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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Die Frcihandelslehre in Geschichte und Wissenschaft.

machen, daß die Begründer der deutschen Freihandelsschule durch englisches Geld
zu ihren wirtschaftspolitischen Überzeugungen geführt worden seien. Vor einer
solchen Beschuldigung schützt sie schon ihre persönliche Ehrenhaftigkeit. Es be¬
dürfte solcher Mittel in unserm kosmopolitisch angelegten Deutschland nicht.
Wann haben sich nicht die Deutschen auf die Seite des Weltbürgertums ge¬
stellt? Wir müssen es als ein Glück schätzen, daß heute die wiedererlangte
nationale Einheit dem flachen Kosmopolitismus immer mehr den Boden im
deutschen Volke entzieht, zum großen Bedauern der heutigen deutschen Frei¬
handelspartei, die nicht müde wird, der Kräftigung des Volksbewußtseins durch
alle Mittel entgegenzuarbeiten. Es mutet uns sonderbar an, wenn wir auf
solche freihändlerische Stoßseufzer über die abnehmende weltbürgerliche Schwär¬
merei in Deutschland treffen. Ein solcher ist uns zufällig in einem Schriftchen
des bekannten Reichstagsabgeordneten Dr. Th, Barth*) aufgestoßen, das sich
weniger durch Tiefe als durch die bei dem Verfasser gewohnte Leidenschaftlich¬
keit der Sprache auszeichnet. Die Beobachtung erfüllt ihn mit Wehmut, daß
sich im neuen Reiche eine Verachtung alles Kosmopolitischen bemerkbar mache.
"Nirgends werden heute internationale Kongresse mit weniger Sympathie be¬
grüßt und mit mehr Mißtrauen betrachtet, als gerade in Deutschland. Man
läßt sie sich schlimmstenfalls gefallen, wenn es sich um rein praktische Ziele, um
Weltpostvereine und dergl. handelt, sobald sie aber eine idealere Richtung an¬
nehmen oder gar das Wort Friedensliga fällt, so hält sich jeder deutsche Kommis
(Ja wenn es nur dieser wäre!) für berufen, über derartige Schwärmereien die
Nase zu rümpfen."

In Deutschland hatte die Sandhase Lehre schon sehr früh Boden gefaßt
und sehr bald auf die Verwaltung des preußischen Staates Einfluß gewonnen.
Die wirtschaftlichen Reformen, die nach den großen Niederlagen in Angriff ge¬
nommen wurden, beruhten auf einem gesunden wirtschaftlichen Liberalismus,
der dem darniederliegenden Staate neues Leben einhauchte. Nicht so heil¬
bringend war dem Staate die ziemlich freihändlerische Zollpolitik, die nach der
Aufhebung der Kontinentalsperre die in England aufgehäuften ungeheuern Waren



Dazu kam das Interesse Englands und der Trödler der englischen Industrie in den deutschen
See- und Meßstädten, Bekannt ist, welche Mittel das englische Ministerium, nie gewohnt zu
knickern, wenn es seine Handelsinteressen zu fördern gilt, in seinem ssorst ssrvios wons?
besitzt, um allerwärts im Auslande der öffentlichen Meinung unter die Arme zu greifen. Eine
Schar vou Korrespondenzen und Flugschriften, von Hamburg und Bremen, von Leipzig und
Frankfurt ausgegangen, erschien gegen das unvernünftige Begehren der deutschen Fabrikanten
um gemeinschaftlichen Zollschutz und gegen ihren Ratgeber sLW, dem insbesondre mit harten
und höhnischen Worten vorgeworfen ward, er kenne nicht einmal die ersten von allen wissen¬
schaftlich Gebildeten anerkannten Grundsätze der politischen Oekonomie, oder habe doch nicht
Kopf genug, sie zu fassen."
*) Zur Entwickelungsgeschichte der heutigen reaktionären Wirtschaftspolitik, Berlin 1879.
Die Frcihandelslehre in Geschichte und Wissenschaft.

