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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Glsaß-Lothringen und die Paßverordnung.

lich die Klagen über wirtschaftliche Nachteile, und die Elsässer und Lothringer
waren alsbald verständig genug, ihre Beschwerden über die für ihre französischen
Beziehungen so unbequemen Schranke gleichfalls in den "wirtschaftlichen" Mantel
zu wickeln und hinter den von deutscher Seite versuchten Beweisen des durch
die Paßverordnung hervorgerufenen wirtschaftlichen Ruins nicht zurückzubleiben.
Man hat damit anfänglich sogar in der rechtsrheinischen Presse Eindruck ge¬
macht, was bei der Unkenntnis, die im allgemeinen in der deutschen Zeitungs¬
welt in Bezug auf Elsaß-Lothringen herrscht und angesichts der kritisirenden
Neigungen eines Teiles unserer öffentlichen Blätter nicht weiter Wunder nehmen
kann. Eine sorgfältige und aus guten Quellen geschöpfte Umschau ergiebt da¬
gegen folgendes Bild.

Was zunächst Lothringen anlangt, so hatte die plötzliche Einführung
des Paßzwanges allerdings anfänglich eine gewisse Aufregung hervorgerufen,
die sich aber sehr bald erheblich gemindert hat, namentlich nachdem man sich
überzeugt hatte, daß dem Verkehr nach Frankreich von deutscher Seite keine
Hindernisse bereitet wurden und jedermann nach Wunsch Paß oder Paßkarte
erhielt. Von einer wirtschaftlichen Schädigung kann schon aus dem Grunde
keine Rede sein, weil die vielen Franzosen, welche auf Ausflügen zum Besuch,
zum Vergnügen, in Familien- und Erbschaftsangelegenheiten u. s, w. aus Nancy
oder andern Orten der französischen Grenzdepartements alljährlich nach Metz
herüberkamen, dort nicht als Käufer auftraten. Allerdings lebten sie gern
gut, und ein feines Diner oder Souper war in der Regel, wenn nicht der
Zweck, so doch das Ende vieler französischen Ausflüge. So hat denn in der
That die Oktroi-Verwaltung von Metz einen Rückgang im Delikatesscnverkehr
zu verzeichnen gehabt^), und die Gasthöfe, Cigarrenhandlungen, Verkäufer von
kleinen "Souvenirs" u. s. w. mögen die thatsächlich eingetretene Verminderung
des Fremdenverkehrs wohl empfunden haben. Das sind aber Dinge, welche
nicht eine nachhaltige wirtschaftliche Störung bedeuten und mit der Zeit,
namentlich durch die fortdauernde starke deutsche Einwanderung, ihren Aus¬
gleich finden werden. Diejenigen Franzosen, welche ernstlich "in Geschäften"
in Metz zu thun haben, kommen auch jetzt noch, so z. B. die Reisenden in
Bijouterie- und ähnlichen Handelsartikeln; sie besuchen nach wie vor regel¬
mäßig ihre Kundschaft. Ein großer wirtschaftlicher Rückgang war insbesondre
für Metz und Umgegend mit dem Jahre 1870 eingetreten, und dieser ist aller¬
dings noch nicht überwunden. Er betrifft hauptsächlich die Grundeigen¬
tümer. Noch heute stehen in Metz Häuser und Wohnungen leer, deren Besitzer
nach Frankreich ausgewandert sind und an Deutsche weder vermieten noch ver-



*) Die Octroieinnahme betrug in der Zeit vom 1. April bis zum 80. September
d. I. aus feineren Fischen, Geflügel, Trüffeln und Pasteten 1141 M. 70. Pf. weniger als für
den gleichen Zeitraum des vorigen Jahres.
Glsaß-Lothringen und die Paßverordnung.

lich die Klagen über wirtschaftliche Nachteile, und die Elsässer und Lothringer
waren alsbald verständig genug, ihre Beschwerden über die für ihre französischen
Beziehungen so unbequemen Schranke gleichfalls in den „wirtschaftlichen" Mantel
zu wickeln und hinter den von deutscher Seite versuchten Beweisen des durch
die Paßverordnung hervorgerufenen wirtschaftlichen Ruins nicht zurückzubleiben.
Man hat damit anfänglich sogar in der rechtsrheinischen Presse Eindruck ge¬
macht, was bei der Unkenntnis, die im allgemeinen in der deutschen Zeitungs¬
welt in Bezug auf Elsaß-Lothringen herrscht und angesichts der kritisirenden
Neigungen eines Teiles unserer öffentlichen Blätter nicht weiter Wunder nehmen
kann. Eine sorgfältige und aus guten Quellen geschöpfte Umschau ergiebt da¬
gegen folgendes Bild.

