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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Der Dichter und der Staat.

weisen ließe, obwohl das Gemüts- und Geistesleben eines so musikliebenden
Volkes wie des deutschen durch schlechte, frivole oder sinnlich aufregende Musik
nicht weniger schwer geschädigt werden kann, als durch eine schlechte, leichtsinnige
Litteratur -- die Musik bedarf in unsrer Zeit, in unserm Volke überhaupt
keiner weitern staatlichen Förderung. Das musikalische Schauspiel höchsten
und niedrigsten Stiles beherrscht unsre Bühne, größere und kleinere Vereine
widmen der Tonkunst eine zwar nicht immer verständige, aber eifrige Pflege,
und jedes Dorf erfreut sich einer "Lyra" oder doch einer Feuerwehrkapelle.
Bedeutende und unbedeutende Meister finden den Weg zu ihren Verehrern, und
selbst dem Neuling wie dem Sonderling erschließen sich die Pforten eines Kon¬
zertsaals verhältnismäßig leicht.

Wie weit dieser Eifer auf Rechnung der Mode, wie weit er auf die wahrer
Kunstpflege zu setzen ist, diese Frage bleibt hier fern. Genießt so der schaffende
Tonkünstler -- denn nur von diesem ist die Rede -- nicht staatliche Unter¬
stützung, so ist doch durch private Teilnahme, wie durch mancherlei Berufs¬
stellungen, die ihm als ausübenden Künstler offen stehen und neben deren
Pflichten er sich schöpferischer Thätigkeit widmen kann, äußerlich für sein Da¬
sein gesorgt.

Unmittelbare Förderung und Anregung gewährt der Staat den bilden¬
den Künsten, die allerdings wie keine andern berufen sind, das öffentliche
Leben dauernd zu verschönen. Ihnen sind Aufgaben gestellt, zu deren Lösung
der Künstler einer mächtigeren und ausgiebigeren Unterstützung bedarf, als ihm
Privatleute, selbst bei opferfreudigster Teilnahme, zur Verfügung stellen könnten.
Die Baukunst bedarf der staatlichen Förderung, wenn sie ihre höchsten Ziele
erreichen soll, so wenig sie auch der Hilfe des Einzelnen entbehren kann, um
alle ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Das immer erneute Bedürfnis gewährt
ihr fortwährend Aufgaben, deren künstlerische Lösung freilich nur zu oft durch
äußere Rücksichten wie durch Mangel an Geschmack unmöglich gemacht oder
doch erschwert wird. Aber der Staat zeigt doch das ernste Bestreben, der Bau¬
kunst Wege und Bahnen zu ebnen und würdige Aufgaben zu stellen.

Dasselbe gilt von der Malerei und der Bildhauerei. Staatliche Ausstel¬
lungen, Preisausschreibungen, Anerkennungen gehen Hand in Hand mit einer gewiß
nicht zu unterschätzenden thätigen Teilnahme der gebildeten und vermögenden
Stände. Die Kunstausstellungen sammeln nicht nur eine Menge von Beschauern,
sondern auch eine, nur der Fülle des Angebots gegenüber geringe Zahl von
Käufern, zu denen auch der Staat zählt.

Alle Künste finden die Hand des Staates offen und bereit, in bestimmten
Grenzen zu helfen. Nur die Dichtkunst, das Stiefkind, erhält weder Gaben
noch aufmunternde Worte. Keine staatliche Anerkennung wird dem Meister der
Feder zu Teil, kein staatliches Preisausschreiben lockt den jugendlichen Dichter
zu kühnem Flügelschlage, keine festlich geschmückte Halle erschließt sich ihm, um im


Der Dichter und der Staat.

weisen ließe, obwohl das Gemüts- und Geistesleben eines so musikliebenden
Volkes wie des deutschen durch schlechte, frivole oder sinnlich aufregende Musik
nicht weniger schwer geschädigt werden kann, als durch eine schlechte, leichtsinnige
Litteratur — die Musik bedarf in unsrer Zeit, in unserm Volke überhaupt
keiner weitern staatlichen Förderung. Das musikalische Schauspiel höchsten
und niedrigsten Stiles beherrscht unsre Bühne, größere und kleinere Vereine
widmen der Tonkunst eine zwar nicht immer verständige, aber eifrige Pflege,
und jedes Dorf erfreut sich einer „Lyra" oder doch einer Feuerwehrkapelle.
Bedeutende und unbedeutende Meister finden den Weg zu ihren Verehrern, und
selbst dem Neuling wie dem Sonderling erschließen sich die Pforten eines Kon¬
zertsaals verhältnismäßig leicht.

Wie weit dieser Eifer auf Rechnung der Mode, wie weit er auf die wahrer
Kunstpflege zu setzen ist, diese Frage bleibt hier fern. Genießt so der schaffende
Tonkünstler — denn nur von diesem ist die Rede — nicht staatliche Unter¬
stützung, so ist doch durch private Teilnahme, wie durch mancherlei Berufs¬
stellungen, die ihm als ausübenden Künstler offen stehen und neben deren
Pflichten er sich schöpferischer Thätigkeit widmen kann, äußerlich für sein Da¬
sein gesorgt.

