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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklnng der Einzelstaaton Deutschlands.

Würzburg und Berg (164 Quadratmeilen mit 550 000 Einwohnern) berechnete
man im Jahre 1807 das Gebiet des neugebackenen Königreichs auf 1636 Quadrat¬
meilen mit 3 Millionen 300 000 Einwohnern. Die Vergröberung im Jahre
1810 sollte sich auf 300 Quadratmeilen mit 700 000 Einwohnern belaufen;
die Abtretungen in Südtirol, das Napoleon zu seinem Königreiche Italien
schlug, an der Donau und am Main umfaßten reichlich 200 Quadratmeilen
mit 450 000 Einwohnern. Zu den Zeiten seiner größten Ausdehnung umfaßte
der dänische Staat also 1736 Quadratmeilen, und seine Bevölkerung wurde
berechnet auf 3 Millionen 550 000 Einwohner.

Nach den Niederlagen der Franzosen bei Großbeeren, an der Katzbach,
bei Hagelberg, bei Kulm und Nollendorf, bei Dennewitz und endlich bei Warten-
bürg an der Elbe war die Macht Napoleons derartig erschüttert, daß er die
lange behauptete Stellung an der Elbe mit Dresden als Mittelpunkt nicht
mehr halten konnte. Er führte seine Kriegerschaaren rückwärts in die weiten,
fruchtbaren Gefilde um Leipzig, um dort den letzten Entscheidungskampf zu
kämpfen. Die leitenden Männer in Vaiern sahen, daß von dem bisherigen
Protektor nichts mehr zu hoffen war, und schlössen mit Österreich den
mehrfach erwähnten Vertrag zu Ried (8. Oktober 1813). Dieser sicherte
Baiern für die dem Kciiscrstaate zurückzugebenden Lande vollständige, gleich¬
wertige Entschädigungen zu. So glaubte sich Baiern für alle Fälle ge¬
sichert. Trotzdem bereitete der Wiener Kongreß auch in dieser Beziehung
arge Täuschungen. Denn so sehr es auch Metternich liebte, den Beschützer der
Miltelstaaten zu spielen, um eine Einigung Deutschlands und ein Erstarken
Preußens zu verhindern, so ging seine Gefälligkeit doch nicht so weit, alt¬
österreichische Besitzungen in dem Besitze Baierns zu lasse". Nach mehrjährigen,
höchst unerquicklichen Verhandlungen traten Tirol nebst Vorarlberg, das vor¬
malige Erzbistum Salzburg, das Innviertel und das Hausruckviertel unter das
Szepter des Kaisers zurück. Diese Gebiete umfaßten etwa 600 Quadratmeilen.
Als Entschädigung erhielt Baiern dafür zunächst nur das bisherige Großherzog¬
tum Würzburg und das frühere kurmcünzische Fürstentum Aschciffcnburg. Zur
Befriedigung seiner weitern Ansprüche versprach ihm Österreich, außer links¬
rheinischen Gebieten, die Frankreich abtreten mußte, die rechtsrheinische Pfalz
mit Mannheim und Heidelberg, die im Besitze Badens war. Eine Zerstückelung
Badens aber war am Kongreß und später bei der Territorialkommission in
Frankfurt a. M. nicht durchzusetzen, und Metternich erklärte, daß unter gleich¬
wertigen Entschädigungen nur solche zu verstehen seien, die etwa eine gleiche
Einwohnerzahl hätten, wenn auch der Umfang geringer wäre. Darüber heftiger
Zorn bei den Leitern der "Großmacht" Baiern; namentlich der schlaue Minister
Montgelas und der "Feldherr" Wrede, von denen der letztere von sich zu sagen
liebte: "Ein Feldmaischall Wrede unterzeichnet nur mit dem Degen!", waren
höchst erbittert. Aber all ihr Lärmen half nichts; diesmal mußten sie sich


Die Gebietsentwicklnng der Einzelstaaton Deutschlands.

Würzburg und Berg (164 Quadratmeilen mit 550 000 Einwohnern) berechnete
man im Jahre 1807 das Gebiet des neugebackenen Königreichs auf 1636 Quadrat¬
meilen mit 3 Millionen 300 000 Einwohnern. Die Vergröberung im Jahre
1810 sollte sich auf 300 Quadratmeilen mit 700 000 Einwohnern belaufen;
die Abtretungen in Südtirol, das Napoleon zu seinem Königreiche Italien
schlug, an der Donau und am Main umfaßten reichlich 200 Quadratmeilen
mit 450 000 Einwohnern. Zu den Zeiten seiner größten Ausdehnung umfaßte
der dänische Staat also 1736 Quadratmeilen, und seine Bevölkerung wurde
berechnet auf 3 Millionen 550 000 Einwohner.

