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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

Schwäche und seiner Schmach entrissen worden waren. Und außer dem
unversöhnlichen Hasse Frankreichs, den man sich sicher zugezogen hätte, hätte
man die höchst lästige und drückende Grcnzhut gegen den ewig unruhigen
Nachbar im Westen auf sich nehmen müssen. Davon aber wollte man in der
Hofburg erst recht nichts wissen. Jene Grenzhut, wie man später sagte, die
"Wacht am Rhein," wollte man gern Preußen überlassen; dazu wares gut genug
mit seinem scharfen Schwerte, wenn auch der damals schwache Staat stöhnte
unter der schweren Rüstung, die ihm diese heilige Pflicht gegen Deutschland
aufzwang. Wenn es dazu noch gelang, ihm eine möglichst schwache militärische
Stellung am Rheine zu geben, ihm z. B., von Metz und Straßburg zu schwei¬
gen, sogar den festen Waffenplatz Mainz vorzuenthalten, so feierte die Metter-
nichsche Staatskunst ihren höchsten Triumph. Die österreichische Selbstsuchts"
politik hatte den Verlust von Elsaß und Lothringen verschuldet; diese selbige
Politik verhinderte ihre Zurücknahme nach den Befreiungskriegen, und der
beständige Hintergedanke dieser Politik war das unausrottbare Mißtrauen und
der Haß gegen Preußen, die Eifersucht auf den jugendkräftigen Nebenbuhler.

Erwägungen ganz ähnlicher Art waren es, welche die k. k. Regierung und
ihren Leiter Metternich veranlaßten, kein Gewicht auf die Wiedererlangung
der meisten vorderösterreichischen Lande zu legen. Das wichtigste Gebiet, um
dessen Besitz es sich hätte handeln können, war der Breisgau mit der Ortenau,
dessen Bewohner gern unter die altgewohnte kaiserliche Herrschaft zurückgekehrt
wären und bis auf den heutigen Tag noch meistens die lebhaftesten Sym¬
pathien sür Österreich bewahrt haben. Aber dieser Besitz lag wieder in der
unmittelbaren Nachbarschaft Frankreichs, und von der Grenzhut dieser Macht
gegenüber wollte Kaiser Franz und wollten seine Minister durchaus nichts
wissen. Eine Zurückforderung der vorderösterreichischen Lande, die nur auf
Kosten der süddeutschen Nheinbundsstaaten hätte erfüllt werden können, welche
man sich eben durch die Zusicherung der Souveränität und ihres Gebietes zu
Freunden gemacht hatte, hätte dieser Freundschaft einen unheilbaren Stoß
gegeben. Das mußte vermieden werden; denn diese vormaligen Rhcinbunds-
fürsten hatte man nötig, um sich durch sie eine Mehrheit am Bundestage zu
sichern und sich also ein Übergewicht über Preußen zu verschaffen und die Lei¬
tung des deutschen Bundes stets in Händen zu behalten. Das waren Gründe,
gewichtig genug, um von der Wiedergewinnung jener zersplitterten Gebietsteile
abzusehen.

Drei Gesichtspunkte waren bei dem Wiederaufbau des österreichischen
Staatsgebietes maß- und ausschlaggebend. Erstens wollte Österreich um jeden
Preis die oberste Leitung der deutschen Angelegenheiten für sich selbst behalten,
auf die es im Rückblicke auf die lange Reihe der Kaiser aus den Geschlechtern
Habsburg und Lothringen ein unbestreitbares, überliefertes Recht zu haben
glaubte. Dazu stützte es sich auf die mittel- und kleinstaatlichen Dynastien und


Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands.

Schwäche und seiner Schmach entrissen worden waren. Und außer dem
unversöhnlichen Hasse Frankreichs, den man sich sicher zugezogen hätte, hätte
man die höchst lästige und drückende Grcnzhut gegen den ewig unruhigen
Nachbar im Westen auf sich nehmen müssen. Davon aber wollte man in der
Hofburg erst recht nichts wissen. Jene Grenzhut, wie man später sagte, die
„Wacht am Rhein," wollte man gern Preußen überlassen; dazu wares gut genug
mit seinem scharfen Schwerte, wenn auch der damals schwache Staat stöhnte
unter der schweren Rüstung, die ihm diese heilige Pflicht gegen Deutschland
aufzwang. Wenn es dazu noch gelang, ihm eine möglichst schwache militärische
Stellung am Rheine zu geben, ihm z. B., von Metz und Straßburg zu schwei¬
gen, sogar den festen Waffenplatz Mainz vorzuenthalten, so feierte die Metter-
nichsche Staatskunst ihren höchsten Triumph. Die österreichische Selbstsuchts"
politik hatte den Verlust von Elsaß und Lothringen verschuldet; diese selbige
Politik verhinderte ihre Zurücknahme nach den Befreiungskriegen, und der
beständige Hintergedanke dieser Politik war das unausrottbare Mißtrauen und
der Haß gegen Preußen, die Eifersucht auf den jugendkräftigen Nebenbuhler.

