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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Tagebuchblätter eines Soimtagsphilosophen.

schrieb, sodaß es noch im Anfange unsers Jahrhunderts guter Ton war, einem
deutschen Briefe wenigstens ein französisches Äußere zu geben: " Nonsisur,
g. Naäönioisgllg Konnt-is u. s. w. Die Bildungsstreber fingen eben an, Couvert
uun auch ganz französisch auszusprechen, nicht mehr barbarisch deutsch mit dem
t, sondern z. B. "Cuwärs" zu verlangen beim Papierhändler, als sie Stephan
von oben her vollends abschaffte. Wie weit aber die französische Färbung
unsers höheren Lebens gegangen ist und was davon alles noch unbewußt fest¬
sitzt, kann man z. B. an "Majestät" sehen. Man stutzt wie über eine kleine
grammatische Barbarei, wenn man im 16. Jahrhundert z. B. in den Reichs-
abschieden von "kayserlicher Mayestät" liest, und merkt wohl dann erst, daß das
lateinische Wort jetzt ein französisches Schminkpflüfterchen tragen muß, denn
das ä ist dem französischen ra^ssts zu Gefallen angenommen und herrscht
nun in der ganzen Legion von -- täten, deren grammatisches Kleid ein wun¬
derliches Gemisch von lateinischer, französischer und deutscher Farbe zeigt, ohne
daß wir das empfinden, und dergleichen Zwitterzeug giebt es nicht wenig im
Sprachleben unsrer Bildung. Soll man das verdeckt gehen lassen oder zum
Bewußtsein bringen? also die behagliche Ruhe durch Verdruß und Unruhe
stören? Wer an eine bessere Zukunft denkt, nicht bloß an sein Behagen, in
diesen und in wichtigeren Dingen, wird den Verdruß vorziehen, man wird ihn
aber auch vorläufig los, wenn man die französische Periode in Gedanken rück¬
wärts überspringen lernt. Die Freude an unsrer alten Sprache, in der sich
deutsche Art noch mehr als Herr im eignen Hause zeigt, ist denn auch sichtbar
im Wachsen begriffen, und das Behagen an den alten Formen und Wendungen
mit ihrem kräftigen Eigenleben bringt von selbst zugleich ein Behagen an der
alten Lebensluft mit sich, die daran hängt, an den Gedanken, Strebungen und
Verhältnissen der Vorfahren, in denen man manches Gesunde fühlen lernt,
das wir entbehren. Ist doch auch das ein Zug der Zeit, der mehr oder we¬
niger durch ganz Europa geht und sich immer kräftiger entwickelt.

Dies Zurückdenken in die eigne Vorzeit als Aufblick von der Mühe und
Arbeit der Nähe, die so unvollkommen erscheint, in eine schöne Ferne ist alt.
Wie es bei den Griechen schon in dem homerischen Gedankenkreise der Ilias
zu finden ist, so verrät es sich bei uns schon in der Blütezeit unsrer mittel¬
alterlichen Dichtung z. B. in der Einleitung zum Nibelungenliede von den alten
Mären, die Kunde geben von kühnen Helden alter Zeit. Mehr wissenschaftlich
erscheint es in den Studierstuben der Humanisten im fünfzehnten und sech¬
zehnten Jahrhundert und wird unter Schwankungen doch weiter und tiefer in
jedem folgenden Jahrhundert. Der eigentliche Durchbruch zu maßgebender
Wirkung in das allgemeine Bewußtsein erfolgt durch die Romantik, unter deren
Nachwirkung wir noch stehen, so sehr man sie schon länger als eine über¬
wundene Periode voll ungesunder Richtungen ansieht. Dann aber, unter Mit¬
wirkung des französischen Druckes, der die deutsche Art überhaupt zu erdrücken


Tagebuchblätter eines Soimtagsphilosophen.

schrieb, sodaß es noch im Anfange unsers Jahrhunderts guter Ton war, einem
deutschen Briefe wenigstens ein französisches Äußere zu geben: » Nonsisur,
g. Naäönioisgllg Konnt-is u. s. w. Die Bildungsstreber fingen eben an, Couvert
uun auch ganz französisch auszusprechen, nicht mehr barbarisch deutsch mit dem
t, sondern z. B. „Cuwärs" zu verlangen beim Papierhändler, als sie Stephan
von oben her vollends abschaffte. Wie weit aber die französische Färbung
unsers höheren Lebens gegangen ist und was davon alles noch unbewußt fest¬
sitzt, kann man z. B. an „Majestät" sehen. Man stutzt wie über eine kleine
grammatische Barbarei, wenn man im 16. Jahrhundert z. B. in den Reichs-
abschieden von „kayserlicher Mayestät" liest, und merkt wohl dann erst, daß das
lateinische Wort jetzt ein französisches Schminkpflüfterchen tragen muß, denn
das ä ist dem französischen ra^ssts zu Gefallen angenommen und herrscht
nun in der ganzen Legion von — täten, deren grammatisches Kleid ein wun¬
derliches Gemisch von lateinischer, französischer und deutscher Farbe zeigt, ohne
daß wir das empfinden, und dergleichen Zwitterzeug giebt es nicht wenig im
Sprachleben unsrer Bildung. Soll man das verdeckt gehen lassen oder zum
Bewußtsein bringen? also die behagliche Ruhe durch Verdruß und Unruhe
stören? Wer an eine bessere Zukunft denkt, nicht bloß an sein Behagen, in
diesen und in wichtigeren Dingen, wird den Verdruß vorziehen, man wird ihn
aber auch vorläufig los, wenn man die französische Periode in Gedanken rück¬
wärts überspringen lernt. Die Freude an unsrer alten Sprache, in der sich
deutsche Art noch mehr als Herr im eignen Hause zeigt, ist denn auch sichtbar
im Wachsen begriffen, und das Behagen an den alten Formen und Wendungen
mit ihrem kräftigen Eigenleben bringt von selbst zugleich ein Behagen an der
alten Lebensluft mit sich, die daran hängt, an den Gedanken, Strebungen und
Verhältnissen der Vorfahren, in denen man manches Gesunde fühlen lernt,
das wir entbehren. Ist doch auch das ein Zug der Zeit, der mehr oder we¬
niger durch ganz Europa geht und sich immer kräftiger entwickelt.

