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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Universitäten im Mittelalter.

Diese preußenfeindliche und österreichfreundliche Strömung wurde nach Kräften
gefördert, verstärkt und vertieft durch die ultramontan gesinnte katholische
Geistlichkeit, und darüber wird man sich gar nicht sehr verwundern, wenn man
sich in ihre Anschauungen hinein zu denken vermag und sich auf ihren Stand¬
punkt stellt. Viel wunderbarer, ja fast unbegreiflich ist es, daß auch die ortho¬
doxe evangelische Geistlichkeit, namentlich gerade die, die es stets liebte, mit
ihrem reinen, unverfälschten Luthertums zu prahlen, besonders in Sachsen,
Hannover, Mecklenburg, Meiningen u. s. w., eine so entschiedne und völlig
blinde Parteinahme für den Kaiserstaat an der Donau hegte und zeigte. Diese
Erscheinung, die bis auf den heutigen Tag noch hie und da fortdauert, und
für die es keinerlei Rechtfertigung giebt, man mag sich nun auf den theo¬
logischen Standpunkt stellen oder auf den politischen, insofern er echt evangelisch
und gut deutsch ist, läßt sich nur durch den allereinseitigsten, kurzsichtigsten und
verranntesten Partikularismus erklären.

Alle diese bezeichneten Kreise wirkten zusammen, um unter der großen
Masse der Deutschen, die Gebildeten nicht ausgeschlossen, und zwar nicht bloß
in den Kleinstaaten, sondern zum Teile selbst in Preußen, über Österreich Vor¬
stellungen zu verbreiten, die nichts weniger als der Wirklichkeit entsprechend
waren. Da diese irrigen und verkehrten Vorstellungen noch jetzt in manchen
Köpfen spuken, so ist es auch heute noch, obwohl sich alle Verhältnisse so sehr
geändert haben, vielleicht nicht zwecklos, einige Worte darüber zu sagen.

(Fortsetzung folgt.)




Die Universitäten im Mittelalter.

MMHnsre Universitätsgeschichte ist fast ohne Ausnahme -- und mit
Recht -- Spezial- und Lokalgeschichte. Die örtlichen Schicksale
sind in ihr die Hauptsache, die Charakteristik der Zustände und
die Motivirung der allgemeinern Grundlage derselben tritt da¬
gegen zurück. Und wir dürfen nicht sagen, daß die Verfasser der
Spezialgeschichten diese als bekannt voraussetzten und mit Fug und Recht
voraussetzen durften; vielmehr müssen wir bekennen, daß ein umfassendes
und völlig adäquates Bild der mittelalterlichen Universitätsverhältnisse von
der Forschung noch nicht wieder hervorgerufen ist." Diese Worte, mit denen
Zarncke vor Jahrzehnten seine Beiträge zu einer Universitätsgeschichte im


Die Universitäten im Mittelalter.

Diese preußenfeindliche und österreichfreundliche Strömung wurde nach Kräften
gefördert, verstärkt und vertieft durch die ultramontan gesinnte katholische
Geistlichkeit, und darüber wird man sich gar nicht sehr verwundern, wenn man
sich in ihre Anschauungen hinein zu denken vermag und sich auf ihren Stand¬
punkt stellt. Viel wunderbarer, ja fast unbegreiflich ist es, daß auch die ortho¬
doxe evangelische Geistlichkeit, namentlich gerade die, die es stets liebte, mit
ihrem reinen, unverfälschten Luthertums zu prahlen, besonders in Sachsen,
Hannover, Mecklenburg, Meiningen u. s. w., eine so entschiedne und völlig
blinde Parteinahme für den Kaiserstaat an der Donau hegte und zeigte. Diese
Erscheinung, die bis auf den heutigen Tag noch hie und da fortdauert, und
für die es keinerlei Rechtfertigung giebt, man mag sich nun auf den theo¬
logischen Standpunkt stellen oder auf den politischen, insofern er echt evangelisch
und gut deutsch ist, läßt sich nur durch den allereinseitigsten, kurzsichtigsten und
verranntesten Partikularismus erklären.

