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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

dafür ausgeben, die gern die "reindeutschen" Bevölkerungen der Mittel- und
Kleinstaaten in schroffen Gegensatz stellen zu dem eigentlich slawischen und nur
oberflächlich germanisirten Osten, wenn bairische, schwäbische, sächsische und
welfische Partikularisten immer und immer wieder das "uralte, historisch be¬
gründete, unveräußerliche" Recht der einzelnen deutschen Stämme auf Ab¬
sonderung, auf Selbständigkeit im Munde führen, nur um das Gefüge des
jungen Reiches zu lockern und den führenden Staat zu verdächtigen und zu
schädigen, so verdient ein solches Verhalten eine ganz andere Beurteilung. Daß
die Zerrissenheit und Zersplitterung unsers Vaterlandes unsre ganze Nation
dem Verderben und dem Untergange nahe gebracht hat, ist zweifellos. Daß
diesen. Zustande, der unser Volkstum der Vernichtung entgegenzuführen drohte,
ein Ende gemacht werden mußte, und zwar um jeden Preis, nötigenfalls auch
mit Gewalt, mit Blut und Eisen, das kann eben so wenig jemand leugnen, der
ein Herz für sein Land und einen offenen Sinn für seine Daseinsbedingungen
hat. Wenn wirklich die deutschen Stämme zu diesem Zwecke einige ihrer
Eigentümlichkeiten und Besonderheiten auf dem Altare des Vaterlandes hätten
opfern müssen, nun, so mußte eben dieses Opfer zum Heile des großen Ganzen
gebracht werden. Aber das ist niemals und von keiner Seite verlangt worden.
Daß die Aufrechterhaltung und Währung der Stammeseigentttmlichkeiten, so
weit sie berechtigt, d. h. so weit sie geschichtlich begründet sind, sich sehr wohl
mit einer straffen Staatseinheit verträgt, dafür giebt es keinen schlagenderen
Beweis als die mehr als zweihundertjährige Geschichte des brandenburgisch-
preußischen Staates. Die Brandenburger, die Pommern, die Schlesier, die
Westfalen und die Rheinländer, die Bewohner der Provinzen Preußen und
Sachsen und der neuen Provinzen haben durchaus und in jeder Weise un-
beeinträchtigt ihre Stammeseigentümlichkeiten behalten können und dürfen,
aber das hat niemals gehindert, daß sie echte Preußen und zugleich treue
Deutsche waren und sind. Den Fürstenhäusern, die durch ihren "gott-
und rechtlosen Souveränitätsschwindel," um einen Ausdruck Bismarcks
zu gebrauchen, unser Vaterland so lange und so schwer geschädigt haben,
sind allerdings nach dieser Richtung hin einige Opfer zum Besten des Vaterlandes
zugemutet worden, aber auch keine schwereren, als unumgänglich notwendig
waren, und als sie recht wohl bringen konnten. Die Behauptung aber, daß
Preußen die einzelnen deutschen Stämme sämtlich vergewaltigen, knechten, borussi-
fiziren, uniformiren wolle, und wie die Schlagwörter alle weiter heißen, ist
einfach eine entweder bewußte oder unbewußte Unwahrheit. Die Zahl derer,
welche sich durch diese völlig unbegründeten Stichwörter blenden lassen, ist ja,
Gott sei Dank, nicht mehr groß, sie verringert sich immer mehr, und die meisten
von ihnen, die diese hohlen Redensarten gedankenlos nachsprechen, darf man
nicht in zu hohem Maße dafür verantwortlich machen: sie plappern eben ge-
bauten- und kritiklos das nach, was man ihnen in ihrer Jugend, zu den


Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

dafür ausgeben, die gern die „reindeutschen" Bevölkerungen der Mittel- und
Kleinstaaten in schroffen Gegensatz stellen zu dem eigentlich slawischen und nur
oberflächlich germanisirten Osten, wenn bairische, schwäbische, sächsische und
welfische Partikularisten immer und immer wieder das „uralte, historisch be¬
gründete, unveräußerliche" Recht der einzelnen deutschen Stämme auf Ab¬
sonderung, auf Selbständigkeit im Munde führen, nur um das Gefüge des
jungen Reiches zu lockern und den führenden Staat zu verdächtigen und zu
schädigen, so verdient ein solches Verhalten eine ganz andere Beurteilung. Daß
die Zerrissenheit und Zersplitterung unsers Vaterlandes unsre ganze Nation
dem Verderben und dem Untergange nahe gebracht hat, ist zweifellos. Daß
diesen. Zustande, der unser Volkstum der Vernichtung entgegenzuführen drohte,
ein Ende gemacht werden mußte, und zwar um jeden Preis, nötigenfalls auch
mit Gewalt, mit Blut und Eisen, das kann eben so wenig jemand leugnen, der
ein Herz für sein Land und einen offenen Sinn für seine Daseinsbedingungen
hat. Wenn wirklich die deutschen Stämme zu diesem Zwecke einige ihrer
Eigentümlichkeiten und Besonderheiten auf dem Altare des Vaterlandes hätten
opfern müssen, nun, so mußte eben dieses Opfer zum Heile des großen Ganzen
gebracht werden. Aber das ist niemals und von keiner Seite verlangt worden.
Daß die Aufrechterhaltung und Währung der Stammeseigentttmlichkeiten, so
weit sie berechtigt, d. h. so weit sie geschichtlich begründet sind, sich sehr wohl
mit einer straffen Staatseinheit verträgt, dafür giebt es keinen schlagenderen
Beweis als die mehr als zweihundertjährige Geschichte des brandenburgisch-
preußischen Staates. Die Brandenburger, die Pommern, die Schlesier, die
Westfalen und die Rheinländer, die Bewohner der Provinzen Preußen und
Sachsen und der neuen Provinzen haben durchaus und in jeder Weise un-
beeinträchtigt ihre Stammeseigentümlichkeiten behalten können und dürfen,
aber das hat niemals gehindert, daß sie echte Preußen und zugleich treue
Deutsche waren und sind. Den Fürstenhäusern, die durch ihren „gott-
und rechtlosen Souveränitätsschwindel," um einen Ausdruck Bismarcks
zu gebrauchen, unser Vaterland so lange und so schwer geschädigt haben,
sind allerdings nach dieser Richtung hin einige Opfer zum Besten des Vaterlandes
zugemutet worden, aber auch keine schwereren, als unumgänglich notwendig
waren, und als sie recht wohl bringen konnten. Die Behauptung aber, daß
Preußen die einzelnen deutschen Stämme sämtlich vergewaltigen, knechten, borussi-
fiziren, uniformiren wolle, und wie die Schlagwörter alle weiter heißen, ist
einfach eine entweder bewußte oder unbewußte Unwahrheit. Die Zahl derer,
welche sich durch diese völlig unbegründeten Stichwörter blenden lassen, ist ja,
Gott sei Dank, nicht mehr groß, sie verringert sich immer mehr, und die meisten
von ihnen, die diese hohlen Redensarten gedankenlos nachsprechen, darf man
nicht in zu hohem Maße dafür verantwortlich machen: sie plappern eben ge-
bauten- und kritiklos das nach, was man ihnen in ihrer Jugend, zu den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/31>, abgerufen am 24.08.2024.