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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Ssciß-Lothringen und die Paßverordnung.

kaufen wollen. Auch ist die Zahl der in solchem Umfange kaufkräftigen deutschen
Einwanderer begreiflicher Weise gering und die große Zahl wohlhabender
französischer Familien, welche ehedem Metz bewohnte und dort viel Geld aus¬
gab, von deutscher Seite noch nicht wieder ersetzt worden. Noch übler steht
es mit den hübschen kleinen Landgütern, Obst- und Weingütern der Umgegend.
Diese sind zum großen Teil billig zu kaufen, doch würde erstens ein be¬
trächtlicher Aufwand erforderlich sein, um sie nach langem Verfall wieder in die
Höhe zu bringen, sodann ist bei den Deutschen die Neigung, einsam in einem um¬
mauerten Landsitz inmitten einer französischen Bevölkerung zu leben, ziemlich gering.
Aber diesem wirtschaftlichen Niedergang, der durch die Paßverordnung weder her¬
vorgerufen noch gefördert worden ist, kann im größern Maßstabe nur durch deutsches
Kapital abgeholfen werden. Daß dieses allmählich sich einstellt, beweisen die
bedeutenden Einkäufe, welche die rheinischen Schaumweinfabriken in lothringischen
Trauben machen. Schon vor zwei und drei Jahrhunderten hatte man erkannt,
daß die Lothringer Traube sich für die Bereitung eines guten Schaumweines
vorzüglich eignet, jetzt wird ein wesentlicher Teil der Weinernte an deutsche
Häuser verkauft, und zwar zu Preisen, wie sie in der französischen Zeit nie er¬
zielt worden sind. Der Weinbau geht also unverkennbar einem Aufschwünge
entgegen, wobei noch gar nicht einmal in Betracht gezogen ist, daß die vorzüg¬
lichen Rotweine des Metzer Landes in Deutschland noch so gut wie gar nicht
bekannt sind. Neuerdings beginnen deutsche Schaumweinhäuser auch größere
Niederlassungen zum Pressen und Lagern des Weines an Ort und Stelle zu
errichten, z. B. in Jouy aux Arabes, wo eine rheinische Firma sechs große
hydraulische Pressen aufgestellt hat. So wird sich mit der Zeit ein Ausgleich
vollziehen, dessen Herannahen durch Maßnahmen wie die Paßverordnung nur
beschleunigt werden kann. Es hat eben bisher an dem eisernen Besen gefehlt,
der alles Französische rücksichtslos zum Lande hinauskehrte, und der brach, was
nicht biegen wollte. Je mehr die Elemente abnehmen und schwinden, welche
durch den Glauben an eine bevorstehende Wiedereroberung das wirtschaftliche
Aufblühen hemmen und die Unsicherheit und Unverträglichkeit nähren, desto
schneller wird sich Lothringen erholen, und zwar viel schneller mit dem Pa߬
zwang als ohne ihn. Hierbei muß noch angeführt werden, daß eine nicht
geringe Zahl vernünftiger Leute in Metz sich mit den neuen Verhältnissen längst
ausgesöhnt oder doch abgefunden hat, und es giebt dort Stockfranzosen, Männer,
die nach Abstammung und Überzeugung Franzosen sind, die aber seit dem Jahre
1872 deutsche Fabrik- und Handelshäuser fleißig und zuverlässig vertreten und
für diese stets gute Geschäfte gemacht haben. Jedenfalls wird die möglichste
Abwehr und Abkehr aller friedenstörenden Elemente von größtem Nutzen sein, und
von diesem Gesichtspunkt ist die Paßverordnung nicht als ein wirtschaftlicher
Nachteil, sondern als ein großer wirtschaftlicher Vorteil anzusehen, der die kürz¬
lich selbst in klerikalen Blättern anerkannte allmähliche Besserung der Verhältnisse in


Ssciß-Lothringen und die Paßverordnung.

