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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Dichter und der Staat.

der Menge unabhängigen Bühnen dieser Aufgabe gerecht werden, ist bekannt
genug. Wird aber gerade bei ihnen die Auswahl der Stücke durch oft unbe¬
rechenbare, von künstlerischen Gesichtspunkten durchaus unabhängige Rücksichten
beschränkt, so lassen sich die andern Bühnen, mehr oder weniger gezwungen,
völlig durch das Gebot des äußern Erfolges leiten. Die Ursache der traurigen
Lage unserer dramatische" Kunst liegt daher schließlich entweder bei dem Publi¬
kum oder bei dem Dichter. Die Entscheidung, welches von beiden die Schuld
trage, wird immer schwanken. Soviel aber ist gewiß, daß der Dichter, der
bisher für seine Dramen keine Freunde gefunden hat, solche auch nicht von den
Brettern einer Staatsbühne herab gewinnen würde. Wir fürchten, der Berliner
Volkswitz -- oder wo sollte die Staatsbühne das Licht der Welt erblicken? --
würde gar bald mit einer schnoddrigen Benennung für diese Bühne des sonst
Unmöglichen zur Hand sein, und man müßte ihm Recht geben. Mit einer
Bühne an einem einzigen Orte wäre dem Dichter auch nicht geholfen, denn er
wendet sich an einen weit größeren Kreis. Wir sind nicht im Stande, hierin
einen nur einigermaßen verheißungsvoller Ausweg zu erblicken. Der dramatische
Dichter wird nach wie vor an den bestehenden Bühnen, deren Leitern allerdings
ein regerer Eifer für Sachen der Kunst und eine von hohen und allerhöchsten,
unterthänigen Rücksichten weniger gedrückte Stellung zu wünschen wäre, seine
Zuflucht, und in dem Werte und der Kraft seines Werkes seine stärkste Hilfe
suchen müssen.

Wollte der Staat nun versuchen, dem dramatischen Dichter in anderer
Weise in seinem Streben zu helfen, in der gewiß verdienstlichen Absicht, der
darniederliegenden Bühnendichtung seine Anregung und Förderung zu teil werden
zu lassen, etwa durch Ausschreibung von Preisen für das beste Schauspiel des
Jahres, so würde, ganz abgesehen von den ungeheuern Schwierigkeiten, mit denen
die prüfende und entscheidende Vereinigung von Sachverständigen zu kämpfen
haben würde, der Absicht des Dichters damit in keiner Weise gedient werden.
Die Möglichkeit, auf Grund des ihm zuerkannten Ehrenpreises eine immerhin
nur beschränkte Zeit ohne äußere Sorgen seiner dichterischen Thätigkeit zu leben,
könnte ihn doch nicht über den thatsächlichen Erfolg seines Werkes trösten.
Denn wie die Erfahrung beweist, die man mit privaten Versuchen, in dieser
Weise dem Dramatiker zu helfen, gemacht hat, ist ein preisgekröntes Schauspiel
noch lange kein bühnenfähiges. Hat aber ein Schauspiel die Bühnenprobe mit
Erfolg bestanden und ist zum Repertoirestück geworden, so bedarf der Dichter
der staatlichen Hilfe nicht mehr. Immer freilich wird zwischen dem geistigen
Werte des dichterischen Werkes und dem äußern, klingenden Erfolge ein Mi߬
verhältnis bestehen bleiben und die Wagschale bald zu niedrig, bald aber auch
zu hoch steigen, und der Staat kann hier ebensowenig wie im übrigen Handel
und Wandel mit regelnder Hand eingreifen. Und wie denkt man sich das Wirken
einer mit der Prüfung und Krönung dramatischer Werke betrauten Kommission,


Der Dichter und der Staat.

der Menge unabhängigen Bühnen dieser Aufgabe gerecht werden, ist bekannt
genug. Wird aber gerade bei ihnen die Auswahl der Stücke durch oft unbe¬
rechenbare, von künstlerischen Gesichtspunkten durchaus unabhängige Rücksichten
beschränkt, so lassen sich die andern Bühnen, mehr oder weniger gezwungen,
völlig durch das Gebot des äußern Erfolges leiten. Die Ursache der traurigen
Lage unserer dramatische» Kunst liegt daher schließlich entweder bei dem Publi¬
kum oder bei dem Dichter. Die Entscheidung, welches von beiden die Schuld
trage, wird immer schwanken. Soviel aber ist gewiß, daß der Dichter, der
bisher für seine Dramen keine Freunde gefunden hat, solche auch nicht von den
Brettern einer Staatsbühne herab gewinnen würde. Wir fürchten, der Berliner
Volkswitz — oder wo sollte die Staatsbühne das Licht der Welt erblicken? —
würde gar bald mit einer schnoddrigen Benennung für diese Bühne des sonst
Unmöglichen zur Hand sein, und man müßte ihm Recht geben. Mit einer
Bühne an einem einzigen Orte wäre dem Dichter auch nicht geholfen, denn er
wendet sich an einen weit größeren Kreis. Wir sind nicht im Stande, hierin
einen nur einigermaßen verheißungsvoller Ausweg zu erblicken. Der dramatische
Dichter wird nach wie vor an den bestehenden Bühnen, deren Leitern allerdings
ein regerer Eifer für Sachen der Kunst und eine von hohen und allerhöchsten,
unterthänigen Rücksichten weniger gedrückte Stellung zu wünschen wäre, seine
Zuflucht, und in dem Werte und der Kraft seines Werkes seine stärkste Hilfe
suchen müssen.

