehen, beweisen das Interesse des Staates an gelehrter Bildung, welches damals, als im wesent¬ lichen der Geistlichkeit zu gute kommend, sich noch durchaus in Harmonie mit *) Geschichte der deutschen Universitäten von Georg Kaufmann. Erster Band: Vorgeschichte. Stuttgart, Cotta 1883.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/36>, abgerufen am 24.08.2024.