kaufen wollen. Auch ist die Zahl der in solchem Umfange kaufkräftigen deutschen
Einwanderer begreiflicher Weise gering und die große Zahl wohlhabender
französischer Familien, welche ehedem Metz bewohnte und dort viel Geld aus¬
gab, von deutscher Seite noch nicht wieder ersetzt worden. Noch übler steht
es mit den hübschen kleinen Landgütern, Obst- und Weingütern der Umgegend.
Diese sind zum großen Teil billig zu kaufen, doch würde erstens ein be¬
trächtlicher Aufwand erforderlich sein, um sie nach langem Verfall wieder in die
Höhe zu bringen, sodann ist bei den Deutschen die Neigung, einsam in einem um¬
mauerten Landsitz inmitten einer französischen Bevölkerung zu leben, ziemlich gering.
Aber diesem wirtschaftlichen Niedergang, der durch die Paßverordnung weder her¬
vorgerufen noch gefördert worden ist, kann im größern Maßstabe nur durch deutsches
Kapital abgeholfen werden. Daß dieses allmählich sich einstellt, beweisen die
bedeutenden Einkäufe, welche die rheinischen Schaumweinfabriken in lothringischen
Trauben machen. Schon vor zwei und drei Jahrhunderten hatte man erkannt,
daß die Lothringer Traube sich für die Bereitung eines guten Schaumweines
vorzüglich eignet, jetzt wird ein wesentlicher Teil der Weinernte an deutsche
Häuser verkauft, und zwar zu Preisen, wie sie in der französischen Zeit nie er¬
zielt worden sind. Der Weinbau geht also unverkennbar einem Aufschwünge
entgegen, wobei noch gar nicht einmal in Betracht gezogen ist, daß die vorzüg¬
lichen Rotweine des Metzer Landes in Deutschland noch so gut wie gar nicht
bekannt sind. Neuerdings beginnen deutsche Schaumweinhäuser auch größere
Niederlassungen zum Pressen und Lagern des Weines an Ort und Stelle zu
errichten, z. B. in Jouy aux Arabes, wo eine rheinische Firma sechs große
hydraulische Pressen aufgestellt hat. So wird sich mit der Zeit ein Ausgleich
vollziehen, dessen Herannahen durch Maßnahmen wie die Paßverordnung nur
beschleunigt werden kann. Es hat eben bisher an dem eisernen Besen gefehlt,
der alles Französische rücksichtslos zum Lande hinauskehrte, und der brach, was
nicht biegen wollte. Je mehr die Elemente abnehmen und schwinden, welche
durch den Glauben an eine bevorstehende Wiedereroberung das wirtschaftliche
Aufblühen hemmen und die Unsicherheit und Unverträglichkeit nähren, desto
schneller wird sich Lothringen erholen, und zwar viel schneller mit dem Pa߬
zwang als ohne ihn. Hierbei muß noch angeführt werden, daß eine nicht
geringe Zahl vernünftiger Leute in Metz sich mit den neuen Verhältnissen längst
ausgesöhnt oder doch abgefunden hat, und es giebt dort Stockfranzosen, Männer,
die nach Abstammung und Überzeugung Franzosen sind, die aber seit dem Jahre
1872 deutsche Fabrik- und Handelshäuser fleißig und zuverlässig vertreten und
für diese stets gute Geschäfte gemacht haben. Jedenfalls wird die möglichste
Abwehr und Abkehr aller friedenstörenden Elemente von größtem Nutzen sein, und
von diesem Gesichtspunkt ist die Paßverordnung nicht als ein wirtschaftlicher
Nachteil, sondern als ein großer wirtschaftlicher Vorteil anzusehen, der die kürz¬
lich selbst in klerikalen Blättern anerkannte allmähliche Besserung der Verhältnisse in


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[0303] Ssciß-Lothringen und die Paßverordnung. kaufen wollen. Auch ist die Zahl der in solchem Umfange kaufkräftigen deutschen Einwanderer begreiflicher Weise gering und die große Zahl wohlhabender französischer Familien, welche ehedem Metz bewohnte und dort viel Geld aus¬ gab, von deutscher Seite noch nicht wieder ersetzt worden. Noch übler steht es mit den hübschen kleinen Landgütern, Obst- und Weingütern der Umgegend. Diese sind zum großen Teil billig zu kaufen, doch würde erstens ein be¬ trächtlicher Aufwand erforderlich sein, um sie nach langem Verfall wieder in die Höhe zu bringen, sodann ist bei den Deutschen die Neigung, einsam in einem um¬ mauerten Landsitz inmitten einer französischen Bevölkerung zu leben, ziemlich gering. Aber diesem wirtschaftlichen Niedergang, der durch die Paßverordnung weder her¬ vorgerufen noch gefördert worden ist, kann im größern Maßstabe nur durch deutsches Kapital abgeholfen werden. Daß dieses allmählich sich einstellt, beweisen die bedeutenden Einkäufe, welche die rheinischen Schaumweinfabriken in lothringischen Trauben machen. Schon vor zwei und drei Jahrhunderten hatte man erkannt, daß die Lothringer Traube sich für die Bereitung eines guten Schaumweines vorzüglich eignet, jetzt wird ein wesentlicher Teil der Weinernte an deutsche Häuser verkauft, und zwar zu Preisen, wie sie in der französischen Zeit nie er¬ zielt worden sind. Der Weinbau geht also unverkennbar einem Aufschwünge entgegen, wobei noch gar nicht einmal in Betracht gezogen ist, daß die vorzüg¬ lichen Rotweine des Metzer Landes in Deutschland noch so gut wie gar nicht bekannt sind. Neuerdings beginnen deutsche Schaumweinhäuser auch größere Niederlassungen zum Pressen und Lagern des Weines an Ort und Stelle zu errichten, z. B. in Jouy aux Arabes, wo eine rheinische Firma sechs große hydraulische Pressen aufgestellt hat. So wird sich mit der Zeit ein Ausgleich vollziehen, dessen Herannahen durch Maßnahmen wie die Paßverordnung nur beschleunigt werden kann. Es hat eben bisher an dem eisernen Besen gefehlt, der alles Französische rücksichtslos zum Lande hinauskehrte, und der brach, was nicht biegen wollte. Je mehr die Elemente abnehmen und schwinden, welche durch den Glauben an eine bevorstehende Wiedereroberung das wirtschaftliche Aufblühen hemmen und die Unsicherheit und Unverträglichkeit nähren, desto schneller wird sich Lothringen erholen, und zwar viel schneller mit dem Pa߬ zwang als ohne ihn. Hierbei muß noch angeführt werden, daß eine nicht geringe Zahl vernünftiger Leute in Metz sich mit den neuen Verhältnissen längst ausgesöhnt oder doch abgefunden hat, und es giebt dort Stockfranzosen, Männer, die nach Abstammung und Überzeugung Franzosen sind, die aber seit dem Jahre 1872 deutsche Fabrik- und Handelshäuser fleißig und zuverlässig vertreten und für diese stets gute Geschäfte gemacht haben. Jedenfalls wird die möglichste Abwehr und Abkehr aller friedenstörenden Elemente von größtem Nutzen sein, und von diesem Gesichtspunkt ist die Paßverordnung nicht als ein wirtschaftlicher Nachteil, sondern als ein großer wirtschaftlicher Vorteil anzusehen, der die kürz¬ lich selbst in klerikalen Blättern anerkannte allmähliche Besserung der Verhältnisse in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/303>, abgerufen am 06.02.2025.