Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.Reichsverfassung und Unitarismus. Thätigkeit, zu verhüten, daß nicht durch die Thätigkeit der autonomen Glied¬ Aus dieser Darlegung ergiebt sich mit vollkommener Klarheit, wie eine Reichsverfassung und Unitarismus. Thätigkeit, zu verhüten, daß nicht durch die Thätigkeit der autonomen Glied¬ Aus dieser Darlegung ergiebt sich mit vollkommener Klarheit, wie eine <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0254" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203689"/> <fw type="header" place="top"> Reichsverfassung und Unitarismus.</fw><lb/> <p xml:id="ID_622" prev="#ID_621"> Thätigkeit, zu verhüten, daß nicht durch die Thätigkeit der autonomen Glied¬<lb/> staaten den verfassungsmäßigen Rechten der Reichsgewalt und der ihr vorzugs¬<lb/> weise anvertrauten Pflege der nationalen Gcsamtinteressen Abbruch geschehe.<lb/> In der Mitte zwischen unmittelbarer Verwaltung durch das Reich und auto¬<lb/> nomer Regierung der Einzelstaaten steht ein drittes Verhältnis, welches dem<lb/> der Körperschaften in der modernen Selbstverwaltung analog ist. Die früher<lb/> herrschende Gneistsche Begriffsbestimmung wesentlich verbessernd und berichtigend,<lb/> erblickt die neuere Staatswissenschaft fast durchgehends, im Anschluß an die<lb/> von Paul Laband begründete Theorie, in der Selbstverwaltung eine Selbst¬<lb/> beschränkung des Staates hinsichtlich der Durchführung seiner Aufgaben und<lb/> der Geltendmachung seiner obrigkeitlichen Herrschaftsrechte auf die Aufstellung<lb/> der dafür maßgebenden Normen und auf die Kontrolle ihrer Befolgung, wäh¬<lb/> rend die Handhabung dieser Normen selbst Zwischengliedern übertragen wird.<lb/> Was man als moderne Selbstverwaltung preist und anpreist, ist eine den heu¬<lb/> tigen sozialen Bedürfnissen entsprechende Bildung korporativer Verbände und<lb/> Beauftragung derselben mit obrigkeitlichen Geschäften, die bisher der Staat<lb/> selbst durch eigne Beamte ausgeführt hat. Selbstverwaltung ist demnach die¬<lb/> jenige obrigkeitliche Verwaltung, die nicht durch staatliche Behörden, d. h. also<lb/> nicht durch den Staat selbst, sondern durch ihm zwar untergeordnete, aber<lb/> innerhalb ihres Wirkungskreises selbständige Korporationen oder Einzelpersonen<lb/> versehen wird. Im Reiche ist der Einzelstaat eine innerhalb seines Wirkungs¬<lb/> kreises selbständige Person (Korporation), die unter der souveränen Gesetzgebung<lb/> und Aufsicht des Reiches die Verwaltung führt. Diese dritte Art der Be¬<lb/> ziehung des Reiches zu den Gliedstaaten ist prinzipiell normirt durch Art. 4<lb/> der Reichsverfassung, der die Angelegenheiten aufführt, die „der Beaufsichtigung<lb/> des Reiches und der Gesetzgebung desselben unterliegen." Die wesentliche Ähn¬<lb/> lichkeit, welche in dieser Hinsicht zwischen der Stellung der Einzelstaaten im<lb/> Reiche und der der Selbstverwaltungskörper im einfachen Staate besteht, dürfte<lb/> es rechtfertigen, wenn den erstern auf den Gebieten, auf denen ihre selbständige<lb/> Thätigkeit fortbesteht, aber als der Gesetzgebung des Reiches unterworfen den<lb/> Charakter der Autonomie verloren hat, eine Stellung als Organe der Selbst¬<lb/> verwaltung im Reiche zugeschrieben wird. Das Maß der den Einzelstaaten<lb/> überlassenen Selbstverwaltung ist auf den verschiedenen Gebieten der staatlichen<lb/> Thätigkeit höchst mannigfach bestimmt. Während z. B. die Handhabung der<lb/> Gewerbepolizei den Einzelstaaten vollständig verblieben ist, und das Reich in<lb/> der Gewerbeordnung nur die Nechtsgrundsütze aufgestellt hat, nach denen die<lb/> Verwaltung zu führen ist, ist die Selbstverwaltung der Zölle an feste Formen<lb/> und Regeln gebunden und einer stetigen, unmittelbaren Kontrolle unterworfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_623" next="#ID_624"> Aus dieser Darlegung ergiebt sich mit vollkommener Klarheit, wie eine<lb/> etwa erstrebte Aufsaugung der Einzelstaatsgewalten und der den Gliedstaaten<lb/> zustehenden Befugnisse durch die Reichsgewalt verlaufen müßte. Durch allmäh-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0254]
Reichsverfassung und Unitarismus.
