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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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fügen. Die Bevölkerungsziffer des Staates blieb zwar annähernd dieselbe, aber
die gesamten Entschädigungen betrugen zusammen nur etwa 250 Quadratmeilen;
es waren, außer Würzburg und Aschaffenburg, die linksrheinischen Gebiete,
welche die heutige bairische Rheinpfalz bilden, und von der rechtsrheinischen
Pfalz nur der nördliche Teil der Grafschaft Wertheim. Durchsetzen konnte
Baiern nicht mehr; daher fühlte es sich höchst beeinträchtigt in seinen angeb¬
lich wohlbegründeten Ansprüchen und wohlerworbenen Rechten. Diese gab es
mich noch lange nicht auf; im Jahre 1827 trat es wieder offen damit auf,
und im Jahre 1866 spukte dies Gespenst von neuem, sowohl vor Ausbruch des
Krieges, als der Gwßherzog von Baden wenig geneigt war, sich Österreich und
den andern süddeutschen Staaten anzuschließen, wie gegen Ende desselben, als
verlautete, daß Preußen von Baiern große Gebietsabtretungen (Ansbach, Baireuth,
Nürnberg) verlangen würde.

Durch den Wiener Kongreß und die nachfolgenden Einzelverträge war das
Gebiet des bairischen Staates gegen den Bestand von 1813 um etwa 350
Quadratmeilen verkleinert worden. Man berechnete es auf 1338 Quadratmeilen.
Eine weitere, aber nicht erhebliche Verringerung brachte das Jahr 1866. Das
Bezirksamt Gersfeld, das Landgericht Orb (ohne Aura) und die Exklave Kants^
dorf fielen an Preußen, zusammen 10 Quadratmeilen, so daß Baiern jetzt
1378 Qucidratmcilen (75863,45 Quadratkilometer) enthält. Wenn man dieses
Gebiet, das, abgesehen von der abgesonderten Lage der Rheinpfalz, einen so
einheitlich abgerundeten Eindruck macht, jetzt auf einer Karte betrachtet, so sollte
man gar nicht glauben, auf wie wunderliche Weise es zusammengekommen ist.
Folgende kurze Zusammenstellung wird ein anschauliches Bild davon geben.
Das heutige Vaiern enthielt ehemals selbständige Gebiete oder Teile von solchen:
1. aus dem alten österreichischen Kreise 4; 2. dem bairischen Kreise 24; 3. dem
chwäbischen Kreise 30; 4. dem fränkischen Kreise 20; 5. den beiden rheinischen
Kreisen 21. Das sind im ganzen 99 ehemalige Einzelgebiete oder Teile von
solchen; dabei sind aber die sehr zahlreichen Gebiete der Reichsritterschaft, die
doch schließlich auch reichsunmittelbar waren, nicht mitgerechnet.

Nach den Angaben der neuen Auflage des großen Lehrbuches von Daniel,
denen allerdings noch die Berechnungen von 1875 zu Grunde liegen, sind von
den 6,022,904 Einwohnern, die damals das Land hatte, Baiern 1^ Millionen
in Oberbaiern, Niederbaiern und der Oberpfalz, Schwaben ^ Million in
Schwaben und Neuburg. Allemannen 15000 im Allgau, Franken 2^ Millionen
in Ober-, Mittel- und Unterfranken, der Oberpfalz und der Rheinpfalz, Ober-
sachsen 60000 im Vogtlands, Wallonen 3500 in der Pfalz und endlich Juden
51,335. Diese Zahlen haben sich bis heute allerdings etwas geändert; das
Verhältnis der einzelnen Stämme unter einander ist aber wohl dasselbe geblieben.

Und angesichts solcher Thatsachen, die freilich in weitern Kreisen viel zu
wenig bekannt sind, wagt man noch immer von einer uralten, geschichtlich be-


fügen. Die Bevölkerungsziffer des Staates blieb zwar annähernd dieselbe, aber
die gesamten Entschädigungen betrugen zusammen nur etwa 250 Quadratmeilen;
es waren, außer Würzburg und Aschaffenburg, die linksrheinischen Gebiete,
welche die heutige bairische Rheinpfalz bilden, und von der rechtsrheinischen
Pfalz nur der nördliche Teil der Grafschaft Wertheim. Durchsetzen konnte
Baiern nicht mehr; daher fühlte es sich höchst beeinträchtigt in seinen angeb¬
lich wohlbegründeten Ansprüchen und wohlerworbenen Rechten. Diese gab es
mich noch lange nicht auf; im Jahre 1827 trat es wieder offen damit auf,
und im Jahre 1866 spukte dies Gespenst von neuem, sowohl vor Ausbruch des
Krieges, als der Gwßherzog von Baden wenig geneigt war, sich Österreich und
den andern süddeutschen Staaten anzuschließen, wie gegen Ende desselben, als
verlautete, daß Preußen von Baiern große Gebietsabtretungen (Ansbach, Baireuth,
Nürnberg) verlangen würde.

Durch den Wiener Kongreß und die nachfolgenden Einzelverträge war das
Gebiet des bairischen Staates gegen den Bestand von 1813 um etwa 350
Quadratmeilen verkleinert worden. Man berechnete es auf 1338 Quadratmeilen.
Eine weitere, aber nicht erhebliche Verringerung brachte das Jahr 1866. Das
Bezirksamt Gersfeld, das Landgericht Orb (ohne Aura) und die Exklave Kants^
dorf fielen an Preußen, zusammen 10 Quadratmeilen, so daß Baiern jetzt
1378 Qucidratmcilen (75863,45 Quadratkilometer) enthält. Wenn man dieses
Gebiet, das, abgesehen von der abgesonderten Lage der Rheinpfalz, einen so
einheitlich abgerundeten Eindruck macht, jetzt auf einer Karte betrachtet, so sollte
man gar nicht glauben, auf wie wunderliche Weise es zusammengekommen ist.
Folgende kurze Zusammenstellung wird ein anschauliches Bild davon geben.
Das heutige Vaiern enthielt ehemals selbständige Gebiete oder Teile von solchen:
1. aus dem alten österreichischen Kreise 4; 2. dem bairischen Kreise 24; 3. dem
chwäbischen Kreise 30; 4. dem fränkischen Kreise 20; 5. den beiden rheinischen
Kreisen 21. Das sind im ganzen 99 ehemalige Einzelgebiete oder Teile von
solchen; dabei sind aber die sehr zahlreichen Gebiete der Reichsritterschaft, die
doch schließlich auch reichsunmittelbar waren, nicht mitgerechnet.

Nach den Angaben der neuen Auflage des großen Lehrbuches von Daniel,
denen allerdings noch die Berechnungen von 1875 zu Grunde liegen, sind von
den 6,022,904 Einwohnern, die damals das Land hatte, Baiern 1^ Millionen
in Oberbaiern, Niederbaiern und der Oberpfalz, Schwaben ^ Million in
Schwaben und Neuburg. Allemannen 15000 im Allgau, Franken 2^ Millionen
in Ober-, Mittel- und Unterfranken, der Oberpfalz und der Rheinpfalz, Ober-
sachsen 60000 im Vogtlands, Wallonen 3500 in der Pfalz und endlich Juden
51,335. Diese Zahlen haben sich bis heute allerdings etwas geändert; das
Verhältnis der einzelnen Stämme unter einander ist aber wohl dasselbe geblieben.

Und angesichts solcher Thatsachen, die freilich in weitern Kreisen viel zu
wenig bekannt sind, wagt man noch immer von einer uralten, geschichtlich be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/318>, abgerufen am 22.07.2024.