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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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verholfen haben, ist nämlich -- es freut mich, das kundthun zu können -- in
seiner Heimat gründlich erkannt. Er hat seine Partei mit in Verruf gebracht,
und sein Werk ist es zum guten Teil, daß auch in Dänemark die Judenfrage
auf der Tagesordnung steht. In dem Organ der dänischen "Freisinnigen"
("Politiker") hatte er die Lösung der sozialen Wirren durch -- die freie Liebe
proklamirt. Daß das ein-Blödsinn ist, war ihm schwerlich verborgen, aber
der Einfall war originell, pikant, und er und sein Anhang sollen das Thema
so schamlos breitgetreten haben, daß endlich ein Fräulein Grundtvig in eigens
einberufener Frauenversammlung nachdrücklich ihr Geschlecht gegen die aufge-
drungene Vormundschaft dieses Gelichters verwahrte. Brandes glaubte sie mit
niedrigem Spott abthun zu können, allein die Dame bewies auch weiter Mut,
indem sie deu Gegner vor die Gerichtsschranken forderte und seine Verurteilung
erwirkte. Und nach ihr nahm ein Architekt, Professor Klein, den Kampf auf,
zuerst in einer diese "Sittlichkeitsfrage" behandelnden Flugschrift "Die litte¬
rarische Linke," dann in einer eignen zwanglosen Zeitschrift "Auti-Brande-
sicmske Flyveblade." Der Angegriffene hat, wie es scheint, alles über sich er¬
gehen lassen; er rechnet wohl darauf, daß seine Getreuen seine Moral teilen,
daher auch in dem ihm wiederholt nachgewiesenen Plaginm nichts Böses er¬
blicken, und daß seine deutschen Freunde alle die Unannehmlichkeiten totschweigen
werden.

Einen ungeeigneteren Wortführer konnte also die Idee der Versöhnung
zwischen Deutschen und Dänen nicht finden, und falls auf dänischer Seite Ge¬
neigtheit vorhanden gewesen sein sollte, hat der Name Georg Brandes sie wieder
verscheucht. Doch glaube ich nicht, daß sie vorhanden war. Den Verlust der
deutschen Herzogtümer haben die meisten vielleicht verschmerzt, aber die Erinne¬
rung an den berühmten § 6 ist als Stachel zurückgeblieben, und Billigdenkende
werden das begreifen. Rechtlich ist das Verhältnis ja völlig klar, Dänemark
gehörte nicht zu den in Prag Frieden schließenden Mächten, aber es empfindet
es als einen Gewaltakt, daß die zu seinen Gunsten aufgenommene Bestimmung
rücksichtslos außer Kraft gesetzt worden ist -- wie man allgemein glaubt.
Wenn die "Kieler Zeitung," als im Spätsommer diese Angelegenheit wieder
erörtert wurde, die Dänen damit zu trösten glaubte, daß sie ja erst seit der
Ablösung der Herzogtümer einen Nationalstaat hätten, so war das abgeschmackt,
denn kraft des Nationalitätsprinzips fordern sie Nordschleswig. Die richtige
Auffassung der Sachlage kann sich nur einstellen, wenn die Dünen sich vor¬
urteilsfrei vor Augen stellen, wie alles gekommen ist. Das thun sie nicht, und
zum Teil ist ihnen die Wahrheit wirklich unbekannt. Ich habe Behauptungen
gehört, die mir allbekannt vorkamen, und die ich richtig in einer Schrift
wiedergefunden habe, welche vor rund fünfundzwanzig Jahren erschienen ist.
Damals hatte Dünemark erreicht, was irgend möglich war, es war als Ge¬
samtstaat anerkannt, und bestünde vielleicht heute noch als solcher, wenn es


verholfen haben, ist nämlich — es freut mich, das kundthun zu können — in
seiner Heimat gründlich erkannt. Er hat seine Partei mit in Verruf gebracht,
und sein Werk ist es zum guten Teil, daß auch in Dänemark die Judenfrage
auf der Tagesordnung steht. In dem Organ der dänischen „Freisinnigen"
(„Politiker") hatte er die Lösung der sozialen Wirren durch -- die freie Liebe
proklamirt. Daß das ein-Blödsinn ist, war ihm schwerlich verborgen, aber
der Einfall war originell, pikant, und er und sein Anhang sollen das Thema
so schamlos breitgetreten haben, daß endlich ein Fräulein Grundtvig in eigens
einberufener Frauenversammlung nachdrücklich ihr Geschlecht gegen die aufge-
drungene Vormundschaft dieses Gelichters verwahrte. Brandes glaubte sie mit
niedrigem Spott abthun zu können, allein die Dame bewies auch weiter Mut,
indem sie deu Gegner vor die Gerichtsschranken forderte und seine Verurteilung
erwirkte. Und nach ihr nahm ein Architekt, Professor Klein, den Kampf auf,
zuerst in einer diese „Sittlichkeitsfrage" behandelnden Flugschrift „Die litte¬
rarische Linke," dann in einer eignen zwanglosen Zeitschrift „Auti-Brande-
sicmske Flyveblade." Der Angegriffene hat, wie es scheint, alles über sich er¬
gehen lassen; er rechnet wohl darauf, daß seine Getreuen seine Moral teilen,
daher auch in dem ihm wiederholt nachgewiesenen Plaginm nichts Böses er¬
blicken, und daß seine deutschen Freunde alle die Unannehmlichkeiten totschweigen
werden.

Einen ungeeigneteren Wortführer konnte also die Idee der Versöhnung
zwischen Deutschen und Dänen nicht finden, und falls auf dänischer Seite Ge¬
neigtheit vorhanden gewesen sein sollte, hat der Name Georg Brandes sie wieder
verscheucht. Doch glaube ich nicht, daß sie vorhanden war. Den Verlust der
deutschen Herzogtümer haben die meisten vielleicht verschmerzt, aber die Erinne¬
rung an den berühmten § 6 ist als Stachel zurückgeblieben, und Billigdenkende
werden das begreifen. Rechtlich ist das Verhältnis ja völlig klar, Dänemark
gehörte nicht zu den in Prag Frieden schließenden Mächten, aber es empfindet
es als einen Gewaltakt, daß die zu seinen Gunsten aufgenommene Bestimmung
rücksichtslos außer Kraft gesetzt worden ist — wie man allgemein glaubt.
Wenn die „Kieler Zeitung," als im Spätsommer diese Angelegenheit wieder
erörtert wurde, die Dänen damit zu trösten glaubte, daß sie ja erst seit der
Ablösung der Herzogtümer einen Nationalstaat hätten, so war das abgeschmackt,
denn kraft des Nationalitätsprinzips fordern sie Nordschleswig. Die richtige
Auffassung der Sachlage kann sich nur einstellen, wenn die Dünen sich vor¬
urteilsfrei vor Augen stellen, wie alles gekommen ist. Das thun sie nicht, und
zum Teil ist ihnen die Wahrheit wirklich unbekannt. Ich habe Behauptungen
gehört, die mir allbekannt vorkamen, und die ich richtig in einer Schrift
wiedergefunden habe, welche vor rund fünfundzwanzig Jahren erschienen ist.
Damals hatte Dünemark erreicht, was irgend möglich war, es war als Ge¬
samtstaat anerkannt, und bestünde vielleicht heute noch als solcher, wenn es


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/347>, abgerufen am 24.08.2024.