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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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zu spottbilligen Preisen auf den Markt brachte. Darunter hatte nicht nur die
preußische, sondern die gesamte deutsche Industrie zu leiden. Die Volkswirt¬
schaftslehre an unsern deutschen Hochschulen pflegte noch Grundsätze Smiths
mit mehr oder weniger Hinneigung zur englischen Freihandclsschule, als es
den Industriellen bereits gelungen war, in der Mitte der vierziger Jahre die
bis dahin gemäßigte Schutzzollpolitik des Zollvereins nach der Richtung ent¬
schiedener Schutzzölle zu beeinflusse". Damit war das Zeichen zur Begrün¬
dung einer deutschen Freihandelspartei gegeben. Sie betrat ebenfalls den
ihr zunächstliegenden Weg der Agitation und erinnerte praktisch damit an
Cobden, in ihrer Lehre aber lehnte sie sich an Bastiat, einen Nachtreter
der englischen Freihandelsschule, an. Es sind noch heute bekannte Namen,
deren Träger den Grund zu dieser selbständigen freihändlerischen Richtung
in Deutschland gelegt und die sich in manchen Beziehungen um unser Vater¬
land verdient gemacht, die aber auch ihre doktrinäre Einseitigkeit im Laufe
der Jahre stark gemildert haben. Sie hielten sich insbesondre wenigstens von
einer Ausartung der englischen Manchesterpartei frei, den Internationalismus
als Antinativnalismns aufzufassen. Nach dem Zeugnis Roschers haben die
bedeutendste" Mitglieder der deutschen Freihandelsschule immerhin einen Eifer
für die Größe und Würde unsers Vaterlandes bethätigt, wie er sich von dem
Mammonsdienste der englischen Fabriktheoretiker in Arc's Sinn aufs rühm¬
lichste unterscheidet. Da ist zuerst Schulze-Delitzsch. der sich unsterbliche Ver¬
dienste um die wirtschaftliche Selbsterziehung des deutschen Volkes erworben
hat; ferner ist als der bedeutendste Theoretiker unter ihnen I. Prince-Smith
zu nennen, ein Engländer, der ein Menschenalter hindurch einen Lehrstuhl an
der Berliner Universität inne hatte. Sodann haben sich noch einen guten
Namen gemacht I. Faucher, Viktor Böhmert, der heute durch seine sozialpoli¬
tischen Interessen in scharfem Gegensatz zu den Prinzipien der extremen Frei¬
handelspartei steht, A. Emminghaus, Max Wirth, der selbst für Staatseisen¬
bahnen auftritt, und H. Rentzsch, der verdienstvolle Herausgeber des volkswirt¬
schaftlichen Handwörterbuches, worin sogar ein Adolf Wagner als Mitarbeiter
beteiligt war und sich dabei großen wissenschaftlichen Ruhm erworben hat.

Den Vereinigungspunkt der Anhänger dieser Richtung bildete der "Kongreß
deutscher Volkswirte." der heute gegenüber dem "Verein für Sozialpolitik" nur
noch mühsam die Beachtung weiterer Kreise auf sich zu lenken vermag. Mehr
als es durch den Kongreß möglich ist zu wirken, suchen unsre parlamentarischen
Freihändler für den absoluten Freihandel im Reichstage und durch ihn Propa¬
ganda zu machen. Freilich wägen unsre gegenwärtigen parlamentarischen Frei¬
händler zwischen den oberflächlichen freihändlerischen Extremen der englischen
Schule und des durchaus nicht tiefen und originellen Bastiat und den gemäßig¬
teren Anschauungen der Begründer der deutschen Freihandelsschule nicht mehr
so genau ab. Ihr geringer praktischer Erfolg erklärt sich aber auch aus dem
sachlichen Grunde, weil unsre wirtschaftliche Entwickelung und Lage heute noch
nicht den Übergang zum vollkommenen Freihandel zuläßt.