machen, daß die Begründer der deutschen Freihandelsschule durch englisches Geld
zu ihren wirtschaftspolitischen Überzeugungen geführt worden seien. Vor einer
solchen Beschuldigung schützt sie schon ihre persönliche Ehrenhaftigkeit. Es be¬
dürfte solcher Mittel in unserm kosmopolitisch angelegten Deutschland nicht.
Wann haben sich nicht die Deutschen auf die Seite des Weltbürgertums ge¬
stellt? Wir müssen es als ein Glück schätzen, daß heute die wiedererlangte
nationale Einheit dem flachen Kosmopolitismus immer mehr den Boden im
deutschen Volke entzieht, zum großen Bedauern der heutigen deutschen Frei¬
handelspartei, die nicht müde wird, der Kräftigung des Volksbewußtseins durch
alle Mittel entgegenzuarbeiten. Es mutet uns sonderbar an, wenn wir auf
solche freihändlerische Stoßseufzer über die abnehmende weltbürgerliche Schwär¬
merei in Deutschland treffen. Ein solcher ist uns zufällig in einem Schriftchen
des bekannten Reichstagsabgeordneten Dr. Th, Barth*) aufgestoßen, das sich
weniger durch Tiefe als durch die bei dem Verfasser gewohnte Leidenschaftlich¬
keit der Sprache auszeichnet. Die Beobachtung erfüllt ihn mit Wehmut, daß
sich im neuen Reiche eine Verachtung alles Kosmopolitischen bemerkbar mache.
„Nirgends werden heute internationale Kongresse mit weniger Sympathie be¬
grüßt und mit mehr Mißtrauen betrachtet, als gerade in Deutschland. Man
läßt sie sich schlimmstenfalls gefallen, wenn es sich um rein praktische Ziele, um
Weltpostvereine und dergl. handelt, sobald sie aber eine idealere Richtung an¬
nehmen oder gar das Wort Friedensliga fällt, so hält sich jeder deutsche Kommis
(Ja wenn es nur dieser wäre!) für berufen, über derartige Schwärmereien die
Nase zu rümpfen."

In Deutschland hatte die Sandhase Lehre schon sehr früh Boden gefaßt
und sehr bald auf die Verwaltung des preußischen Staates Einfluß gewonnen.
Die wirtschaftlichen Reformen, die nach den großen Niederlagen in Angriff ge¬
nommen wurden, beruhten auf einem gesunden wirtschaftlichen Liberalismus,
der dem darniederliegenden Staate neues Leben einhauchte. Nicht so heil¬
bringend war dem Staate die ziemlich freihändlerische Zollpolitik, die nach der
Aufhebung der Kontinentalsperre die in England aufgehäuften ungeheuern Waren



