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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Das neue Burgtheater,

Einem jüngeren Geschlechte dagegen -- jünger dem Dienstalter nur Burgtheater
nach -- gehören die Damen Mittcrwurzer, Hohenfels, Schönfeld, Schratt und
Albrecht, die Herren Hallenstein, Thimig, Robert, Tyrolt und Arrau an. Frau
Mittcrwurzer wird in Rollen wie die Franziska von Frau Hartmann in den
Schatten gestellt, aber als Soubrette derberer Art -- als Moliöresches Kam¬
mermädchen, als Nerissa im "Kaufmann," als Florette in "Donna Diana" --
ist sie vorzüglich, und im Konversationsstuck findet sie als geschwätzige und bos¬
hafte Modedame gute Verwendung. Fräulein Hohenfels, die längere Zeit
hindurch als sentimentale Liebhaberin vergebens versucht hat, sich ins Burg¬
theater einzuspielen, entzückt jetzt -- obwohl nicht mehr ganz jung -- als
Backfisch und in allerlei Pagen- und Hosenrollen das Publikum: als Georg im
"Götz von Berlichingen" ist sie allerliebst. Frau Schönfeld ist die Nachfolgerin
der Haizinger im Fach der komischen Alten, sie erreicht sie freilich uicht, aber
sie kommt ihr bisweilen nahe: als Bärbel in "Dorf und Stadt," als Frau
Marthe im "Faust," als Amme in "Romeo und Julie" darf sie sich im Burg¬
theater gar Wohl neben den ältern und berühmter" Künstlern sehen lassen.
Die Damen Schratt und Albrecht, die im Stadttheater einst in den ersten
Rollen glänzten, treten nun sehr bedeutend hervor. Hcillensteiu, als Held
nüchtern und philiströs, ist als guter Schauspieler im Fache der Väter, der
komischen und der ernsten, wenn sie nicht ins eigentlich .Hochtragische hinein¬
reichen, allgemein anerkannt. Thimig ist ein genialer Naturbursche, und er be¬
wegt sich auf der Stufenleiter, die vom unbeholfnen Tölpel und überschüchternen
Jüngling bis zum Grazioso und Harlekin führt, mit gleicher Gewandheit:
Lancelot Gobbo, Bellmaus in den "Journalisten," der Grazioso in Doczi's
"Kuß," der Schüler im "Faust" gehören zu seinen besten Rollen; dazukommt
aber noch eine große Zahl im modernen Lustspiel und namentlich in den
Moser-Schönthannschen Possen. Robert ist sentimentaler Liebhaber und Held;
kräftige, energische Naturen darzustellen ist ihm versagt, und so kann er in
Rollen wie Fiesko und Egmont, die er gleichwohl spielt, nicht befriedigen,
er muß seinen Helden einen Tropfen Schwermut beimischen können, dann ist
er in seinem Elemente; von dem Realismus der Modernen ist er, obwohl noch
in jüngeren Jahren, unter allen Burgschauspielern am weitesten entfernt, immer
nimmt er Rücksicht auf die Schönheit nicht nur der Geberde, sondern auch des
Gesichtsausdrucks, ja böse Zungen Wollen wissen, er hüte sich absichtlich vor
ausdrucksvollerer Mimik, um das Ebenmaß seiner Züge nicht zu stören. Ge¬
wiß aber ist er, seit Mitterwurzer vom Burgtheater geschieden ist, der berufene
Nachfolger Sonnenthals in Rollen wie Hamlet, Narciß, Ödipus, Posa, die er
übrigens schon hie und da, und immer mit großem Erfolge, gespielt hat.