Alle diese bezeichneten Kreise wirkten zusammen, um unter der großen
Masse der Deutschen, die Gebildeten nicht ausgeschlossen, und zwar nicht bloß
in den Kleinstaaten, sondern zum Teile selbst in Preußen, über Österreich Vor¬
stellungen zu verbreiten, die nichts weniger als der Wirklichkeit entsprechend
waren. Da diese irrigen und verkehrten Vorstellungen noch jetzt in manchen
Köpfen spuken, so ist es auch heute noch, obwohl sich alle Verhältnisse so sehr
geändert haben, vielleicht nicht zwecklos, einige Worte darüber zu sagen.

(Fortsetzung folgt.)




Die Universitäten im Mittelalter.

MMHnsre Universitätsgeschichte ist fast ohne Ausnahme — und mit
Recht — Spezial- und Lokalgeschichte. Die örtlichen Schicksale
sind in ihr die Hauptsache, die Charakteristik der Zustände und
die Motivirung der allgemeinern Grundlage derselben tritt da¬
gegen zurück. Und wir dürfen nicht sagen, daß die Verfasser der
Spezialgeschichten diese als bekannt voraussetzten und mit Fug und Recht
voraussetzen durften; vielmehr müssen wir bekennen, daß ein umfassendes
und völlig adäquates Bild der mittelalterlichen Universitätsverhältnisse von
der Forschung noch nicht wieder hervorgerufen ist." Diese Worte, mit denen
Zarncke vor Jahrzehnten seine Beiträge zu einer Universitätsgeschichte im


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[0035] Die Universitäten im Mittelalter. Diese preußenfeindliche und österreichfreundliche Strömung wurde nach Kräften gefördert, verstärkt und vertieft durch die ultramontan gesinnte katholische Geistlichkeit, und darüber wird man sich gar nicht sehr verwundern, wenn man sich in ihre Anschauungen hinein zu denken vermag und sich auf ihren Stand¬ punkt stellt. Viel wunderbarer, ja fast unbegreiflich ist es, daß auch die ortho¬ doxe evangelische Geistlichkeit, namentlich gerade die, die es stets liebte, mit ihrem reinen, unverfälschten Luthertums zu prahlen, besonders in Sachsen, Hannover, Mecklenburg, Meiningen u. s. w., eine so entschiedne und völlig blinde Parteinahme für den Kaiserstaat an der Donau hegte und zeigte. Diese Erscheinung, die bis auf den heutigen Tag noch hie und da fortdauert, und für die es keinerlei Rechtfertigung giebt, man mag sich nun auf den theo¬ logischen Standpunkt stellen oder auf den politischen, insofern er echt evangelisch und gut deutsch ist, läßt sich nur durch den allereinseitigsten, kurzsichtigsten und verranntesten Partikularismus erklären. Alle diese bezeichneten Kreise wirkten zusammen, um unter der großen Masse der Deutschen, die Gebildeten nicht ausgeschlossen, und zwar nicht bloß in den Kleinstaaten, sondern zum Teile selbst in Preußen, über Österreich Vor¬ stellungen zu verbreiten, die nichts weniger als der Wirklichkeit entsprechend waren. Da diese irrigen und verkehrten Vorstellungen noch jetzt in manchen Köpfen spuken, so ist es auch heute noch, obwohl sich alle Verhältnisse so sehr geändert haben, vielleicht nicht zwecklos, einige Worte darüber zu sagen. (Fortsetzung folgt.) Die Universitäten im Mittelalter. MMHnsre Universitätsgeschichte ist fast ohne Ausnahme — und mit Recht — Spezial- und Lokalgeschichte. Die örtlichen Schicksale sind in ihr die Hauptsache, die Charakteristik der Zustände und die Motivirung der allgemeinern Grundlage derselben tritt da¬ gegen zurück. Und wir dürfen nicht sagen, daß die Verfasser der Spezialgeschichten diese als bekannt voraussetzten und mit Fug und Recht voraussetzen durften; vielmehr müssen wir bekennen, daß ein umfassendes und völlig adäquates Bild der mittelalterlichen Universitätsverhältnisse von der Forschung noch nicht wieder hervorgerufen ist." Diese Worte, mit denen Zarncke vor Jahrzehnten seine Beiträge zu einer Universitätsgeschichte im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/35>, abgerufen am 22.07.2024.