Unmittelbare Förderung und Anregung gewährt der Staat den bilden¬
den Künsten, die allerdings wie keine andern berufen sind, das öffentliche
Leben dauernd zu verschönen. Ihnen sind Aufgaben gestellt, zu deren Lösung
der Künstler einer mächtigeren und ausgiebigeren Unterstützung bedarf, als ihm
Privatleute, selbst bei opferfreudigster Teilnahme, zur Verfügung stellen könnten.
Die Baukunst bedarf der staatlichen Förderung, wenn sie ihre höchsten Ziele
erreichen soll, so wenig sie auch der Hilfe des Einzelnen entbehren kann, um
alle ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Das immer erneute Bedürfnis gewährt
ihr fortwährend Aufgaben, deren künstlerische Lösung freilich nur zu oft durch
äußere Rücksichten wie durch Mangel an Geschmack unmöglich gemacht oder
doch erschwert wird. Aber der Staat zeigt doch das ernste Bestreben, der Bau¬
kunst Wege und Bahnen zu ebnen und würdige Aufgaben zu stellen.

Dasselbe gilt von der Malerei und der Bildhauerei. Staatliche Ausstel¬
lungen, Preisausschreibungen, Anerkennungen gehen Hand in Hand mit einer gewiß
nicht zu unterschätzenden thätigen Teilnahme der gebildeten und vermögenden
Stände. Die Kunstausstellungen sammeln nicht nur eine Menge von Beschauern,
sondern auch eine, nur der Fülle des Angebots gegenüber geringe Zahl von
Käufern, zu denen auch der Staat zählt.

Alle Künste finden die Hand des Staates offen und bereit, in bestimmten
Grenzen zu helfen. Nur die Dichtkunst, das Stiefkind, erhält weder Gaben
noch aufmunternde Worte. Keine staatliche Anerkennung wird dem Meister der
Feder zu Teil, kein staatliches Preisausschreiben lockt den jugendlichen Dichter
zu kühnem Flügelschlage, keine festlich geschmückte Halle erschließt sich ihm, um im


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[0338] Der Dichter und der Staat. weisen ließe, obwohl das Gemüts- und Geistesleben eines so musikliebenden Volkes wie des deutschen durch schlechte, frivole oder sinnlich aufregende Musik nicht weniger schwer geschädigt werden kann, als durch eine schlechte, leichtsinnige Litteratur — die Musik bedarf in unsrer Zeit, in unserm Volke überhaupt keiner weitern staatlichen Förderung. Das musikalische Schauspiel höchsten und niedrigsten Stiles beherrscht unsre Bühne, größere und kleinere Vereine widmen der Tonkunst eine zwar nicht immer verständige, aber eifrige Pflege, und jedes Dorf erfreut sich einer „Lyra" oder doch einer Feuerwehrkapelle. Bedeutende und unbedeutende Meister finden den Weg zu ihren Verehrern, und selbst dem Neuling wie dem Sonderling erschließen sich die Pforten eines Kon¬ zertsaals verhältnismäßig leicht. Wie weit dieser Eifer auf Rechnung der Mode, wie weit er auf die wahrer Kunstpflege zu setzen ist, diese Frage bleibt hier fern. Genießt so der schaffende Tonkünstler — denn nur von diesem ist die Rede — nicht staatliche Unter¬ stützung, so ist doch durch private Teilnahme, wie durch mancherlei Berufs¬ stellungen, die ihm als ausübenden Künstler offen stehen und neben deren Pflichten er sich schöpferischer Thätigkeit widmen kann, äußerlich für sein Da¬ sein gesorgt. Unmittelbare Förderung und Anregung gewährt der Staat den bilden¬ den Künsten, die allerdings wie keine andern berufen sind, das öffentliche Leben dauernd zu verschönen. Ihnen sind Aufgaben gestellt, zu deren Lösung der Künstler einer mächtigeren und ausgiebigeren Unterstützung bedarf, als ihm Privatleute, selbst bei opferfreudigster Teilnahme, zur Verfügung stellen könnten. Die Baukunst bedarf der staatlichen Förderung, wenn sie ihre höchsten Ziele erreichen soll, so wenig sie auch der Hilfe des Einzelnen entbehren kann, um alle ihre Fähigkeiten zu entwickeln. Das immer erneute Bedürfnis gewährt ihr fortwährend Aufgaben, deren künstlerische Lösung freilich nur zu oft durch äußere Rücksichten wie durch Mangel an Geschmack unmöglich gemacht oder doch erschwert wird. Aber der Staat zeigt doch das ernste Bestreben, der Bau¬ kunst Wege und Bahnen zu ebnen und würdige Aufgaben zu stellen. Dasselbe gilt von der Malerei und der Bildhauerei. Staatliche Ausstel¬ lungen, Preisausschreibungen, Anerkennungen gehen Hand in Hand mit einer gewiß nicht zu unterschätzenden thätigen Teilnahme der gebildeten und vermögenden Stände. Die Kunstausstellungen sammeln nicht nur eine Menge von Beschauern, sondern auch eine, nur der Fülle des Angebots gegenüber geringe Zahl von Käufern, zu denen auch der Staat zählt. Alle Künste finden die Hand des Staates offen und bereit, in bestimmten Grenzen zu helfen. Nur die Dichtkunst, das Stiefkind, erhält weder Gaben noch aufmunternde Worte. Keine staatliche Anerkennung wird dem Meister der Feder zu Teil, kein staatliches Preisausschreiben lockt den jugendlichen Dichter zu kühnem Flügelschlage, keine festlich geschmückte Halle erschließt sich ihm, um im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/338>, abgerufen am 30.06.2024.