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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Das neue Burgtheater.

denn sein eigentliches Gebiet war doch der muntere Liebhaber, der jugendliche
Bonvivant. Nun hat er schon unter Dingelstedt sich in einem höheren Genre
versucht, und bisweilen mit Glück: sein Prinz Heinz, sein Heinrich V. waren
um so anerkennenswertere Leistungen, als es in der Zeit, wo er sie spielte,
keine Vorbilder dazu auf dem deutschen Theater gab. Heute ist er sehr un¬
gleich, in manchen Rollen, an manchen Tagen von gradezu unerträglicher Affek-
tation, es ist, als ob er da dem Publikum in jedem Satze zurufen wollte:
Seht, was für ein großer Künstler ich bin! Dann entschädigt er freilich wieder
einmal durch die liebenswürdigste Laune. Aber verlassen kann man sich nicht
auf ihn. Soviel ist gewiß, daß er Rollen wie den Rochester in der "Waise
von Lowood" nicht spielen sollte; im tragischen Fach kann er nie der Nach¬
folger Sonnenthals werden; in dem gesetzteren Bonvivant, auch in gewissen
Vaterrollen dürfte seine künstlerische Zukunft liegen.

Frau Hartmann, eine der genialsten Schauspielerinnen der deutschen Bühne,
hat den Übergang aus dem Fach der muntern Liebhaberin und Soubrette in
das ältere komische Fach in resoluter Weise vielleicht eher zu früh als zu spät
begonnen. Doch hat sie immerhin noch Rollen gering aus ihrer früheren Pe¬
riode beibehalten: ihre Franziska in der "Minna von Barnhelm" dürfte ihr
auf dem deutschen Theater wohl keine nachspielen. Da ist frischer Humor und
tiefes Gemüt, die Macht zu rühren und zu erheitern.

Entschieden künstlerisch gewachsen ist während des letzten Jahrzehnts Krastel.
Er ist zu früh in den Alleinbesitz der großen Heldenliebhaberrollen an dem
ersten deutschen Theater gekommen, und da seine äußere Erscheinung ungemein
bestechend war, so hatte er von Anfang an die Frauen für sich. Was war
das aber für ein äußerliches Spiel, mit dem er vor zehn, vor acht Jahren vor
das Publikum trat! Mit einem starken Stimmaufwand, mit Fußgestampfe und
mit stattlichen Waden bestritt er den größten Teil seines Repertoires. Nur als
Naturbursche war er immer gut. Seit er aber Robert an der Seite hat und
seine äußern Vorzüge im Abnehmen sind, ist er als Künstler sichtlich ge¬
wachsen. Selbst das Wagnis, den Othello zu spielen -- wer hätte ihm dafür
genug Innerlichkeit zugetraut! -- ist ihm zuletzt gelungen.

Dem ältern Geschlecht gehören auch noch zwei tüchtige Komiker, Schöne und
Arnsburg, an; Meixner haben sie im September zu Grabe getragen.
Schöne glänzt ebensosehr in der Darstellung durchtriebener Schlauheit und
Pfiffigkeit als beschränkter Einfalt: den habsüchtigen Filz, den verkommenen
Vagabunden, den phlegmatischen Pantoffelhelden, den dummen Emporkömmling
weiß er in Maske und Spiel unübertrefflich zu charakterisiren. Zu seinen
besten Rollen gehört der Wirt in der "Minna von Barnhelm," der Tuchhändler im
"Meister Pathelin." Dagegen sind die Pedanten Arnsburgs eigentliches Fach:
seine verknöcherten Akten menschen, seine Don Quijotefiguren, seine komischen alten
Diener sind wahre Kabinetsstücke.


Das neue Burgtheater.

denn sein eigentliches Gebiet war doch der muntere Liebhaber, der jugendliche
Bonvivant. Nun hat er schon unter Dingelstedt sich in einem höheren Genre
versucht, und bisweilen mit Glück: sein Prinz Heinz, sein Heinrich V. waren
um so anerkennenswertere Leistungen, als es in der Zeit, wo er sie spielte,
keine Vorbilder dazu auf dem deutschen Theater gab. Heute ist er sehr un¬
gleich, in manchen Rollen, an manchen Tagen von gradezu unerträglicher Affek-
tation, es ist, als ob er da dem Publikum in jedem Satze zurufen wollte:
Seht, was für ein großer Künstler ich bin! Dann entschädigt er freilich wieder
einmal durch die liebenswürdigste Laune. Aber verlassen kann man sich nicht
auf ihn. Soviel ist gewiß, daß er Rollen wie den Rochester in der „Waise
von Lowood" nicht spielen sollte; im tragischen Fach kann er nie der Nach¬
folger Sonnenthals werden; in dem gesetzteren Bonvivant, auch in gewissen
Vaterrollen dürfte seine künstlerische Zukunft liegen.

Frau Hartmann, eine der genialsten Schauspielerinnen der deutschen Bühne,
hat den Übergang aus dem Fach der muntern Liebhaberin und Soubrette in
das ältere komische Fach in resoluter Weise vielleicht eher zu früh als zu spät
begonnen. Doch hat sie immerhin noch Rollen gering aus ihrer früheren Pe¬
riode beibehalten: ihre Franziska in der „Minna von Barnhelm" dürfte ihr
auf dem deutschen Theater wohl keine nachspielen. Da ist frischer Humor und
tiefes Gemüt, die Macht zu rühren und zu erheitern.

Entschieden künstlerisch gewachsen ist während des letzten Jahrzehnts Krastel.
Er ist zu früh in den Alleinbesitz der großen Heldenliebhaberrollen an dem
ersten deutschen Theater gekommen, und da seine äußere Erscheinung ungemein
bestechend war, so hatte er von Anfang an die Frauen für sich. Was war
das aber für ein äußerliches Spiel, mit dem er vor zehn, vor acht Jahren vor
das Publikum trat! Mit einem starken Stimmaufwand, mit Fußgestampfe und
mit stattlichen Waden bestritt er den größten Teil seines Repertoires. Nur als
Naturbursche war er immer gut. Seit er aber Robert an der Seite hat und
seine äußern Vorzüge im Abnehmen sind, ist er als Künstler sichtlich ge¬
wachsen. Selbst das Wagnis, den Othello zu spielen — wer hätte ihm dafür
genug Innerlichkeit zugetraut! — ist ihm zuletzt gelungen.

Dem ältern Geschlecht gehören auch noch zwei tüchtige Komiker, Schöne und
Arnsburg, an; Meixner haben sie im September zu Grabe getragen.
Schöne glänzt ebensosehr in der Darstellung durchtriebener Schlauheit und
Pfiffigkeit als beschränkter Einfalt: den habsüchtigen Filz, den verkommenen
Vagabunden, den phlegmatischen Pantoffelhelden, den dummen Emporkömmling
weiß er in Maske und Spiel unübertrefflich zu charakterisiren. Zu seinen
besten Rollen gehört der Wirt in der „Minna von Barnhelm," der Tuchhändler im
„Meister Pathelin." Dagegen sind die Pedanten Arnsburgs eigentliches Fach:
seine verknöcherten Akten menschen, seine Don Quijotefiguren, seine komischen alten
Diener sind wahre Kabinetsstücke.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/334>, abgerufen am 04.07.2024.