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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Skandinavische Stimmungen.

einen Eugen Richter zu besitzen?" Doch setzte er sofort ernst hinzu: "Die
Ähnlichkeit besteht nur in dem Talente beider für Demagogie. Vjörnson hat,
wie Sie wissen, noch andre Talente. Er ist ein Dichter, der für den Augen¬
blick das wirklich glaubt, was er sich eingeredet hat oder von andern hat ein¬
reden lassen, und es kommt nur auf die rechte Anregung a", um den Saulus
zu einem ebenso begeisterten Paulus zu machen." Meine Frage, ob das Schau¬
spiel, welches Frankreich bietet, nicht ernüchternd auf seine Landsleute wirke,
verneinte er. "Unser Volk will durch eignen Schaden klug werden, und der
Prozeß vollzieht sich jetzt. In Dänemark ist das etwas andres. Doch ich
will nicht vorgreifen, Sie werden ja selbst sehen."

Daß in Kopenhagen eine Abkühlung der frühern warmen Gefühle für
alles Französische eingetreten ist, wurde später auch mir bemerklich. Die Ver¬
anlassung ist drollig genug. Der bekannte Millionär Bierbrauer Jacobsen hatte
auf seine Kosten eine französische Kunstausstellung veranstaltet und, wie es
hieß, ebenfalls auf seine Kosten eine ganze Schaar von Pariser Künstlern und
Berichterstattern zur Eröffnung kommen lassen. Außerdem hatte sich die fran¬
zösische Kommission für die Kunstgewcrbeausstellnng in Kopenhagen eingefunden
und war von dem Vizepräsidenten Schon zu einem Bankett in Skodsborg ge¬
laden worden. Am Tage vor dem Feste verlangte Herr Proust, wenn ich
nicht irre, daß auch sämtliche Pariser Journalisten mitbeigezogen wiirden.
Das geschah. Nun wurde jedoch entdeckt, daß ein Journalist seine Frau mit¬
gebracht hatte, und auch diese wollte dabei sein. Der Gastgeber bedauerte, sie
nicht einladen zu können, da keine Damen in der Gesellschaft sein würden;
wenn sie jedoch zufällig nach Skodsborg kommen wolle, werde sie willkommen
sein. Und richtig war sie "zufällig" an Ort und Stelle und nahm unbefangen
Platz in der verdoppelten oder verdreifachten Gästezahl. Dieses Benehmen,
das herrische Auftreten der Kommissäre und zum Dank für alle Höflichkeit
unverschämte Äußerungen in Pariser Blättern scheinen allerdings in Kopen¬
hagen stark verschnupft zu haben. Glück hat den Dänen die Franzosen¬
freundschaft nie gebracht, ihre Anhänglichkeit an den ersten Napoleon büßten
sie mit dem Verluste Norwegens, und in ihrem Vertrauen auf den dritten
sahen sie sich arg getäuscht. Mithin brauchten sie nicht erst durch die heutigen
Vertreter der an der Spitze der Zivilisation marschirenden Nation aufgeklärt
zu werden. Indessen haben ja manchmal die kleinen Ursachen die größere Wir¬
kung. Warten wir ab.

Dasselbe wird zu raten sein in Beziehung auf die Stimmung der Dänen
gegen Deutschland. Mancher Korrespondent hat wohl zu sehen geglaubt, was
er zu sehen wünschte. Ein Unglück war es auf alle Fälle, daß die uns so
gespreizt dargebotene Bruderhand demselben Herrn Brandes gehört, der kurz
zuvor dem Nnssentum Weihrauch gestreut hatte. Dieser Herr, dem politische
und andre Glaubensgenossen in Deutschland zu einer gewissen Berühmtheit


Skandinavische Stimmungen.

einen Eugen Richter zu besitzen?" Doch setzte er sofort ernst hinzu: „Die
Ähnlichkeit besteht nur in dem Talente beider für Demagogie. Vjörnson hat,
wie Sie wissen, noch andre Talente. Er ist ein Dichter, der für den Augen¬
blick das wirklich glaubt, was er sich eingeredet hat oder von andern hat ein¬
reden lassen, und es kommt nur auf die rechte Anregung a», um den Saulus
zu einem ebenso begeisterten Paulus zu machen." Meine Frage, ob das Schau¬
spiel, welches Frankreich bietet, nicht ernüchternd auf seine Landsleute wirke,
verneinte er. „Unser Volk will durch eignen Schaden klug werden, und der
Prozeß vollzieht sich jetzt. In Dänemark ist das etwas andres. Doch ich
will nicht vorgreifen, Sie werden ja selbst sehen."

Daß in Kopenhagen eine Abkühlung der frühern warmen Gefühle für
alles Französische eingetreten ist, wurde später auch mir bemerklich. Die Ver¬
anlassung ist drollig genug. Der bekannte Millionär Bierbrauer Jacobsen hatte
auf seine Kosten eine französische Kunstausstellung veranstaltet und, wie es
hieß, ebenfalls auf seine Kosten eine ganze Schaar von Pariser Künstlern und
Berichterstattern zur Eröffnung kommen lassen. Außerdem hatte sich die fran¬
zösische Kommission für die Kunstgewcrbeausstellnng in Kopenhagen eingefunden
und war von dem Vizepräsidenten Schon zu einem Bankett in Skodsborg ge¬
laden worden. Am Tage vor dem Feste verlangte Herr Proust, wenn ich
nicht irre, daß auch sämtliche Pariser Journalisten mitbeigezogen wiirden.
Das geschah. Nun wurde jedoch entdeckt, daß ein Journalist seine Frau mit¬
gebracht hatte, und auch diese wollte dabei sein. Der Gastgeber bedauerte, sie
nicht einladen zu können, da keine Damen in der Gesellschaft sein würden;
wenn sie jedoch zufällig nach Skodsborg kommen wolle, werde sie willkommen
sein. Und richtig war sie „zufällig" an Ort und Stelle und nahm unbefangen
Platz in der verdoppelten oder verdreifachten Gästezahl. Dieses Benehmen,
das herrische Auftreten der Kommissäre und zum Dank für alle Höflichkeit
unverschämte Äußerungen in Pariser Blättern scheinen allerdings in Kopen¬
hagen stark verschnupft zu haben. Glück hat den Dänen die Franzosen¬
freundschaft nie gebracht, ihre Anhänglichkeit an den ersten Napoleon büßten
sie mit dem Verluste Norwegens, und in ihrem Vertrauen auf den dritten
sahen sie sich arg getäuscht. Mithin brauchten sie nicht erst durch die heutigen
Vertreter der an der Spitze der Zivilisation marschirenden Nation aufgeklärt
zu werden. Indessen haben ja manchmal die kleinen Ursachen die größere Wir¬
kung. Warten wir ab.

Dasselbe wird zu raten sein in Beziehung auf die Stimmung der Dänen
gegen Deutschland. Mancher Korrespondent hat wohl zu sehen geglaubt, was
er zu sehen wünschte. Ein Unglück war es auf alle Fälle, daß die uns so
gespreizt dargebotene Bruderhand demselben Herrn Brandes gehört, der kurz
zuvor dem Nnssentum Weihrauch gestreut hatte. Dieser Herr, dem politische
und andre Glaubensgenossen in Deutschland zu einer gewissen Berühmtheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/346>, abgerufen am 24.08.2024.