Tyrolt und Arrau sind bis jetzt noch wenig beschäftigt worden. Tyrolt ist
aber ohne Zweifel bestimmt, so manche Rollen des verstorbenen Meixner zu
übernehmen. Aber er ist nicht blos Komiker, herabgekommene Existenzen, pro-


Das neue Burgtheater,

Einem jüngeren Geschlechte dagegen — jünger dem Dienstalter nur Burgtheater
nach — gehören die Damen Mittcrwurzer, Hohenfels, Schönfeld, Schratt und
Albrecht, die Herren Hallenstein, Thimig, Robert, Tyrolt und Arrau an. Frau
Mittcrwurzer wird in Rollen wie die Franziska von Frau Hartmann in den
Schatten gestellt, aber als Soubrette derberer Art — als Moliöresches Kam¬
mermädchen, als Nerissa im „Kaufmann," als Florette in „Donna Diana" —
ist sie vorzüglich, und im Konversationsstuck findet sie als geschwätzige und bos¬
hafte Modedame gute Verwendung. Fräulein Hohenfels, die längere Zeit
hindurch als sentimentale Liebhaberin vergebens versucht hat, sich ins Burg¬
theater einzuspielen, entzückt jetzt — obwohl nicht mehr ganz jung — als
Backfisch und in allerlei Pagen- und Hosenrollen das Publikum: als Georg im
„Götz von Berlichingen" ist sie allerliebst. Frau Schönfeld ist die Nachfolgerin
der Haizinger im Fach der komischen Alten, sie erreicht sie freilich uicht, aber
sie kommt ihr bisweilen nahe: als Bärbel in „Dorf und Stadt," als Frau
Marthe im „Faust," als Amme in „Romeo und Julie" darf sie sich im Burg¬
theater gar Wohl neben den ältern und berühmter» Künstlern sehen lassen.
Die Damen Schratt und Albrecht, die im Stadttheater einst in den ersten
Rollen glänzten, treten nun sehr bedeutend hervor. Hcillensteiu, als Held
nüchtern und philiströs, ist als guter Schauspieler im Fache der Väter, der
komischen und der ernsten, wenn sie nicht ins eigentlich .Hochtragische hinein¬
reichen, allgemein anerkannt. Thimig ist ein genialer Naturbursche, und er be¬
wegt sich auf der Stufenleiter, die vom unbeholfnen Tölpel und überschüchternen
Jüngling bis zum Grazioso und Harlekin führt, mit gleicher Gewandheit:
Lancelot Gobbo, Bellmaus in den „Journalisten," der Grazioso in Doczi's
„Kuß," der Schüler im „Faust" gehören zu seinen besten Rollen; dazukommt
aber noch eine große Zahl im modernen Lustspiel und namentlich in den
Moser-Schönthannschen Possen. Robert ist sentimentaler Liebhaber und Held;
kräftige, energische Naturen darzustellen ist ihm versagt, und so kann er in
Rollen wie Fiesko und Egmont, die er gleichwohl spielt, nicht befriedigen,
er muß seinen Helden einen Tropfen Schwermut beimischen können, dann ist
er in seinem Elemente; von dem Realismus der Modernen ist er, obwohl noch
in jüngeren Jahren, unter allen Burgschauspielern am weitesten entfernt, immer
nimmt er Rücksicht auf die Schönheit nicht nur der Geberde, sondern auch des
Gesichtsausdrucks, ja böse Zungen Wollen wissen, er hüte sich absichtlich vor
ausdrucksvollerer Mimik, um das Ebenmaß seiner Züge nicht zu stören. Ge¬
wiß aber ist er, seit Mitterwurzer vom Burgtheater geschieden ist, der berufene
Nachfolger Sonnenthals in Rollen wie Hamlet, Narciß, Ödipus, Posa, die er
übrigens schon hie und da, und immer mit großem Erfolge, gespielt hat.