Dazu kam das Interesse Englands und der Trödler der englischen Industrie in den deutschen
See- und Meßstädten, Bekannt ist, welche Mittel das englische Ministerium, nie gewohnt zu
knickern, wenn es seine Handelsinteressen zu fördern gilt, in seinem ssorst ssrvios wons?
besitzt, um allerwärts im Auslande der öffentlichen Meinung unter die Arme zu greifen. Eine
Schar vou Korrespondenzen und Flugschriften, von Hamburg und Bremen, von Leipzig und
Frankfurt ausgegangen, erschien gegen das unvernünftige Begehren der deutschen Fabrikanten
um gemeinschaftlichen Zollschutz und gegen ihren Ratgeber sLW, dem insbesondre mit harten
und höhnischen Worten vorgeworfen ward, er kenne nicht einmal die ersten von allen wissen¬
schaftlich Gebildeten anerkannten Grundsätze der politischen Oekonomie, oder habe doch nicht
Kopf genug, sie zu fassen."
*) Zur Entwickelungsgeschichte der heutigen reaktionären Wirtschaftspolitik, Berlin 1879.
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[0219] Die Frcihandelslehre in Geschichte und Wissenschaft. machen, daß die Begründer der deutschen Freihandelsschule durch englisches Geld zu ihren wirtschaftspolitischen Überzeugungen geführt worden seien. Vor einer solchen Beschuldigung schützt sie schon ihre persönliche Ehrenhaftigkeit. Es be¬ dürfte solcher Mittel in unserm kosmopolitisch angelegten Deutschland nicht. Wann haben sich nicht die Deutschen auf die Seite des Weltbürgertums ge¬ stellt? Wir müssen es als ein Glück schätzen, daß heute die wiedererlangte nationale Einheit dem flachen Kosmopolitismus immer mehr den Boden im deutschen Volke entzieht, zum großen Bedauern der heutigen deutschen Frei¬ handelspartei, die nicht müde wird, der Kräftigung des Volksbewußtseins durch alle Mittel entgegenzuarbeiten. Es mutet uns sonderbar an, wenn wir auf solche freihändlerische Stoßseufzer über die abnehmende weltbürgerliche Schwär¬ merei in Deutschland treffen. Ein solcher ist uns zufällig in einem Schriftchen des bekannten Reichstagsabgeordneten Dr. Th, Barth*) aufgestoßen, das sich weniger durch Tiefe als durch die bei dem Verfasser gewohnte Leidenschaftlich¬ keit der Sprache auszeichnet. Die Beobachtung erfüllt ihn mit Wehmut, daß sich im neuen Reiche eine Verachtung alles Kosmopolitischen bemerkbar mache. „Nirgends werden heute internationale Kongresse mit weniger Sympathie be¬ grüßt und mit mehr Mißtrauen betrachtet, als gerade in Deutschland. Man läßt sie sich schlimmstenfalls gefallen, wenn es sich um rein praktische Ziele, um Weltpostvereine und dergl. handelt, sobald sie aber eine idealere Richtung an¬ nehmen oder gar das Wort Friedensliga fällt, so hält sich jeder deutsche Kommis (Ja wenn es nur dieser wäre!) für berufen, über derartige Schwärmereien die Nase zu rümpfen." In Deutschland hatte die Sandhase Lehre schon sehr früh Boden gefaßt und sehr bald auf die Verwaltung des preußischen Staates Einfluß gewonnen. Die wirtschaftlichen Reformen, die nach den großen Niederlagen in Angriff ge¬ nommen wurden, beruhten auf einem gesunden wirtschaftlichen Liberalismus, der dem darniederliegenden Staate neues Leben einhauchte. Nicht so heil¬ bringend war dem Staate die ziemlich freihändlerische Zollpolitik, die nach der Aufhebung der Kontinentalsperre die in England aufgehäuften ungeheuern Waren Dazu kam das Interesse Englands und der Trödler der englischen Industrie in den deutschen See- und Meßstädten, Bekannt ist, welche Mittel das englische Ministerium, nie gewohnt zu knickern, wenn es seine Handelsinteressen zu fördern gilt, in seinem ssorst ssrvios wons? besitzt, um allerwärts im Auslande der öffentlichen Meinung unter die Arme zu greifen. Eine Schar vou Korrespondenzen und Flugschriften, von Hamburg und Bremen, von Leipzig und Frankfurt ausgegangen, erschien gegen das unvernünftige Begehren der deutschen Fabrikanten um gemeinschaftlichen Zollschutz und gegen ihren Ratgeber sLW, dem insbesondre mit harten und höhnischen Worten vorgeworfen ward, er kenne nicht einmal die ersten von allen wissen¬ schaftlich Gebildeten anerkannten Grundsätze der politischen Oekonomie, oder habe doch nicht Kopf genug, sie zu fassen." *) Zur Entwickelungsgeschichte der heutigen reaktionären Wirtschaftspolitik, Berlin 1879.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/219>, abgerufen am 22.07.2024.