Nach den Niederlagen der Franzosen bei Großbeeren, an der Katzbach,
bei Hagelberg, bei Kulm und Nollendorf, bei Dennewitz und endlich bei Warten-
bürg an der Elbe war die Macht Napoleons derartig erschüttert, daß er die
lange behauptete Stellung an der Elbe mit Dresden als Mittelpunkt nicht
mehr halten konnte. Er führte seine Kriegerschaaren rückwärts in die weiten,
fruchtbaren Gefilde um Leipzig, um dort den letzten Entscheidungskampf zu
kämpfen. Die leitenden Männer in Vaiern sahen, daß von dem bisherigen
Protektor nichts mehr zu hoffen war, und schlössen mit Österreich den
mehrfach erwähnten Vertrag zu Ried (8. Oktober 1813). Dieser sicherte
Baiern für die dem Kciiscrstaate zurückzugebenden Lande vollständige, gleich¬
wertige Entschädigungen zu. So glaubte sich Baiern für alle Fälle ge¬
sichert. Trotzdem bereitete der Wiener Kongreß auch in dieser Beziehung
arge Täuschungen. Denn so sehr es auch Metternich liebte, den Beschützer der
Miltelstaaten zu spielen, um eine Einigung Deutschlands und ein Erstarken
Preußens zu verhindern, so ging seine Gefälligkeit doch nicht so weit, alt¬
österreichische Besitzungen in dem Besitze Baierns zu lasse». Nach mehrjährigen,
höchst unerquicklichen Verhandlungen traten Tirol nebst Vorarlberg, das vor¬
malige Erzbistum Salzburg, das Innviertel und das Hausruckviertel unter das
Szepter des Kaisers zurück. Diese Gebiete umfaßten etwa 600 Quadratmeilen.
Als Entschädigung erhielt Baiern dafür zunächst nur das bisherige Großherzog¬
tum Würzburg und das frühere kurmcünzische Fürstentum Aschciffcnburg. Zur
Befriedigung seiner weitern Ansprüche versprach ihm Österreich, außer links¬
rheinischen Gebieten, die Frankreich abtreten mußte, die rechtsrheinische Pfalz
mit Mannheim und Heidelberg, die im Besitze Badens war. Eine Zerstückelung
Badens aber war am Kongreß und später bei der Territorialkommission in
Frankfurt a. M. nicht durchzusetzen, und Metternich erklärte, daß unter gleich¬
wertigen Entschädigungen nur solche zu verstehen seien, die etwa eine gleiche
Einwohnerzahl hätten, wenn auch der Umfang geringer wäre. Darüber heftiger
Zorn bei den Leitern der „Großmacht" Baiern; namentlich der schlaue Minister
Montgelas und der „Feldherr" Wrede, von denen der letztere von sich zu sagen
liebte: „Ein Feldmaischall Wrede unterzeichnet nur mit dem Degen!", waren
höchst erbittert. Aber all ihr Lärmen half nichts; diesmal mußten sie sich


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[0317] Die Gebietsentwicklnng der Einzelstaaton Deutschlands. Würzburg und Berg (164 Quadratmeilen mit 550 000 Einwohnern) berechnete man im Jahre 1807 das Gebiet des neugebackenen Königreichs auf 1636 Quadrat¬ meilen mit 3 Millionen 300 000 Einwohnern. Die Vergröberung im Jahre 1810 sollte sich auf 300 Quadratmeilen mit 700 000 Einwohnern belaufen; die Abtretungen in Südtirol, das Napoleon zu seinem Königreiche Italien schlug, an der Donau und am Main umfaßten reichlich 200 Quadratmeilen mit 450 000 Einwohnern. Zu den Zeiten seiner größten Ausdehnung umfaßte der dänische Staat also 1736 Quadratmeilen, und seine Bevölkerung wurde berechnet auf 3 Millionen 550 000 Einwohner. Nach den Niederlagen der Franzosen bei Großbeeren, an der Katzbach, bei Hagelberg, bei Kulm und Nollendorf, bei Dennewitz und endlich bei Warten- bürg an der Elbe war die Macht Napoleons derartig erschüttert, daß er die lange behauptete Stellung an der Elbe mit Dresden als Mittelpunkt nicht mehr halten konnte. Er führte seine Kriegerschaaren rückwärts in die weiten, fruchtbaren Gefilde um Leipzig, um dort den letzten Entscheidungskampf zu kämpfen. Die leitenden Männer in Vaiern sahen, daß von dem bisherigen Protektor nichts mehr zu hoffen war, und schlössen mit Österreich den mehrfach erwähnten Vertrag zu Ried (8. Oktober 1813). Dieser sicherte Baiern für die dem Kciiscrstaate zurückzugebenden Lande vollständige, gleich¬ wertige Entschädigungen zu. So glaubte sich Baiern für alle Fälle ge¬ sichert. Trotzdem bereitete der Wiener Kongreß auch in dieser Beziehung arge Täuschungen. Denn so sehr es auch Metternich liebte, den Beschützer der Miltelstaaten zu spielen, um eine Einigung Deutschlands und ein Erstarken Preußens zu verhindern, so ging seine Gefälligkeit doch nicht so weit, alt¬ österreichische Besitzungen in dem Besitze Baierns zu lasse». Nach mehrjährigen, höchst unerquicklichen Verhandlungen traten Tirol nebst Vorarlberg, das vor¬ malige Erzbistum Salzburg, das Innviertel und das Hausruckviertel unter das Szepter des Kaisers zurück. Diese Gebiete umfaßten etwa 600 Quadratmeilen. Als Entschädigung erhielt Baiern dafür zunächst nur das bisherige Großherzog¬ tum Würzburg und das frühere kurmcünzische Fürstentum Aschciffcnburg. Zur Befriedigung seiner weitern Ansprüche versprach ihm Österreich, außer links¬ rheinischen Gebieten, die Frankreich abtreten mußte, die rechtsrheinische Pfalz mit Mannheim und Heidelberg, die im Besitze Badens war. Eine Zerstückelung Badens aber war am Kongreß und später bei der Territorialkommission in Frankfurt a. M. nicht durchzusetzen, und Metternich erklärte, daß unter gleich¬ wertigen Entschädigungen nur solche zu verstehen seien, die etwa eine gleiche Einwohnerzahl hätten, wenn auch der Umfang geringer wäre. Darüber heftiger Zorn bei den Leitern der „Großmacht" Baiern; namentlich der schlaue Minister Montgelas und der „Feldherr" Wrede, von denen der letztere von sich zu sagen liebte: „Ein Feldmaischall Wrede unterzeichnet nur mit dem Degen!", waren höchst erbittert. Aber all ihr Lärmen half nichts; diesmal mußten sie sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/317>, abgerufen am 24.08.2024.