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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Neuere schwäbische Dialektdichtung.

als frisch und originell; seine Sprache zuweilen abstoßend derb, wo sich ohne
große Mühe ein schönerer, ebenso bezeichnender Ausdruck finden ließe. Er felle
wenig, und mancher Vers, oft mit verzweifelt verkrampfter Wendung, verrät sich
nur allzu offen als Reimnot oder Flink -- ein Vorwurf, dem doch jeder Dichter
möglichst auszuweichen sucht. Das Buch umfaßt drei Abteilungen: "Schnitz und
Schrote", "Jetzt gang e ans Brünnele" und "A Portio Ällerloi". Die zweite
Abteilung enthält weitaus das Beste der Sammlung. Es ist wie ein gutes Bild,
in mißratenem, verschnörkelten Rahmen. Ein Gedicht aber wie "Mei Schatz,
ihr Leut, hoißt Frieder", das auch in den "Fliegenden Blättern" erschien, ist
geradezu ein Fleck, um nicht mehr zu sagen. Seuffer besitzt unstreitig ein schönes
Talent, seine Poesie aber macht den Eindrnck, als ob sie sich gut genug wäre
und zufrieden damit, in vergnügter Herrengesellschaft vorgetragen zu werden,
während Grimminger, wie seinerzeit Hebel, beansprucht, im traulichen Kreise
der Familie Geltung zu gewinnen. Seuffer ist ganz Realist, mit allen Vor¬
zügen, aber auch mit allen Schattenseiten eines solchen, während Grimminger
eher Idealist genannt werden kann. Die Sprache Seuffers ist der breite ober-
schäbische Dialekt, wie er in der Gegend von Ulm gesprochen wird und von
Seb. Salier (1714--1777) und Karl Weitzmann (1767--1328) in die Litteratur
eingeführt worden ist. Als kleine Probe stehe hier: "Der uni Herr Pfarrer":


Wia gfällt der denn der uni Herr Pfarr? --
Des ischt mer an der recht I --
Ach gang doch, Frieder, sei loi Narr,
Er predigt doch "et schlecht! --
Er ischt halt cha sürchtig klei! --
El! 's Kiel'sei' gobe in Kauf! --
Was Kauf! Soll d' Kanzel ausgfüllt sei,
So ghairt an' Mannschaft naus! --

Grimminger hat zwei Bändchen Gedichte veröffentlicht. Das eine, Mei
Derhoim, erschien zuerst 1868 (Stuttgart, Cotta) als Heimatsgruß des Dichters,
der damals an der Rotterdamer Oper als Heldentenor thätig war, und nun
in fünfter (vermehrter) Auflage ebendaselbst in diesem Jahre. Das andre nennt
sich: Lug' ins Land und erschien 1873. Man hat Grimminger vorgehalten:
seine Gedichte seien hochdeutsch gedacht und erst beim Niederschreiben schwäbisch
geworden. Mit Unrecht. Seine Sprache ist allerdings nicht die des Bauern.
Es ist, wenn man will, Stuttgarter Mundart, oder wie sie der Dichter selbst
in seiner Vorrede zu "Mei Derhoim" bezeichnet, mittelschwäbisch. "Die ersten
Familien Stuttgarts, sagt er, sprechen zu Hause und unter Freunden schwäbisch,
aber dies schwäbisch verhält sich zu dem des Bauern wie Hochdeutsch zum
bloßen Dialekt. Wer es wagt, schwäbisch zu dichten, ist umsomehr gehalten,
zur feinern Nüance zu greifen, als die derbere, wenn sie nicht mit außerordent¬
lichem Takt behandelt wird, wir müssen es gestehen, leicht ins Widerliche, Ge¬
meine fällt. Wenigstens muß, wenn letztere gewählt wird, der Zusammenhang


Neuere schwäbische Dialektdichtung.

als frisch und originell; seine Sprache zuweilen abstoßend derb, wo sich ohne
große Mühe ein schönerer, ebenso bezeichnender Ausdruck finden ließe. Er felle
wenig, und mancher Vers, oft mit verzweifelt verkrampfter Wendung, verrät sich
nur allzu offen als Reimnot oder Flink — ein Vorwurf, dem doch jeder Dichter
möglichst auszuweichen sucht. Das Buch umfaßt drei Abteilungen: „Schnitz und
Schrote", „Jetzt gang e ans Brünnele" und „A Portio Ällerloi". Die zweite
Abteilung enthält weitaus das Beste der Sammlung. Es ist wie ein gutes Bild,
in mißratenem, verschnörkelten Rahmen. Ein Gedicht aber wie „Mei Schatz,
ihr Leut, hoißt Frieder", das auch in den „Fliegenden Blättern" erschien, ist
geradezu ein Fleck, um nicht mehr zu sagen. Seuffer besitzt unstreitig ein schönes
Talent, seine Poesie aber macht den Eindrnck, als ob sie sich gut genug wäre
und zufrieden damit, in vergnügter Herrengesellschaft vorgetragen zu werden,
während Grimminger, wie seinerzeit Hebel, beansprucht, im traulichen Kreise
der Familie Geltung zu gewinnen. Seuffer ist ganz Realist, mit allen Vor¬
zügen, aber auch mit allen Schattenseiten eines solchen, während Grimminger
eher Idealist genannt werden kann. Die Sprache Seuffers ist der breite ober-
schäbische Dialekt, wie er in der Gegend von Ulm gesprochen wird und von
Seb. Salier (1714—1777) und Karl Weitzmann (1767—1328) in die Litteratur
eingeführt worden ist. Als kleine Probe stehe hier: „Der uni Herr Pfarrer":


