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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Dichter und der Staat.

Wettkampf mit strebenden Genossen vor versammeltem Volke seine Werke vor¬
zutragen, keine Schaubühne eröffnet sich ihm, um das von geldfreundlichen,
kunstfeindlichen Unternehmern zurückgewiesene Schauspiel unter der Berufung
an ein vorurteilsfreies Volk aufzuführen. Für den Staat giebt es den Dichter
nicht, außer wenn er mit dem Strafgesetzbuch? in Berührung kommt. Wenn
der Staat auch nicht den platonischen Grundsatz befolgt, den Dichter zu ver¬
bannen, so hält er es doch für gut, sein Vorhandensein, so weit es mit seinen
Zielen nicht streitet, vollständig mit Stillschweigen hinzunehmen.

Was könnte nun geschehen, der beinahe sprichwörtlich gewordenen Dichter-
Misöre abzuhelfen, jenem äußern Elend, unter dem oft gerade die bedeutenden,
die wahren Dichter leiden bis zur Verkümmerung ihrer Schaffenskraft? Es ist
gar keine Frage, daß eine gewisse Notlage vorhanden ist, wenn auch nicht immer
ohne Verschulden der Betroffenen. Gewiß wird nicht nur manches eigenartige
Talent durch den Zwang der Verhältnisse in seiner hochstrebenden Entwicklung
gehemmt, irregeleitet, gebrochen, sondern auch manche gereifte Kraft erliegt noch
dem Drucke der Not. Die "Ungunst der Zeiten" ist nicht immer nur ein
Wahn unglücklicher Poeten, sie ist oft wirklich vorhanden, gerade für die, die
in ernster Auffassung ihres Berufes über die Bedürfnisse des Marktes hinaus-
greifenden Zielen ihre Kräfte widmen. In alter und neuer Zeit ist der schönste
Lorbeer -- und mit ihm der äußere Lohn -- oft erst auf das Grab eines Dichters
gelegt worden. Nur Frivolität kann der durch solche Erfahrungen hervorgerufenen
gerechten Verbitterung mit den Worten des Goethischen Liedes begegnen:


Das Lied, das aus der Kehle dringt,
Ist Lohn, der reichlich lohnet.

Nach der Meinung vorlauter, im Gefühle der Verkanntheit verbitterter
Heilande der Dichtkunst müßte dem Reichstage nächstens ein Antrag betreffend
die Unterstützung und Altersversorgung der Förderer und Träger des Geistes¬
lebens vorgelegt werden. Ja man geht so weit, die Lösung dieser Frage nicht
nur als leichter, sondern als weitaus dringender hinzustellen, als die Erfüllungen
der "Utopienförderungen des Arbeiterstandes." Könnte sich doch auch die junge
Geisterwelt "in grimmer Verzweiflung völlig den heimlich zerstörenden Ideen
in die Arme werfen." Nun, diesen Teil der "dichterischen Jugend" können
wir getrost seinem Schicksal überlassen, ohne daß wir zu fürchten brauchen, ge¬
waltige "für unsere Entwicklung unentbehrliche Geistes-Heroen zu verlieren." Man
müßte denn geneigt sein, dem aufschießenden Unkraut nährenden Dünger zuzuführen.

Praktische Vorschläge, die Mittel des Staates zur Unterstützung der Dichter
heranzuziehen, sind bezeichnender Weise noch kaum gemacht worden. Man hat
wohl die Forderung eines Staatstheaters aufgestellt, ohne jedoch auf die Aus¬
führung dieses Gedankens näher einzugehen. Man denkt dabei an eine mit
staatlichen Mitteln unterstützte Bühne, die allen Gattungen dramatischer Kunst
unparteiisch ihre Thore öffnen soll. Wie wenig gerade die von der Gunst


Der Dichter und der Staat.

Wettkampf mit strebenden Genossen vor versammeltem Volke seine Werke vor¬
zutragen, keine Schaubühne eröffnet sich ihm, um das von geldfreundlichen,
kunstfeindlichen Unternehmern zurückgewiesene Schauspiel unter der Berufung
an ein vorurteilsfreies Volk aufzuführen. Für den Staat giebt es den Dichter
nicht, außer wenn er mit dem Strafgesetzbuch? in Berührung kommt. Wenn
der Staat auch nicht den platonischen Grundsatz befolgt, den Dichter zu ver¬
bannen, so hält er es doch für gut, sein Vorhandensein, so weit es mit seinen
Zielen nicht streitet, vollständig mit Stillschweigen hinzunehmen.

Was könnte nun geschehen, der beinahe sprichwörtlich gewordenen Dichter-
Misöre abzuhelfen, jenem äußern Elend, unter dem oft gerade die bedeutenden,
die wahren Dichter leiden bis zur Verkümmerung ihrer Schaffenskraft? Es ist
gar keine Frage, daß eine gewisse Notlage vorhanden ist, wenn auch nicht immer
ohne Verschulden der Betroffenen. Gewiß wird nicht nur manches eigenartige
Talent durch den Zwang der Verhältnisse in seiner hochstrebenden Entwicklung
gehemmt, irregeleitet, gebrochen, sondern auch manche gereifte Kraft erliegt noch
dem Drucke der Not. Die „Ungunst der Zeiten" ist nicht immer nur ein
Wahn unglücklicher Poeten, sie ist oft wirklich vorhanden, gerade für die, die
in ernster Auffassung ihres Berufes über die Bedürfnisse des Marktes hinaus-
greifenden Zielen ihre Kräfte widmen. In alter und neuer Zeit ist der schönste
Lorbeer — und mit ihm der äußere Lohn — oft erst auf das Grab eines Dichters
gelegt worden. Nur Frivolität kann der durch solche Erfahrungen hervorgerufenen
gerechten Verbitterung mit den Worten des Goethischen Liedes begegnen:


Das Lied, das aus der Kehle dringt,
Ist Lohn, der reichlich lohnet.