Erwägungen ganz ähnlicher Art waren es, welche die k. k. Regierung und
ihren Leiter Metternich veranlaßten, kein Gewicht auf die Wiedererlangung
der meisten vorderösterreichischen Lande zu legen. Das wichtigste Gebiet, um
dessen Besitz es sich hätte handeln können, war der Breisgau mit der Ortenau,
dessen Bewohner gern unter die altgewohnte kaiserliche Herrschaft zurückgekehrt
wären und bis auf den heutigen Tag noch meistens die lebhaftesten Sym¬
pathien sür Österreich bewahrt haben. Aber dieser Besitz lag wieder in der
unmittelbaren Nachbarschaft Frankreichs, und von der Grenzhut dieser Macht
gegenüber wollte Kaiser Franz und wollten seine Minister durchaus nichts
wissen. Eine Zurückforderung der vorderösterreichischen Lande, die nur auf
Kosten der süddeutschen Nheinbundsstaaten hätte erfüllt werden können, welche
man sich eben durch die Zusicherung der Souveränität und ihres Gebietes zu
Freunden gemacht hatte, hätte dieser Freundschaft einen unheilbaren Stoß
gegeben. Das mußte vermieden werden; denn diese vormaligen Rhcinbunds-
fürsten hatte man nötig, um sich durch sie eine Mehrheit am Bundestage zu
sichern und sich also ein Übergewicht über Preußen zu verschaffen und die Lei¬
tung des deutschen Bundes stets in Händen zu behalten. Das waren Gründe,
gewichtig genug, um von der Wiedergewinnung jener zersplitterten Gebietsteile
abzusehen.

Drei Gesichtspunkte waren bei dem Wiederaufbau des österreichischen
Staatsgebietes maß- und ausschlaggebend. Erstens wollte Österreich um jeden
Preis die oberste Leitung der deutschen Angelegenheiten für sich selbst behalten,
auf die es im Rückblicke auf die lange Reihe der Kaiser aus den Geschlechtern
Habsburg und Lothringen ein unbestreitbares, überliefertes Recht zu haben
glaubte. Dazu stützte es sich auf die mittel- und kleinstaatlichen Dynastien und


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[0228] Die Gebietsentwicklung der Linzelstaaten Deutschlands. Schwäche und seiner Schmach entrissen worden waren. Und außer dem unversöhnlichen Hasse Frankreichs, den man sich sicher zugezogen hätte, hätte man die höchst lästige und drückende Grcnzhut gegen den ewig unruhigen Nachbar im Westen auf sich nehmen müssen. Davon aber wollte man in der Hofburg erst recht nichts wissen. Jene Grenzhut, wie man später sagte, die „Wacht am Rhein," wollte man gern Preußen überlassen; dazu wares gut genug mit seinem scharfen Schwerte, wenn auch der damals schwache Staat stöhnte unter der schweren Rüstung, die ihm diese heilige Pflicht gegen Deutschland aufzwang. Wenn es dazu noch gelang, ihm eine möglichst schwache militärische Stellung am Rheine zu geben, ihm z. B., von Metz und Straßburg zu schwei¬ gen, sogar den festen Waffenplatz Mainz vorzuenthalten, so feierte die Metter- nichsche Staatskunst ihren höchsten Triumph. Die österreichische Selbstsuchts" politik hatte den Verlust von Elsaß und Lothringen verschuldet; diese selbige Politik verhinderte ihre Zurücknahme nach den Befreiungskriegen, und der beständige Hintergedanke dieser Politik war das unausrottbare Mißtrauen und der Haß gegen Preußen, die Eifersucht auf den jugendkräftigen Nebenbuhler. Erwägungen ganz ähnlicher Art waren es, welche die k. k. Regierung und ihren Leiter Metternich veranlaßten, kein Gewicht auf die Wiedererlangung der meisten vorderösterreichischen Lande zu legen. Das wichtigste Gebiet, um dessen Besitz es sich hätte handeln können, war der Breisgau mit der Ortenau, dessen Bewohner gern unter die altgewohnte kaiserliche Herrschaft zurückgekehrt wären und bis auf den heutigen Tag noch meistens die lebhaftesten Sym¬ pathien sür Österreich bewahrt haben. Aber dieser Besitz lag wieder in der unmittelbaren Nachbarschaft Frankreichs, und von der Grenzhut dieser Macht gegenüber wollte Kaiser Franz und wollten seine Minister durchaus nichts wissen. Eine Zurückforderung der vorderösterreichischen Lande, die nur auf Kosten der süddeutschen Nheinbundsstaaten hätte erfüllt werden können, welche man sich eben durch die Zusicherung der Souveränität und ihres Gebietes zu Freunden gemacht hatte, hätte dieser Freundschaft einen unheilbaren Stoß gegeben. Das mußte vermieden werden; denn diese vormaligen Rhcinbunds- fürsten hatte man nötig, um sich durch sie eine Mehrheit am Bundestage zu sichern und sich also ein Übergewicht über Preußen zu verschaffen und die Lei¬ tung des deutschen Bundes stets in Händen zu behalten. Das waren Gründe, gewichtig genug, um von der Wiedergewinnung jener zersplitterten Gebietsteile abzusehen. Drei Gesichtspunkte waren bei dem Wiederaufbau des österreichischen Staatsgebietes maß- und ausschlaggebend. Erstens wollte Österreich um jeden Preis die oberste Leitung der deutschen Angelegenheiten für sich selbst behalten, auf die es im Rückblicke auf die lange Reihe der Kaiser aus den Geschlechtern Habsburg und Lothringen ein unbestreitbares, überliefertes Recht zu haben glaubte. Dazu stützte es sich auf die mittel- und kleinstaatlichen Dynastien und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/228>, abgerufen am 04.07.2024.