(Schluß folgt.)




zu spottbilligen Preisen auf den Markt brachte. Darunter hatte nicht nur die
preußische, sondern die gesamte deutsche Industrie zu leiden. Die Volkswirt¬
schaftslehre an unsern deutschen Hochschulen pflegte noch Grundsätze Smiths
mit mehr oder weniger Hinneigung zur englischen Freihandclsschule, als es
den Industriellen bereits gelungen war, in der Mitte der vierziger Jahre die
bis dahin gemäßigte Schutzzollpolitik des Zollvereins nach der Richtung ent¬
schiedener Schutzzölle zu beeinflusse». Damit war das Zeichen zur Begrün¬
dung einer deutschen Freihandelspartei gegeben. Sie betrat ebenfalls den
ihr zunächstliegenden Weg der Agitation und erinnerte praktisch damit an
Cobden, in ihrer Lehre aber lehnte sie sich an Bastiat, einen Nachtreter
der englischen Freihandelsschule, an. Es sind noch heute bekannte Namen,
deren Träger den Grund zu dieser selbständigen freihändlerischen Richtung
in Deutschland gelegt und die sich in manchen Beziehungen um unser Vater¬
land verdient gemacht, die aber auch ihre doktrinäre Einseitigkeit im Laufe
der Jahre stark gemildert haben. Sie hielten sich insbesondre wenigstens von
einer Ausartung der englischen Manchesterpartei frei, den Internationalismus
als Antinativnalismns aufzufassen. Nach dem Zeugnis Roschers haben die
bedeutendste» Mitglieder der deutschen Freihandelsschule immerhin einen Eifer
für die Größe und Würde unsers Vaterlandes bethätigt, wie er sich von dem
Mammonsdienste der englischen Fabriktheoretiker in Arc's Sinn aufs rühm¬
lichste unterscheidet. Da ist zuerst Schulze-Delitzsch. der sich unsterbliche Ver¬
dienste um die wirtschaftliche Selbsterziehung des deutschen Volkes erworben
hat; ferner ist als der bedeutendste Theoretiker unter ihnen I. Prince-Smith
zu nennen, ein Engländer, der ein Menschenalter hindurch einen Lehrstuhl an
der Berliner Universität inne hatte. Sodann haben sich noch einen guten
Namen gemacht I. Faucher, Viktor Böhmert, der heute durch seine sozialpoli¬
tischen Interessen in scharfem Gegensatz zu den Prinzipien der extremen Frei¬
handelspartei steht, A. Emminghaus, Max Wirth, der selbst für Staatseisen¬
bahnen auftritt, und H. Rentzsch, der verdienstvolle Herausgeber des volkswirt¬
schaftlichen Handwörterbuches, worin sogar ein Adolf Wagner als Mitarbeiter
beteiligt war und sich dabei großen wissenschaftlichen Ruhm erworben hat.

Den Vereinigungspunkt der Anhänger dieser Richtung bildete der „Kongreß
deutscher Volkswirte." der heute gegenüber dem „Verein für Sozialpolitik" nur
noch mühsam die Beachtung weiterer Kreise auf sich zu lenken vermag. Mehr
als es durch den Kongreß möglich ist zu wirken, suchen unsre parlamentarischen
Freihändler für den absoluten Freihandel im Reichstage und durch ihn Propa¬
ganda zu machen. Freilich wägen unsre gegenwärtigen parlamentarischen Frei¬
händler zwischen den oberflächlichen freihändlerischen Extremen der englischen
Schule und des durchaus nicht tiefen und originellen Bastiat und den gemäßig¬
teren Anschauungen der Begründer der deutschen Freihandelsschule nicht mehr
so genau ab. Ihr geringer praktischer Erfolg erklärt sich aber auch aus dem
sachlichen Grunde, weil unsre wirtschaftliche Entwickelung und Lage heute noch
nicht den Übergang zum vollkommenen Freihandel zuläßt.

(Schluß folgt.)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/220>, abgerufen am 22.07.2024.