Tyrolt und Arrau sind bis jetzt noch wenig beschäftigt worden. Tyrolt ist
aber ohne Zweifel bestimmt, so manche Rollen des verstorbenen Meixner zu
übernehmen. Aber er ist nicht blos Komiker, herabgekommene Existenzen, pro-


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[0335] Das neue Burgtheater, Einem jüngeren Geschlechte dagegen — jünger dem Dienstalter nur Burgtheater nach — gehören die Damen Mittcrwurzer, Hohenfels, Schönfeld, Schratt und Albrecht, die Herren Hallenstein, Thimig, Robert, Tyrolt und Arrau an. Frau Mittcrwurzer wird in Rollen wie die Franziska von Frau Hartmann in den Schatten gestellt, aber als Soubrette derberer Art — als Moliöresches Kam¬ mermädchen, als Nerissa im „Kaufmann," als Florette in „Donna Diana" — ist sie vorzüglich, und im Konversationsstuck findet sie als geschwätzige und bos¬ hafte Modedame gute Verwendung. Fräulein Hohenfels, die längere Zeit hindurch als sentimentale Liebhaberin vergebens versucht hat, sich ins Burg¬ theater einzuspielen, entzückt jetzt — obwohl nicht mehr ganz jung — als Backfisch und in allerlei Pagen- und Hosenrollen das Publikum: als Georg im „Götz von Berlichingen" ist sie allerliebst. Frau Schönfeld ist die Nachfolgerin der Haizinger im Fach der komischen Alten, sie erreicht sie freilich uicht, aber sie kommt ihr bisweilen nahe: als Bärbel in „Dorf und Stadt," als Frau Marthe im „Faust," als Amme in „Romeo und Julie" darf sie sich im Burg¬ theater gar Wohl neben den ältern und berühmter» Künstlern sehen lassen. Die Damen Schratt und Albrecht, die im Stadttheater einst in den ersten Rollen glänzten, treten nun sehr bedeutend hervor. Hcillensteiu, als Held nüchtern und philiströs, ist als guter Schauspieler im Fache der Väter, der komischen und der ernsten, wenn sie nicht ins eigentlich .Hochtragische hinein¬ reichen, allgemein anerkannt. Thimig ist ein genialer Naturbursche, und er be¬ wegt sich auf der Stufenleiter, die vom unbeholfnen Tölpel und überschüchternen Jüngling bis zum Grazioso und Harlekin führt, mit gleicher Gewandheit: Lancelot Gobbo, Bellmaus in den „Journalisten," der Grazioso in Doczi's „Kuß," der Schüler im „Faust" gehören zu seinen besten Rollen; dazukommt aber noch eine große Zahl im modernen Lustspiel und namentlich in den Moser-Schönthannschen Possen. Robert ist sentimentaler Liebhaber und Held; kräftige, energische Naturen darzustellen ist ihm versagt, und so kann er in Rollen wie Fiesko und Egmont, die er gleichwohl spielt, nicht befriedigen, er muß seinen Helden einen Tropfen Schwermut beimischen können, dann ist er in seinem Elemente; von dem Realismus der Modernen ist er, obwohl noch in jüngeren Jahren, unter allen Burgschauspielern am weitesten entfernt, immer nimmt er Rücksicht auf die Schönheit nicht nur der Geberde, sondern auch des Gesichtsausdrucks, ja böse Zungen Wollen wissen, er hüte sich absichtlich vor ausdrucksvollerer Mimik, um das Ebenmaß seiner Züge nicht zu stören. Ge¬ wiß aber ist er, seit Mitterwurzer vom Burgtheater geschieden ist, der berufene Nachfolger Sonnenthals in Rollen wie Hamlet, Narciß, Ödipus, Posa, die er übrigens schon hie und da, und immer mit großem Erfolge, gespielt hat. Tyrolt und Arrau sind bis jetzt noch wenig beschäftigt worden. Tyrolt ist aber ohne Zweifel bestimmt, so manche Rollen des verstorbenen Meixner zu übernehmen. Aber er ist nicht blos Komiker, herabgekommene Existenzen, pro-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/335>, abgerufen am 02.07.2024.