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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Neuere schwäbische Dialektdichtung.

genügende Bürgschaft geben, daß gewisse Grenzen nicht überschritten werden.
Wenn es dem gebildeten Schwaben unter den Seinen recht Wohl ist, steigt er
gerne vorübergehend zu der breitesten Form herunter, aber da ist eben durch
freien Humor verbürgt, daß jene Linie geschont wird, und in diesem Sinne habe
ich ein und das andre Mal gewagt, auch den derbern Volksmund zum Worte
kommen zu lassen. Jedes Mehr darüber hinaus hätte dem guten Geschmacke
widerstrebt." Wir unserseits können es Grimminger nur als Verdienst anrech¬
nen, daß er die Stuttgarter Mundart, die, wie wir einräumen, oft mit hochdeutschen
Wendungen vermischt ist, als schwäbische Schriftsprache fordert. Auch Bischer
hat sich mit seinem "Nicht la." (schwäbisches Lustspiel in drei Aufzügen. Stutt¬
gart, Bonz Ä Cie., 1884) ihr genähert. Nur fordert schon sein Stoff -- das
Stück spielt in einem Landpfarrhause -- eine weniger nach der Stadt neigende,
sondern mehr ländliche Färbung der Sprache. Wäre diese auch nur eine Spur
breiter, verlöre Pfarrer Klemmle und mit ihm das Ganze unbedingt an ästhe¬
tischem Wert. Der Dichter darf nie außer Acht lassen, auch Künstler zu sein,
selbst beim größten Realismus, und besonders der Dialektdichter, da seine Sprache
nicht den geringsten Zwang kennt, ihm s, xriori alle Freiheiten gestattet und
uicht wie das Hochdeutsche in seiner Darstellung das Dargestellte schon eine
Stufe höher rückt. Grimmingers Poesie zeigt, wie die Hebels -- wir müssen
immer wieder auf diesen Hinweis zurückkommen -- ihre Gestalten nicht im
Werktagskleide, sondern im Sonntagsstaat ihres Gemüts, ohne daß ihnen dieser
etwa unbequem säße. Allerdings huldigt der Dichter damit einem heute als
unmodern und altfränkisch verschrieenen Grundsatze: durch seine Werke nicht so¬
wohl unterhalten und vielmehr erheben und veredeln zu wollen. Seine Gedichte
bezwecken eine nachhaltige Wirkung auf das Herz des Lesers, nicht bloß eine
im nächsten Augenblicke schon vergessene auf seinen Verstand. Und in der That,
man kehrt gern zu seiner einfachen, idyllischen Genremalerei zurück; mit dem¬
selben Gefühle, wie man im Sommer aus der Stadt hinaus nach der Natur
verlangt, oder wie man wieder einmal eine frische Quelle aus moosigen Wald¬
boden emporsprudeln sieht. Durch treffliche Kompositionen sind viele seiner Lieder
über ganz Deutschland hin bekannt, ja beinahe Volkslieder geworden, wenn man
mit dem Ausdruck hier nicht allzu genau rechten will, so z. B.: "Du ischt gar
a herzig's Wörtle," "Neckar und Mosel," "Maidele guck' raus," ..Bhüt' ti Gott."
Das letztere brachte der Versasser dieses Aufsatzes vor Jahr und Tag selbst
einmal mit von Hamburg nach Hause, wo er es an einem schönen Sommerabend
in einem Boot auf der Ulster hatte singen hören. Enthält "Mei Derhoim" mehr
Stimmungen, so enthält "Lug' ins Land" mehr Szenen und Bilder. Ein feiner,
lieb- und lenzgemuter Humor durchflattert Grimmingers Poesie wie schillernde
Schmetterlinge einen Wiesengarten, die bald hier bald da an den duftenden
Kelchen nippen. Wie fein er den Volkston zu treffen weiß, mögen drei kleine
Strophen zeigen: "Hans in Gedanke":