Nach der Meinung vorlauter, im Gefühle der Verkanntheit verbitterter
Heilande der Dichtkunst müßte dem Reichstage nächstens ein Antrag betreffend
die Unterstützung und Altersversorgung der Förderer und Träger des Geistes¬
lebens vorgelegt werden. Ja man geht so weit, die Lösung dieser Frage nicht
nur als leichter, sondern als weitaus dringender hinzustellen, als die Erfüllungen
der „Utopienförderungen des Arbeiterstandes." Könnte sich doch auch die junge
Geisterwelt „in grimmer Verzweiflung völlig den heimlich zerstörenden Ideen
in die Arme werfen." Nun, diesen Teil der „dichterischen Jugend" können
wir getrost seinem Schicksal überlassen, ohne daß wir zu fürchten brauchen, ge¬
waltige „für unsere Entwicklung unentbehrliche Geistes-Heroen zu verlieren." Man
müßte denn geneigt sein, dem aufschießenden Unkraut nährenden Dünger zuzuführen.

Praktische Vorschläge, die Mittel des Staates zur Unterstützung der Dichter
heranzuziehen, sind bezeichnender Weise noch kaum gemacht worden. Man hat
wohl die Forderung eines Staatstheaters aufgestellt, ohne jedoch auf die Aus¬
führung dieses Gedankens näher einzugehen. Man denkt dabei an eine mit
staatlichen Mitteln unterstützte Bühne, die allen Gattungen dramatischer Kunst
unparteiisch ihre Thore öffnen soll. Wie wenig gerade die von der Gunst


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[0339] Der Dichter und der Staat. Wettkampf mit strebenden Genossen vor versammeltem Volke seine Werke vor¬ zutragen, keine Schaubühne eröffnet sich ihm, um das von geldfreundlichen, kunstfeindlichen Unternehmern zurückgewiesene Schauspiel unter der Berufung an ein vorurteilsfreies Volk aufzuführen. Für den Staat giebt es den Dichter nicht, außer wenn er mit dem Strafgesetzbuch? in Berührung kommt. Wenn der Staat auch nicht den platonischen Grundsatz befolgt, den Dichter zu ver¬ bannen, so hält er es doch für gut, sein Vorhandensein, so weit es mit seinen Zielen nicht streitet, vollständig mit Stillschweigen hinzunehmen. Was könnte nun geschehen, der beinahe sprichwörtlich gewordenen Dichter- Misöre abzuhelfen, jenem äußern Elend, unter dem oft gerade die bedeutenden, die wahren Dichter leiden bis zur Verkümmerung ihrer Schaffenskraft? Es ist gar keine Frage, daß eine gewisse Notlage vorhanden ist, wenn auch nicht immer ohne Verschulden der Betroffenen. Gewiß wird nicht nur manches eigenartige Talent durch den Zwang der Verhältnisse in seiner hochstrebenden Entwicklung gehemmt, irregeleitet, gebrochen, sondern auch manche gereifte Kraft erliegt noch dem Drucke der Not. Die „Ungunst der Zeiten" ist nicht immer nur ein Wahn unglücklicher Poeten, sie ist oft wirklich vorhanden, gerade für die, die in ernster Auffassung ihres Berufes über die Bedürfnisse des Marktes hinaus- greifenden Zielen ihre Kräfte widmen. In alter und neuer Zeit ist der schönste Lorbeer — und mit ihm der äußere Lohn — oft erst auf das Grab eines Dichters gelegt worden. Nur Frivolität kann der durch solche Erfahrungen hervorgerufenen gerechten Verbitterung mit den Worten des Goethischen Liedes begegnen: Das Lied, das aus der Kehle dringt, Ist Lohn, der reichlich lohnet. Nach der Meinung vorlauter, im Gefühle der Verkanntheit verbitterter Heilande der Dichtkunst müßte dem Reichstage nächstens ein Antrag betreffend die Unterstützung und Altersversorgung der Förderer und Träger des Geistes¬ lebens vorgelegt werden. Ja man geht so weit, die Lösung dieser Frage nicht nur als leichter, sondern als weitaus dringender hinzustellen, als die Erfüllungen der „Utopienförderungen des Arbeiterstandes." Könnte sich doch auch die junge Geisterwelt „in grimmer Verzweiflung völlig den heimlich zerstörenden Ideen in die Arme werfen." Nun, diesen Teil der „dichterischen Jugend" können wir getrost seinem Schicksal überlassen, ohne daß wir zu fürchten brauchen, ge¬ waltige „für unsere Entwicklung unentbehrliche Geistes-Heroen zu verlieren." Man müßte denn geneigt sein, dem aufschießenden Unkraut nährenden Dünger zuzuführen. Praktische Vorschläge, die Mittel des Staates zur Unterstützung der Dichter heranzuziehen, sind bezeichnender Weise noch kaum gemacht worden. Man hat wohl die Forderung eines Staatstheaters aufgestellt, ohne jedoch auf die Aus¬ führung dieses Gedankens näher einzugehen. Man denkt dabei an eine mit staatlichen Mitteln unterstützte Bühne, die allen Gattungen dramatischer Kunst unparteiisch ihre Thore öffnen soll. Wie wenig gerade die von der Gunst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/339>, abgerufen am 02.07.2024.