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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Gebietsentwicklnng der Linzelstaatcn Deutschlands.

Geld kosten; aber bei der gänzlich zerrütteten Finanzlage Österreichs, die ja
altüberliefert und althergebracht ist, kam es auf einige Millionen Schulden mehr
gar nicht an, und die herrlichen Zauberfeste, die den fremden Fürsten und ihren
Staatsmännern und Feldherren gegeben wurden, brachten politisch den größten
Nutzen. Bei schwelgerischen Mahlen, im hellerleuchteten Ballsaale sicherte sich
Metternich den Erfolg seiner listig eingefädelten Pläne, der dann später am
grünen Tische mühelos eingeheimst wurde. Durch seine hervorragende gesell¬
schaftliche Gewandtheit trug er wesentlich dazu bei, die Leitung aller wichtigen
Angelegenheiten in seine Hände zu bringen. Osterreich war unbedingt die ton¬
angebende und führende Macht geworden, und es behielt diese Stellung, bis
Kaiser Nikolaus vou Rußland durch seine unbeugsame und unbändige Willens¬
und Thatkraft sich zum Schiedsrichter im europäischen Areopag machte. In
den deutscheu Angelegenheiten spielte der Kaiserstaat diese Rolle so lange weiter,
bis endlich unter den Donnern des Nevolutionsjcchres 1848 die Metternichsche
Wirtschaft ein Ende mit Schrecken fand, derart, daß nicht bloß dieses ver¬
ruchte System völlig "verkracht" war, sondern daß auch der ganze Staat aus
einander fliegen zu sollen schien.

Diese vorteilhafte Stellung auf dem Wiener Kongreß, die wir eben kurz
gekennzeichnet haben, hätte Österreich unzweifelhaft in den Stand gesetzt, alle
seine frühern Besitzungen, die in den Stürmen der Zeit abgerissen waren,
wieder zu gewinnen, wenn es nur gewollt hätte. Zunächst konnte es unzweifelhaft
Lothringen, das Stammland seiner Dynastie, und seine alten Gebiete im Elsaß
wieder erhalten und damit zugleich das, was man jetzt das Reichsland nennt,
damals schon für Deutschland und das Deutschtum retten. Um dieses Ziel zu
erreichen, bedürfte es allerdings einer aufrichtigen und rückhaltlosen Verstän¬
digung mit Preußen; man mußte, kurz gesagt, diesem Staate gegenüber ein
ehrliches Spiel spielen. Nußland hätte sicher gegen diese Schwächung Frank¬
reichs nichts einzuwenden gehabt; England stand den meisten derartigen fest¬
ländischen Fragen kühl und gleichgiltig gegenüber, und das besiegte Frankreich
konnte dieser nur allzu berechtigten Forderung der deutschen Mächte gar keinen
Widerstand entgegensetzen, wenn sie nur durch ein kräftiges Vorgehen, durch
eine feste und entschiedene Haltung unterstützt wurde. Aber von einer redlichen
Aussöhnung mit Preußen wollte man in Wien nichts wissen; das Empor¬
kommen dieses deutschen Kernstcmtcs und damit die Kräftigung des deutschen
Gedankens sollten um jeden Preis zurückgehalten werden. Und da man sich
hierzu in der Hofburg allein nicht stark genug fühlte, so bedürfte man der
Hilfe des alten Erbfeindes, Frankreichs. Die Freundschaft mit diesem eben erst
wieder hergestellten Staate, die Freundschaft der beiden würdigen Gesinnungs¬
genossen, des Herrn von Metternich und des Herrn von Talleyrand, wäre
unwiderruflich in die Brüche gegangen, wenn man auf der Herausgabe jener
Lande fest bestanden hätte, die einst dem alten Reiche in den Zeiten seiner


Die Gebietsentwicklnng der Linzelstaatcn Deutschlands.

Geld kosten; aber bei der gänzlich zerrütteten Finanzlage Österreichs, die ja
altüberliefert und althergebracht ist, kam es auf einige Millionen Schulden mehr
gar nicht an, und die herrlichen Zauberfeste, die den fremden Fürsten und ihren
Staatsmännern und Feldherren gegeben wurden, brachten politisch den größten
Nutzen. Bei schwelgerischen Mahlen, im hellerleuchteten Ballsaale sicherte sich
Metternich den Erfolg seiner listig eingefädelten Pläne, der dann später am
grünen Tische mühelos eingeheimst wurde. Durch seine hervorragende gesell¬
schaftliche Gewandtheit trug er wesentlich dazu bei, die Leitung aller wichtigen
Angelegenheiten in seine Hände zu bringen. Osterreich war unbedingt die ton¬
angebende und führende Macht geworden, und es behielt diese Stellung, bis
Kaiser Nikolaus vou Rußland durch seine unbeugsame und unbändige Willens¬
und Thatkraft sich zum Schiedsrichter im europäischen Areopag machte. In
den deutscheu Angelegenheiten spielte der Kaiserstaat diese Rolle so lange weiter,
bis endlich unter den Donnern des Nevolutionsjcchres 1848 die Metternichsche
Wirtschaft ein Ende mit Schrecken fand, derart, daß nicht bloß dieses ver¬
ruchte System völlig „verkracht" war, sondern daß auch der ganze Staat aus
einander fliegen zu sollen schien.

Diese vorteilhafte Stellung auf dem Wiener Kongreß, die wir eben kurz
gekennzeichnet haben, hätte Österreich unzweifelhaft in den Stand gesetzt, alle
seine frühern Besitzungen, die in den Stürmen der Zeit abgerissen waren,
wieder zu gewinnen, wenn es nur gewollt hätte. Zunächst konnte es unzweifelhaft
Lothringen, das Stammland seiner Dynastie, und seine alten Gebiete im Elsaß
wieder erhalten und damit zugleich das, was man jetzt das Reichsland nennt,
damals schon für Deutschland und das Deutschtum retten. Um dieses Ziel zu
erreichen, bedürfte es allerdings einer aufrichtigen und rückhaltlosen Verstän¬
digung mit Preußen; man mußte, kurz gesagt, diesem Staate gegenüber ein
ehrliches Spiel spielen. Nußland hätte sicher gegen diese Schwächung Frank¬
reichs nichts einzuwenden gehabt; England stand den meisten derartigen fest¬
ländischen Fragen kühl und gleichgiltig gegenüber, und das besiegte Frankreich
konnte dieser nur allzu berechtigten Forderung der deutschen Mächte gar keinen
Widerstand entgegensetzen, wenn sie nur durch ein kräftiges Vorgehen, durch
eine feste und entschiedene Haltung unterstützt wurde. Aber von einer redlichen
Aussöhnung mit Preußen wollte man in Wien nichts wissen; das Empor¬
kommen dieses deutschen Kernstcmtcs und damit die Kräftigung des deutschen
Gedankens sollten um jeden Preis zurückgehalten werden. Und da man sich
hierzu in der Hofburg allein nicht stark genug fühlte, so bedürfte man der
Hilfe des alten Erbfeindes, Frankreichs. Die Freundschaft mit diesem eben erst
wieder hergestellten Staate, die Freundschaft der beiden würdigen Gesinnungs¬
genossen, des Herrn von Metternich und des Herrn von Talleyrand, wäre
unwiderruflich in die Brüche gegangen, wenn man auf der Herausgabe jener
Lande fest bestanden hätte, die einst dem alten Reiche in den Zeiten seiner


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/227>, abgerufen am 04.07.2024.