Neuere schwäbische Dialektdichtung.

genügende Bürgschaft geben, daß gewisse Grenzen nicht überschritten werden.
Wenn es dem gebildeten Schwaben unter den Seinen recht Wohl ist, steigt er
gerne vorübergehend zu der breitesten Form herunter, aber da ist eben durch
freien Humor verbürgt, daß jene Linie geschont wird, und in diesem Sinne habe
ich ein und das andre Mal gewagt, auch den derbern Volksmund zum Worte
kommen zu lassen. Jedes Mehr darüber hinaus hätte dem guten Geschmacke
widerstrebt." Wir unserseits können es Grimminger nur als Verdienst anrech¬
nen, daß er die Stuttgarter Mundart, die, wie wir einräumen, oft mit hochdeutschen
Wendungen vermischt ist, als schwäbische Schriftsprache fordert. Auch Bischer
hat sich mit seinem „Nicht la." (schwäbisches Lustspiel in drei Aufzügen. Stutt¬
gart, Bonz Ä Cie., 1884) ihr genähert. Nur fordert schon sein Stoff — das
Stück spielt in einem Landpfarrhause — eine weniger nach der Stadt neigende,
sondern mehr ländliche Färbung der Sprache. Wäre diese auch nur eine Spur
breiter, verlöre Pfarrer Klemmle und mit ihm das Ganze unbedingt an ästhe¬
tischem Wert. Der Dichter darf nie außer Acht lassen, auch Künstler zu sein,
selbst beim größten Realismus, und besonders der Dialektdichter, da seine Sprache
nicht den geringsten Zwang kennt, ihm s, xriori alle Freiheiten gestattet und
uicht wie das Hochdeutsche in seiner Darstellung das Dargestellte schon eine
Stufe höher rückt. Grimmingers Poesie zeigt, wie die Hebels — wir müssen
immer wieder auf diesen Hinweis zurückkommen — ihre Gestalten nicht im
Werktagskleide, sondern im Sonntagsstaat ihres Gemüts, ohne daß ihnen dieser
etwa unbequem säße. Allerdings huldigt der Dichter damit einem heute als
unmodern und altfränkisch verschrieenen Grundsatze: durch seine Werke nicht so¬
wohl unterhalten und vielmehr erheben und veredeln zu wollen. Seine Gedichte
bezwecken eine nachhaltige Wirkung auf das Herz des Lesers, nicht bloß eine
im nächsten Augenblicke schon vergessene auf seinen Verstand. Und in der That,
man kehrt gern zu seiner einfachen, idyllischen Genremalerei zurück; mit dem¬
selben Gefühle, wie man im Sommer aus der Stadt hinaus nach der Natur
verlangt, oder wie man wieder einmal eine frische Quelle aus moosigen Wald¬
boden emporsprudeln sieht. Durch treffliche Kompositionen sind viele seiner Lieder
über ganz Deutschland hin bekannt, ja beinahe Volkslieder geworden, wenn man
mit dem Ausdruck hier nicht allzu genau rechten will, so z. B.: „Du ischt gar
a herzig's Wörtle," „Neckar und Mosel," „Maidele guck' raus," ..Bhüt' ti Gott."
Das letztere brachte der Versasser dieses Aufsatzes vor Jahr und Tag selbst
einmal mit von Hamburg nach Hause, wo er es an einem schönen Sommerabend
in einem Boot auf der Ulster hatte singen hören. Enthält „Mei Derhoim" mehr
Stimmungen, so enthält „Lug' ins Land" mehr Szenen und Bilder. Ein feiner,
lieb- und lenzgemuter Humor durchflattert Grimmingers Poesie wie schillernde
Schmetterlinge einen Wiesengarten, die bald hier bald da an den duftenden
Kelchen nippen. Wie fein er den Volkston zu treffen weiß, mögen drei kleine
Strophen zeigen: „Hans in Gedanke":