Wia gfällt der denn der uni Herr Pfarr? —
Des ischt mer an der recht I —
Ach gang doch, Frieder, sei loi Narr,
Er predigt doch »et schlecht! —
Er ischt halt cha sürchtig klei! —
El! 's Kiel'sei' gobe in Kauf! —
Was Kauf! Soll d' Kanzel ausgfüllt sei,
So ghairt an' Mannschaft naus! —

Grimminger hat zwei Bändchen Gedichte veröffentlicht. Das eine, Mei
Derhoim, erschien zuerst 1868 (Stuttgart, Cotta) als Heimatsgruß des Dichters,
der damals an der Rotterdamer Oper als Heldentenor thätig war, und nun
in fünfter (vermehrter) Auflage ebendaselbst in diesem Jahre. Das andre nennt
sich: Lug' ins Land und erschien 1873. Man hat Grimminger vorgehalten:
seine Gedichte seien hochdeutsch gedacht und erst beim Niederschreiben schwäbisch
geworden. Mit Unrecht. Seine Sprache ist allerdings nicht die des Bauern.
Es ist, wenn man will, Stuttgarter Mundart, oder wie sie der Dichter selbst
in seiner Vorrede zu „Mei Derhoim" bezeichnet, mittelschwäbisch. „Die ersten
Familien Stuttgarts, sagt er, sprechen zu Hause und unter Freunden schwäbisch,
aber dies schwäbisch verhält sich zu dem des Bauern wie Hochdeutsch zum
bloßen Dialekt. Wer es wagt, schwäbisch zu dichten, ist umsomehr gehalten,
zur feinern Nüance zu greifen, als die derbere, wenn sie nicht mit außerordent¬
lichem Takt behandelt wird, wir müssen es gestehen, leicht ins Widerliche, Ge¬
meine fällt. Wenigstens muß, wenn letztere gewählt wird, der Zusammenhang


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[0291] Neuere schwäbische Dialektdichtung. als frisch und originell; seine Sprache zuweilen abstoßend derb, wo sich ohne große Mühe ein schönerer, ebenso bezeichnender Ausdruck finden ließe. Er felle wenig, und mancher Vers, oft mit verzweifelt verkrampfter Wendung, verrät sich nur allzu offen als Reimnot oder Flink — ein Vorwurf, dem doch jeder Dichter möglichst auszuweichen sucht. Das Buch umfaßt drei Abteilungen: „Schnitz und Schrote", „Jetzt gang e ans Brünnele" und „A Portio Ällerloi". Die zweite Abteilung enthält weitaus das Beste der Sammlung. Es ist wie ein gutes Bild, in mißratenem, verschnörkelten Rahmen. Ein Gedicht aber wie „Mei Schatz, ihr Leut, hoißt Frieder", das auch in den „Fliegenden Blättern" erschien, ist geradezu ein Fleck, um nicht mehr zu sagen. Seuffer besitzt unstreitig ein schönes Talent, seine Poesie aber macht den Eindrnck, als ob sie sich gut genug wäre und zufrieden damit, in vergnügter Herrengesellschaft vorgetragen zu werden, während Grimminger, wie seinerzeit Hebel, beansprucht, im traulichen Kreise der Familie Geltung zu gewinnen. Seuffer ist ganz Realist, mit allen Vor¬ zügen, aber auch mit allen Schattenseiten eines solchen, während Grimminger eher Idealist genannt werden kann. Die Sprache Seuffers ist der breite ober- schäbische Dialekt, wie er in der Gegend von Ulm gesprochen wird und von Seb. Salier (1714—1777) und Karl Weitzmann (1767—1328) in die Litteratur eingeführt worden ist. Als kleine Probe stehe hier: „Der uni Herr Pfarrer": Wia gfällt der denn der uni Herr Pfarr? — Des ischt mer an der recht I — Ach gang doch, Frieder, sei loi Narr, Er predigt doch »et schlecht! — Er ischt halt cha sürchtig klei! — El! 's Kiel'sei' gobe in Kauf! — Was Kauf! Soll d' Kanzel ausgfüllt sei, So ghairt an' Mannschaft naus! — Grimminger hat zwei Bändchen Gedichte veröffentlicht. Das eine, Mei Derhoim, erschien zuerst 1868 (Stuttgart, Cotta) als Heimatsgruß des Dichters, der damals an der Rotterdamer Oper als Heldentenor thätig war, und nun in fünfter (vermehrter) Auflage ebendaselbst in diesem Jahre. Das andre nennt sich: Lug' ins Land und erschien 1873. Man hat Grimminger vorgehalten: seine Gedichte seien hochdeutsch gedacht und erst beim Niederschreiben schwäbisch geworden. Mit Unrecht. Seine Sprache ist allerdings nicht die des Bauern. Es ist, wenn man will, Stuttgarter Mundart, oder wie sie der Dichter selbst in seiner Vorrede zu „Mei Derhoim" bezeichnet, mittelschwäbisch. „Die ersten Familien Stuttgarts, sagt er, sprechen zu Hause und unter Freunden schwäbisch, aber dies schwäbisch verhält sich zu dem des Bauern wie Hochdeutsch zum bloßen Dialekt. Wer es wagt, schwäbisch zu dichten, ist umsomehr gehalten, zur feinern Nüance zu greifen, als die derbere, wenn sie nicht mit außerordent¬ lichem Takt behandelt wird, wir müssen es gestehen, leicht ins Widerliche, Ge¬ meine fällt. Wenigstens muß, wenn letztere gewählt wird, der Zusammenhang

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/291>, abgerufen am 02.07.2024.