Thätigkeit, zu verhüten, daß nicht durch die Thätigkeit der autonomen Glied¬
staaten den verfassungsmäßigen Rechten der Reichsgewalt und der ihr vorzugs¬
weise anvertrauten Pflege der nationalen Gcsamtinteressen Abbruch geschehe.
In der Mitte zwischen unmittelbarer Verwaltung durch das Reich und auto¬
nomer Regierung der Einzelstaaten steht ein drittes Verhältnis, welches dem
der Körperschaften in der modernen Selbstverwaltung analog ist. Die früher
herrschende Gneistsche Begriffsbestimmung wesentlich verbessernd und berichtigend,
erblickt die neuere Staatswissenschaft fast durchgehends, im Anschluß an die
von Paul Laband begründete Theorie, in der Selbstverwaltung eine Selbst¬
beschränkung des Staates hinsichtlich der Durchführung seiner Aufgaben und
der Geltendmachung seiner obrigkeitlichen Herrschaftsrechte auf die Aufstellung
der dafür maßgebenden Normen und auf die Kontrolle ihrer Befolgung, wäh¬
rend die Handhabung dieser Normen selbst Zwischengliedern übertragen wird.
Was man als moderne Selbstverwaltung preist und anpreist, ist eine den heu¬
tigen sozialen Bedürfnissen entsprechende Bildung korporativer Verbände und
Beauftragung derselben mit obrigkeitlichen Geschäften, die bisher der Staat
selbst durch eigne Beamte ausgeführt hat. Selbstverwaltung ist demnach die¬
jenige obrigkeitliche Verwaltung, die nicht durch staatliche Behörden, d. h. also
nicht durch den Staat selbst, sondern durch ihm zwar untergeordnete, aber
innerhalb ihres Wirkungskreises selbständige Korporationen oder Einzelpersonen
versehen wird. Im Reiche ist der Einzelstaat eine innerhalb seines Wirkungs¬
kreises selbständige Person (Korporation), die unter der souveränen Gesetzgebung
und Aufsicht des Reiches die Verwaltung führt. Diese dritte Art der Be¬
ziehung des Reiches zu den Gliedstaaten ist prinzipiell normirt durch Art. 4
der Reichsverfassung, der die Angelegenheiten aufführt, die „der Beaufsichtigung
des Reiches und der Gesetzgebung desselben unterliegen." Die wesentliche Ähn¬
lichkeit, welche in dieser Hinsicht zwischen der Stellung der Einzelstaaten im
Reiche und der der Selbstverwaltungskörper im einfachen Staate besteht, dürfte
es rechtfertigen, wenn den erstern auf den Gebieten, auf denen ihre selbständige
Thätigkeit fortbesteht, aber als der Gesetzgebung des Reiches unterworfen den
Charakter der Autonomie verloren hat, eine Stellung als Organe der Selbst¬
verwaltung im Reiche zugeschrieben wird. Das Maß der den Einzelstaaten
überlassenen Selbstverwaltung ist auf den verschiedenen Gebieten der staatlichen
Thätigkeit höchst mannigfach bestimmt. Während z. B. die Handhabung der
Gewerbepolizei den Einzelstaaten vollständig verblieben ist, und das Reich in
der Gewerbeordnung nur die Nechtsgrundsütze aufgestellt hat, nach denen die
Verwaltung zu führen ist, ist die Selbstverwaltung der Zölle an feste Formen
und Regeln gebunden und einer stetigen, unmittelbaren Kontrolle unterworfen.
Aus dieser Darlegung ergiebt sich mit vollkommener Klarheit, wie eine
etwa erstrebte Aufsaugung der Einzelstaatsgewalten und der den Gliedstaaten
zustehenden Befugnisse durch die Reichsgewalt verlaufen müßte. Durch allmäh-
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