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[0292] Neuere schwäbische Dialektdichtung. genügende Bürgschaft geben, daß gewisse Grenzen nicht überschritten werden. Wenn es dem gebildeten Schwaben unter den Seinen recht Wohl ist, steigt er gerne vorübergehend zu der breitesten Form herunter, aber da ist eben durch freien Humor verbürgt, daß jene Linie geschont wird, und in diesem Sinne habe ich ein und das andre Mal gewagt, auch den derbern Volksmund zum Worte kommen zu lassen. Jedes Mehr darüber hinaus hätte dem guten Geschmacke widerstrebt." Wir unserseits können es Grimminger nur als Verdienst anrech¬ nen, daß er die Stuttgarter Mundart, die, wie wir einräumen, oft mit hochdeutschen Wendungen vermischt ist, als schwäbische Schriftsprache fordert. Auch Bischer hat sich mit seinem „Nicht la." (schwäbisches Lustspiel in drei Aufzügen. Stutt¬ gart, Bonz Ä Cie., 1884) ihr genähert. Nur fordert schon sein Stoff — das Stück spielt in einem Landpfarrhause — eine weniger nach der Stadt neigende, sondern mehr ländliche Färbung der Sprache. Wäre diese auch nur eine Spur breiter, verlöre Pfarrer Klemmle und mit ihm das Ganze unbedingt an ästhe¬ tischem Wert. Der Dichter darf nie außer Acht lassen, auch Künstler zu sein, selbst beim größten Realismus, und besonders der Dialektdichter, da seine Sprache nicht den geringsten Zwang kennt, ihm s, xriori alle Freiheiten gestattet und uicht wie das Hochdeutsche in seiner Darstellung das Dargestellte schon eine Stufe höher rückt. Grimmingers Poesie zeigt, wie die Hebels — wir müssen immer wieder auf diesen Hinweis zurückkommen — ihre Gestalten nicht im Werktagskleide, sondern im Sonntagsstaat ihres Gemüts, ohne daß ihnen dieser etwa unbequem säße. Allerdings huldigt der Dichter damit einem heute als unmodern und altfränkisch verschrieenen Grundsatze: durch seine Werke nicht so¬ wohl unterhalten und vielmehr erheben und veredeln zu wollen. Seine Gedichte bezwecken eine nachhaltige Wirkung auf das Herz des Lesers, nicht bloß eine im nächsten Augenblicke schon vergessene auf seinen Verstand. Und in der That, man kehrt gern zu seiner einfachen, idyllischen Genremalerei zurück; mit dem¬ selben Gefühle, wie man im Sommer aus der Stadt hinaus nach der Natur verlangt, oder wie man wieder einmal eine frische Quelle aus moosigen Wald¬ boden emporsprudeln sieht. Durch treffliche Kompositionen sind viele seiner Lieder über ganz Deutschland hin bekannt, ja beinahe Volkslieder geworden, wenn man mit dem Ausdruck hier nicht allzu genau rechten will, so z. B.: „Du ischt gar a herzig's Wörtle," „Neckar und Mosel," „Maidele guck' raus," ..Bhüt' ti Gott." Das letztere brachte der Versasser dieses Aufsatzes vor Jahr und Tag selbst einmal mit von Hamburg nach Hause, wo er es an einem schönen Sommerabend in einem Boot auf der Ulster hatte singen hören. Enthält „Mei Derhoim" mehr Stimmungen, so enthält „Lug' ins Land" mehr Szenen und Bilder. Ein feiner, lieb- und lenzgemuter Humor durchflattert Grimmingers Poesie wie schillernde Schmetterlinge einen Wiesengarten, die bald hier bald da an den duftenden Kelchen nippen. Wie fein er den Volkston zu treffen weiß, mögen drei kleine Strophen zeigen: „Hans in Gedanke":

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/292>, abgerufen am 30.06.2024.