Was zunächst Lothringen anlangt, so hatte die plötzliche Einführung
des Paßzwanges allerdings anfänglich eine gewisse Aufregung hervorgerufen,
die sich aber sehr bald erheblich gemindert hat, namentlich nachdem man sich
überzeugt hatte, daß dem Verkehr nach Frankreich von deutscher Seite keine
Hindernisse bereitet wurden und jedermann nach Wunsch Paß oder Paßkarte
erhielt. Von einer wirtschaftlichen Schädigung kann schon aus dem Grunde
keine Rede sein, weil die vielen Franzosen, welche auf Ausflügen zum Besuch,
zum Vergnügen, in Familien- und Erbschaftsangelegenheiten u. s, w. aus Nancy
oder andern Orten der französischen Grenzdepartements alljährlich nach Metz
herüberkamen, dort nicht als Käufer auftraten. Allerdings lebten sie gern
gut, und ein feines Diner oder Souper war in der Regel, wenn nicht der
Zweck, so doch das Ende vieler französischen Ausflüge. So hat denn in der
That die Oktroi-Verwaltung von Metz einen Rückgang im Delikatesscnverkehr
zu verzeichnen gehabt^), und die Gasthöfe, Cigarrenhandlungen, Verkäufer von
kleinen „Souvenirs" u. s. w. mögen die thatsächlich eingetretene Verminderung
des Fremdenverkehrs wohl empfunden haben. Das sind aber Dinge, welche
nicht eine nachhaltige wirtschaftliche Störung bedeuten und mit der Zeit,
namentlich durch die fortdauernde starke deutsche Einwanderung, ihren Aus¬
gleich finden werden. Diejenigen Franzosen, welche ernstlich „in Geschäften"
in Metz zu thun haben, kommen auch jetzt noch, so z. B. die Reisenden in
Bijouterie- und ähnlichen Handelsartikeln; sie besuchen nach wie vor regel¬
mäßig ihre Kundschaft. Ein großer wirtschaftlicher Rückgang war insbesondre
für Metz und Umgegend mit dem Jahre 1870 eingetreten, und dieser ist aller¬
dings noch nicht überwunden. Er betrifft hauptsächlich die Grundeigen¬
tümer. Noch heute stehen in Metz Häuser und Wohnungen leer, deren Besitzer
nach Frankreich ausgewandert sind und an Deutsche weder vermieten noch ver-



*) Die Octroieinnahme betrug in der Zeit vom 1. April bis zum 80. September
d. I. aus feineren Fischen, Geflügel, Trüffeln und Pasteten 1141 M. 70. Pf. weniger als für
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[0302] Glsaß-Lothringen und die Paßverordnung. lich die Klagen über wirtschaftliche Nachteile, und die Elsässer und Lothringer waren alsbald verständig genug, ihre Beschwerden über die für ihre französischen Beziehungen so unbequemen Schranke gleichfalls in den „wirtschaftlichen" Mantel zu wickeln und hinter den von deutscher Seite versuchten Beweisen des durch die Paßverordnung hervorgerufenen wirtschaftlichen Ruins nicht zurückzubleiben. Man hat damit anfänglich sogar in der rechtsrheinischen Presse Eindruck ge¬ macht, was bei der Unkenntnis, die im allgemeinen in der deutschen Zeitungs¬ welt in Bezug auf Elsaß-Lothringen herrscht und angesichts der kritisirenden Neigungen eines Teiles unserer öffentlichen Blätter nicht weiter Wunder nehmen kann. Eine sorgfältige und aus guten Quellen geschöpfte Umschau ergiebt da¬ gegen folgendes Bild. Was zunächst Lothringen anlangt, so hatte die plötzliche Einführung des Paßzwanges allerdings anfänglich eine gewisse Aufregung hervorgerufen, die sich aber sehr bald erheblich gemindert hat, namentlich nachdem man sich überzeugt hatte, daß dem Verkehr nach Frankreich von deutscher Seite keine Hindernisse bereitet wurden und jedermann nach Wunsch Paß oder Paßkarte erhielt. Von einer wirtschaftlichen Schädigung kann schon aus dem Grunde keine Rede sein, weil die vielen Franzosen, welche auf Ausflügen zum Besuch, zum Vergnügen, in Familien- und Erbschaftsangelegenheiten u. s, w. aus Nancy oder andern Orten der französischen Grenzdepartements alljährlich nach Metz herüberkamen, dort nicht als Käufer auftraten. Allerdings lebten sie gern gut, und ein feines Diner oder Souper war in der Regel, wenn nicht der Zweck, so doch das Ende vieler französischen Ausflüge. So hat denn in der That die Oktroi-Verwaltung von Metz einen Rückgang im Delikatesscnverkehr zu verzeichnen gehabt^), und die Gasthöfe, Cigarrenhandlungen, Verkäufer von kleinen „Souvenirs" u. s. w. mögen die thatsächlich eingetretene Verminderung des Fremdenverkehrs wohl empfunden haben. Das sind aber Dinge, welche nicht eine nachhaltige wirtschaftliche Störung bedeuten und mit der Zeit, namentlich durch die fortdauernde starke deutsche Einwanderung, ihren Aus¬ gleich finden werden. Diejenigen Franzosen, welche ernstlich „in Geschäften" in Metz zu thun haben, kommen auch jetzt noch, so z. B. die Reisenden in Bijouterie- und ähnlichen Handelsartikeln; sie besuchen nach wie vor regel¬ mäßig ihre Kundschaft. Ein großer wirtschaftlicher Rückgang war insbesondre für Metz und Umgegend mit dem Jahre 1870 eingetreten, und dieser ist aller¬ dings noch nicht überwunden. Er betrifft hauptsächlich die Grundeigen¬ tümer. Noch heute stehen in Metz Häuser und Wohnungen leer, deren Besitzer nach Frankreich ausgewandert sind und an Deutsche weder vermieten noch ver- *) Die Octroieinnahme betrug in der Zeit vom 1. April bis zum 80. September d. I. aus feineren Fischen, Geflügel, Trüffeln und Pasteten 1141 M. 70. Pf. weniger als für den gleichen Zeitraum des vorigen Jahres.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/302>, abgerufen am 22.07.2024.