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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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skandinavische Stimmungen.

^^Ä^^
NIMMaber skandinavische Angelegenheiten ist im verflossenen Sommer
viel zu lesen gewesen. Die Mitternachtssonne darf sich rühmen,
die Sonne im "Propheten" ans der Mode gebracht zu haben,
alljährlich schwillt die Zahl der Pilger nach dem Nordcap an,
und in demselben Grade vermehrt sich die Menge der gedruckten
Berichte über Land und Leute. In diesem Jahre aber wurden dergleichen
Schilderungen infolge der Reise des Kaisers ziemlich regelmäßig mit politischen
Betrachtungen gewürzt. Wenn ich meinen vielen Vorgängern gerade auf dieses
Gebiet folge, so gestehe ich im voraus, daß ich zu eignen Beobachtungen wenig
Gelegenheit gehabt, sondern nur aus Gesprächen mit alten Freunden und aus
den Zeitungen geschöpft habe; um deren Aussagen zu prüfen, fehlte es mir
vor allem an genügender Kenntnis der Sprachen, da man wohl mit einiger
Leichtigkeit Dänisch und schwedisch lesen und doch außer Stande sein kann, mit
Leuten, die nur ihre Muttersprache reden, sich über politische Fragen zu ver¬
ständigen. Inwiefern das, was ich gehört oder gelesen habe, die Ansichten des
"Volks" wiedergiebt, vermag ich daher nicht zu untersuchen.

Das eine scheint mir unzweifelhaft, daß in den gebildeten Ständen auch
der nordischen Länder die konservative Partei immer mehr Anhänger findet,
weil man auch dort der hohlen Worte ebenso überdrüssig ist wie anderswo.
Am überraschendsten war mir, das in Norwegen zu hören. "Wir sind in der
angenehmen Lage," sagte ein Herr in Christiania, "in voller Ruhe die Ent¬
wicklung der Dinge abwarten zu können. Unsre angestrengteste Thätigkeit
würde unsrer Sache nicht so viel nützen, wie das Treiben der Radikalen, die
unermüdlich an ihrer Selbstvernichtung arbeiten." Ich berührte die Stellung
Björnsons, und mein Gewährsmann antwortete lächelnd: "Glauben Sie allein


Grenzboten IV. 1888. 43


skandinavische Stimmungen.

^^Ä^^
NIMMaber skandinavische Angelegenheiten ist im verflossenen Sommer
viel zu lesen gewesen. Die Mitternachtssonne darf sich rühmen,
die Sonne im „Propheten" ans der Mode gebracht zu haben,
alljährlich schwillt die Zahl der Pilger nach dem Nordcap an,
und in demselben Grade vermehrt sich die Menge der gedruckten
Berichte über Land und Leute. In diesem Jahre aber wurden dergleichen
Schilderungen infolge der Reise des Kaisers ziemlich regelmäßig mit politischen
Betrachtungen gewürzt. Wenn ich meinen vielen Vorgängern gerade auf dieses
Gebiet folge, so gestehe ich im voraus, daß ich zu eignen Beobachtungen wenig
Gelegenheit gehabt, sondern nur aus Gesprächen mit alten Freunden und aus
den Zeitungen geschöpft habe; um deren Aussagen zu prüfen, fehlte es mir
vor allem an genügender Kenntnis der Sprachen, da man wohl mit einiger
Leichtigkeit Dänisch und schwedisch lesen und doch außer Stande sein kann, mit
Leuten, die nur ihre Muttersprache reden, sich über politische Fragen zu ver¬
ständigen. Inwiefern das, was ich gehört oder gelesen habe, die Ansichten des
„Volks" wiedergiebt, vermag ich daher nicht zu untersuchen.

Das eine scheint mir unzweifelhaft, daß in den gebildeten Ständen auch
der nordischen Länder die konservative Partei immer mehr Anhänger findet,
weil man auch dort der hohlen Worte ebenso überdrüssig ist wie anderswo.
Am überraschendsten war mir, das in Norwegen zu hören. „Wir sind in der
angenehmen Lage," sagte ein Herr in Christiania, „in voller Ruhe die Ent¬
wicklung der Dinge abwarten zu können. Unsre angestrengteste Thätigkeit
würde unsrer Sache nicht so viel nützen, wie das Treiben der Radikalen, die
unermüdlich an ihrer Selbstvernichtung arbeiten." Ich berührte die Stellung
Björnsons, und mein Gewährsmann antwortete lächelnd: „Glauben Sie allein


Grenzboten IV. 1888. 43
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[0345] [Abbildung] skandinavische Stimmungen. ^^Ä^^ NIMMaber skandinavische Angelegenheiten ist im verflossenen Sommer viel zu lesen gewesen. Die Mitternachtssonne darf sich rühmen, die Sonne im „Propheten" ans der Mode gebracht zu haben, alljährlich schwillt die Zahl der Pilger nach dem Nordcap an, und in demselben Grade vermehrt sich die Menge der gedruckten Berichte über Land und Leute. In diesem Jahre aber wurden dergleichen Schilderungen infolge der Reise des Kaisers ziemlich regelmäßig mit politischen Betrachtungen gewürzt. Wenn ich meinen vielen Vorgängern gerade auf dieses Gebiet folge, so gestehe ich im voraus, daß ich zu eignen Beobachtungen wenig Gelegenheit gehabt, sondern nur aus Gesprächen mit alten Freunden und aus den Zeitungen geschöpft habe; um deren Aussagen zu prüfen, fehlte es mir vor allem an genügender Kenntnis der Sprachen, da man wohl mit einiger Leichtigkeit Dänisch und schwedisch lesen und doch außer Stande sein kann, mit Leuten, die nur ihre Muttersprache reden, sich über politische Fragen zu ver¬ ständigen. Inwiefern das, was ich gehört oder gelesen habe, die Ansichten des „Volks" wiedergiebt, vermag ich daher nicht zu untersuchen. Das eine scheint mir unzweifelhaft, daß in den gebildeten Ständen auch der nordischen Länder die konservative Partei immer mehr Anhänger findet, weil man auch dort der hohlen Worte ebenso überdrüssig ist wie anderswo. Am überraschendsten war mir, das in Norwegen zu hören. „Wir sind in der angenehmen Lage," sagte ein Herr in Christiania, „in voller Ruhe die Ent¬ wicklung der Dinge abwarten zu können. Unsre angestrengteste Thätigkeit würde unsrer Sache nicht so viel nützen, wie das Treiben der Radikalen, die unermüdlich an ihrer Selbstvernichtung arbeiten." Ich berührte die Stellung Björnsons, und mein Gewährsmann antwortete lächelnd: „Glauben Sie allein Grenzboten IV. 1888. 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/345>, abgerufen am 22.07.2024.