Wollte der Staat nun versuchen, dem dramatischen Dichter in anderer
Weise in seinem Streben zu helfen, in der gewiß verdienstlichen Absicht, der
darniederliegenden Bühnendichtung seine Anregung und Förderung zu teil werden
zu lassen, etwa durch Ausschreibung von Preisen für das beste Schauspiel des
Jahres, so würde, ganz abgesehen von den ungeheuern Schwierigkeiten, mit denen
die prüfende und entscheidende Vereinigung von Sachverständigen zu kämpfen
haben würde, der Absicht des Dichters damit in keiner Weise gedient werden.
Die Möglichkeit, auf Grund des ihm zuerkannten Ehrenpreises eine immerhin
nur beschränkte Zeit ohne äußere Sorgen seiner dichterischen Thätigkeit zu leben,
könnte ihn doch nicht über den thatsächlichen Erfolg seines Werkes trösten.
Denn wie die Erfahrung beweist, die man mit privaten Versuchen, in dieser
Weise dem Dramatiker zu helfen, gemacht hat, ist ein preisgekröntes Schauspiel
noch lange kein bühnenfähiges. Hat aber ein Schauspiel die Bühnenprobe mit
Erfolg bestanden und ist zum Repertoirestück geworden, so bedarf der Dichter
der staatlichen Hilfe nicht mehr. Immer freilich wird zwischen dem geistigen
Werte des dichterischen Werkes und dem äußern, klingenden Erfolge ein Mi߬
verhältnis bestehen bleiben und die Wagschale bald zu niedrig, bald aber auch
zu hoch steigen, und der Staat kann hier ebensowenig wie im übrigen Handel
und Wandel mit regelnder Hand eingreifen. Und wie denkt man sich das Wirken
einer mit der Prüfung und Krönung dramatischer Werke betrauten Kommission,


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[0340] Der Dichter und der Staat. der Menge unabhängigen Bühnen dieser Aufgabe gerecht werden, ist bekannt genug. Wird aber gerade bei ihnen die Auswahl der Stücke durch oft unbe¬ rechenbare, von künstlerischen Gesichtspunkten durchaus unabhängige Rücksichten beschränkt, so lassen sich die andern Bühnen, mehr oder weniger gezwungen, völlig durch das Gebot des äußern Erfolges leiten. Die Ursache der traurigen Lage unserer dramatische» Kunst liegt daher schließlich entweder bei dem Publi¬ kum oder bei dem Dichter. Die Entscheidung, welches von beiden die Schuld trage, wird immer schwanken. Soviel aber ist gewiß, daß der Dichter, der bisher für seine Dramen keine Freunde gefunden hat, solche auch nicht von den Brettern einer Staatsbühne herab gewinnen würde. Wir fürchten, der Berliner Volkswitz — oder wo sollte die Staatsbühne das Licht der Welt erblicken? — würde gar bald mit einer schnoddrigen Benennung für diese Bühne des sonst Unmöglichen zur Hand sein, und man müßte ihm Recht geben. Mit einer Bühne an einem einzigen Orte wäre dem Dichter auch nicht geholfen, denn er wendet sich an einen weit größeren Kreis. Wir sind nicht im Stande, hierin einen nur einigermaßen verheißungsvoller Ausweg zu erblicken. Der dramatische Dichter wird nach wie vor an den bestehenden Bühnen, deren Leitern allerdings ein regerer Eifer für Sachen der Kunst und eine von hohen und allerhöchsten, unterthänigen Rücksichten weniger gedrückte Stellung zu wünschen wäre, seine Zuflucht, und in dem Werte und der Kraft seines Werkes seine stärkste Hilfe suchen müssen. Wollte der Staat nun versuchen, dem dramatischen Dichter in anderer Weise in seinem Streben zu helfen, in der gewiß verdienstlichen Absicht, der darniederliegenden Bühnendichtung seine Anregung und Förderung zu teil werden zu lassen, etwa durch Ausschreibung von Preisen für das beste Schauspiel des Jahres, so würde, ganz abgesehen von den ungeheuern Schwierigkeiten, mit denen die prüfende und entscheidende Vereinigung von Sachverständigen zu kämpfen haben würde, der Absicht des Dichters damit in keiner Weise gedient werden. Die Möglichkeit, auf Grund des ihm zuerkannten Ehrenpreises eine immerhin nur beschränkte Zeit ohne äußere Sorgen seiner dichterischen Thätigkeit zu leben, könnte ihn doch nicht über den thatsächlichen Erfolg seines Werkes trösten. Denn wie die Erfahrung beweist, die man mit privaten Versuchen, in dieser Weise dem Dramatiker zu helfen, gemacht hat, ist ein preisgekröntes Schauspiel noch lange kein bühnenfähiges. Hat aber ein Schauspiel die Bühnenprobe mit Erfolg bestanden und ist zum Repertoirestück geworden, so bedarf der Dichter der staatlichen Hilfe nicht mehr. Immer freilich wird zwischen dem geistigen Werte des dichterischen Werkes und dem äußern, klingenden Erfolge ein Mi߬ verhältnis bestehen bleiben und die Wagschale bald zu niedrig, bald aber auch zu hoch steigen, und der Staat kann hier ebensowenig wie im übrigen Handel und Wandel mit regelnder Hand eingreifen. Und wie denkt man sich das Wirken einer mit der Prüfung und Krönung dramatischer Werke betrauten Kommission,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/340>, abgerufen am 04.07.2024.