Dies Zurückdenken in die eigne Vorzeit als Aufblick von der Mühe und
Arbeit der Nähe, die so unvollkommen erscheint, in eine schöne Ferne ist alt.
Wie es bei den Griechen schon in dem homerischen Gedankenkreise der Ilias
zu finden ist, so verrät es sich bei uns schon in der Blütezeit unsrer mittel¬
alterlichen Dichtung z. B. in der Einleitung zum Nibelungenliede von den alten
Mären, die Kunde geben von kühnen Helden alter Zeit. Mehr wissenschaftlich
erscheint es in den Studierstuben der Humanisten im fünfzehnten und sech¬
zehnten Jahrhundert und wird unter Schwankungen doch weiter und tiefer in
jedem folgenden Jahrhundert. Der eigentliche Durchbruch zu maßgebender
Wirkung in das allgemeine Bewußtsein erfolgt durch die Romantik, unter deren
Nachwirkung wir noch stehen, so sehr man sie schon länger als eine über¬
wundene Periode voll ungesunder Richtungen ansieht. Dann aber, unter Mit¬
wirkung des französischen Druckes, der die deutsche Art überhaupt zu erdrücken


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[0269] Tagebuchblätter eines Soimtagsphilosophen. schrieb, sodaß es noch im Anfange unsers Jahrhunderts guter Ton war, einem deutschen Briefe wenigstens ein französisches Äußere zu geben: » Nonsisur, g. Naäönioisgllg Konnt-is u. s. w. Die Bildungsstreber fingen eben an, Couvert uun auch ganz französisch auszusprechen, nicht mehr barbarisch deutsch mit dem t, sondern z. B. „Cuwärs" zu verlangen beim Papierhändler, als sie Stephan von oben her vollends abschaffte. Wie weit aber die französische Färbung unsers höheren Lebens gegangen ist und was davon alles noch unbewußt fest¬ sitzt, kann man z. B. an „Majestät" sehen. Man stutzt wie über eine kleine grammatische Barbarei, wenn man im 16. Jahrhundert z. B. in den Reichs- abschieden von „kayserlicher Mayestät" liest, und merkt wohl dann erst, daß das lateinische Wort jetzt ein französisches Schminkpflüfterchen tragen muß, denn das ä ist dem französischen ra^ssts zu Gefallen angenommen und herrscht nun in der ganzen Legion von — täten, deren grammatisches Kleid ein wun¬ derliches Gemisch von lateinischer, französischer und deutscher Farbe zeigt, ohne daß wir das empfinden, und dergleichen Zwitterzeug giebt es nicht wenig im Sprachleben unsrer Bildung. Soll man das verdeckt gehen lassen oder zum Bewußtsein bringen? also die behagliche Ruhe durch Verdruß und Unruhe stören? Wer an eine bessere Zukunft denkt, nicht bloß an sein Behagen, in diesen und in wichtigeren Dingen, wird den Verdruß vorziehen, man wird ihn aber auch vorläufig los, wenn man die französische Periode in Gedanken rück¬ wärts überspringen lernt. Die Freude an unsrer alten Sprache, in der sich deutsche Art noch mehr als Herr im eignen Hause zeigt, ist denn auch sichtbar im Wachsen begriffen, und das Behagen an den alten Formen und Wendungen mit ihrem kräftigen Eigenleben bringt von selbst zugleich ein Behagen an der alten Lebensluft mit sich, die daran hängt, an den Gedanken, Strebungen und Verhältnissen der Vorfahren, in denen man manches Gesunde fühlen lernt, das wir entbehren. Ist doch auch das ein Zug der Zeit, der mehr oder we¬ niger durch ganz Europa geht und sich immer kräftiger entwickelt. Dies Zurückdenken in die eigne Vorzeit als Aufblick von der Mühe und Arbeit der Nähe, die so unvollkommen erscheint, in eine schöne Ferne ist alt. Wie es bei den Griechen schon in dem homerischen Gedankenkreise der Ilias zu finden ist, so verrät es sich bei uns schon in der Blütezeit unsrer mittel¬ alterlichen Dichtung z. B. in der Einleitung zum Nibelungenliede von den alten Mären, die Kunde geben von kühnen Helden alter Zeit. Mehr wissenschaftlich erscheint es in den Studierstuben der Humanisten im fünfzehnten und sech¬ zehnten Jahrhundert und wird unter Schwankungen doch weiter und tiefer in jedem folgenden Jahrhundert. Der eigentliche Durchbruch zu maßgebender Wirkung in das allgemeine Bewußtsein erfolgt durch die Romantik, unter deren Nachwirkung wir noch stehen, so sehr man sie schon länger als eine über¬ wundene Periode voll ungesunder Richtungen ansieht. Dann aber, unter Mit¬ wirkung des französischen Druckes, der die deutsche Art überhaupt zu erdrücken

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/269>, abgerufen am 22.07.2024.