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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklnng der Linzelswatcn Deutschlands.

Zeiten des seligen Bundestages, vorgeredet hat. Nicht vielen kräftigen Geistern
ist es gegeben, die Fesseln, die Unverstand und vielleicht absichtliche Fälschung
der Geschichte dem jugendlichen Geiste angelegt haben, ganz abzuwerfen. Das
Gcbcchren aber jener Hetzer und Treiber, jener verbissenen Partikularisten, jener
offenen Preußen- und verkappten Reichsfeinde, die um kleinlicher Interessen
willen oder vielleicht gar aus Haß und Bosheit immer von neuem die alte
Zwietracht unter den Deutschen anzufachen streben, kann nicht scharf genng ge¬
brandmarkt werden. Jeder Vaterlandsfrcund kann nur wünschen, daß diese
würdigen Herren samt ihren polnischen, dänischen und französischen Freunden,
deren Genossenschaft sie hinreichend kennzeichnet und richtet, ihren Wohnsitz nach
irgend einer überseeischen Küste verlegen. Das Vaterland kann auch sie ent¬
behren. Denn wer nicht treu zu Preußen hält, dem Kerne, der Grundlage und
der Stütze der neugeeinten Nation, der hält anch nicht treu zum Reiche, nicht
treu zu Deutschland.

Derjenige Staat, der von 1815 bis 1366, zu den Zeiten des seligen Bun¬
destages, es liebte, den höchst uneigennützigen Beschützer der sogenannten
Einzelstämme und ihres berechtigten Sonderlebens bis zu den kleinen und
allerkleinsten hinab zu spielen, d. h. der in Wirklichkeit sich bemühte, die Zer¬
splitterung und die Uneinigkeit der Einzelstaaten, diesen Fluch unsers Vater¬
landes, aufrecht zu erhalten und zu verewigen, war Osterreich. Allerdings
hatte Österreich in seiner eignen Politik niemals auch nur die geringste Rück¬
sicht auf die widerstrebendsten Nationalitäten, ihre Gegensätze und ihre Bedürf¬
nisse genommen, geschweige denn, daß es sich um solche Kleinigkeiten wie
Stammescigcntümlichkeiten hätte kümmern können. Wo die Interessen Österreichs,
d. h. die Interessen der Dynastie und der herrschenden Kasten, nämlich des
hohen Adels und der Geistlichkeit, in Frage kamen, da hatten die tiefsten na¬
tionalen Interessen, die höchsten nationalen Güter der Völker niemals auch nur die
geringste Rolle spielen dürfen, und wenn sich einmal eine Stimme dafür erhoben
hatte, so war sie immer sofort mit Gewalt zum Schweigen gebracht worden,
so lange die Gewalt vorhanden gewesen war. Das hätte eigentlich jeder den¬
kende Geschichtsforscher, jeder scharfblickende Politiker wissen müssen, und diese
Kenntnis der altüberlieferten Habsburg-lothringischen Haus- und Staatspolitik
hätte besonnene Männer eigentlich schwankend machen müssen in dem festen
Glauben an die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit dieser Beschützcrrolle, hätte auch
vertrauensselige Leute etwas kopfscheu und unsicher machen sollen in der Über¬
zeugung, daß Österreich diese Rolle als Beschützer des berechtigten Sonder¬
lebens der einzelnen deutschen Stämme nur aus reiner Uneigennützigkeit und aus
deutschem Patriotismus übernommen habe. Dennoch erhob sich Menschenalter
hindurch in Deutschland kaum eine einzige Stimme in diesem Sinne, in den
Mittel- und Kleinstaaten gar nicht, aber auch in Preußen eigentlich erst dann,
als die Vorgänge in Warschau, bei Bronzell und in Olmütz wenigstens einer


Die Gebietsentwicklnng der Linzelswatcn Deutschlands.

Zeiten des seligen Bundestages, vorgeredet hat. Nicht vielen kräftigen Geistern
ist es gegeben, die Fesseln, die Unverstand und vielleicht absichtliche Fälschung
der Geschichte dem jugendlichen Geiste angelegt haben, ganz abzuwerfen. Das
Gcbcchren aber jener Hetzer und Treiber, jener verbissenen Partikularisten, jener
offenen Preußen- und verkappten Reichsfeinde, die um kleinlicher Interessen
willen oder vielleicht gar aus Haß und Bosheit immer von neuem die alte
Zwietracht unter den Deutschen anzufachen streben, kann nicht scharf genng ge¬
brandmarkt werden. Jeder Vaterlandsfrcund kann nur wünschen, daß diese
würdigen Herren samt ihren polnischen, dänischen und französischen Freunden,
deren Genossenschaft sie hinreichend kennzeichnet und richtet, ihren Wohnsitz nach
irgend einer überseeischen Küste verlegen. Das Vaterland kann auch sie ent¬
behren. Denn wer nicht treu zu Preußen hält, dem Kerne, der Grundlage und
der Stütze der neugeeinten Nation, der hält anch nicht treu zum Reiche, nicht
treu zu Deutschland.

Derjenige Staat, der von 1815 bis 1366, zu den Zeiten des seligen Bun¬
destages, es liebte, den höchst uneigennützigen Beschützer der sogenannten
Einzelstämme und ihres berechtigten Sonderlebens bis zu den kleinen und
allerkleinsten hinab zu spielen, d. h. der in Wirklichkeit sich bemühte, die Zer¬
splitterung und die Uneinigkeit der Einzelstaaten, diesen Fluch unsers Vater¬
landes, aufrecht zu erhalten und zu verewigen, war Osterreich. Allerdings
hatte Österreich in seiner eignen Politik niemals auch nur die geringste Rück¬
sicht auf die widerstrebendsten Nationalitäten, ihre Gegensätze und ihre Bedürf¬
nisse genommen, geschweige denn, daß es sich um solche Kleinigkeiten wie
Stammescigcntümlichkeiten hätte kümmern können. Wo die Interessen Österreichs,
d. h. die Interessen der Dynastie und der herrschenden Kasten, nämlich des
hohen Adels und der Geistlichkeit, in Frage kamen, da hatten die tiefsten na¬
tionalen Interessen, die höchsten nationalen Güter der Völker niemals auch nur die
geringste Rolle spielen dürfen, und wenn sich einmal eine Stimme dafür erhoben
hatte, so war sie immer sofort mit Gewalt zum Schweigen gebracht worden,
so lange die Gewalt vorhanden gewesen war. Das hätte eigentlich jeder den¬
kende Geschichtsforscher, jeder scharfblickende Politiker wissen müssen, und diese
Kenntnis der altüberlieferten Habsburg-lothringischen Haus- und Staatspolitik
hätte besonnene Männer eigentlich schwankend machen müssen in dem festen
Glauben an die Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit dieser Beschützcrrolle, hätte auch
vertrauensselige Leute etwas kopfscheu und unsicher machen sollen in der Über¬
zeugung, daß Österreich diese Rolle als Beschützer des berechtigten Sonder¬
lebens der einzelnen deutschen Stämme nur aus reiner Uneigennützigkeit und aus
deutschem Patriotismus übernommen habe. Dennoch erhob sich Menschenalter
hindurch in Deutschland kaum eine einzige Stimme in diesem Sinne, in den
Mittel- und Kleinstaaten gar nicht, aber auch in Preußen eigentlich erst dann,
als die Vorgänge in Warschau, bei Bronzell und in Olmütz wenigstens einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/32>, abgerufen am 24.08.2024.