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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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von der Nordlandfahrt bis zur Romfahrt.

Körperschaften, gleichviel ob katholisch oder protestantisch, an die Echtheit der
ausgestellten Reliquien geglaubt haben, wird Wohl kein Mensch, der nicht zum
katholischen Klerus gehört, mit "Ja" beantworten wollen. Dann aber bleibt
nichts anders übrig, als anzunehmen, daß die Genannten auf Wunsch ihrer
Vorgesetzten bei der Eröffnungsfeier erschienen. Solchen Wünschen muß von
leitender Stelle aus entgegengetreten werden, denn sonst pflegt man den sitt¬
lichen Jndifferentismus, wodurch der Wahrheitssinu geschädigt wird. Wenn
O. Jäger in einem öffentlichen Blatte fragte: Was kann von Seiten der Re¬
gierung und was kann überhaupt zur Pflege der Charakterbildung und zur
Förderung des Wahrheitssinnes auf deutschen Universitäten geschehen? so ist
diese Frage deshalb falsch gestellt, weil, wenn auch die Universitäten, und setzen
wir hinzu die Gymnasien alles Mögliche zur Förderung des Wahrheitssinues
thun mögen, ihnen das doch nichts helfen wird, wenn die Teilnahme an solchen
kirchlichen Akten von den Vorgesetzten gewünscht wird.

Wenn "die Aufgabe von kolossaler Größe," welche die Times dem jungen
Kaiser Wilhelm beilegte, sich auf die Erhaltung des Weltfriedens bezieht, so
zeigte es sich bereits bei der Enthüllung des Denkmals von Friedrich Karl in
Frankfurt a. O., daß diese Aufgabe schon durch die Nordlandsfahrt zu einem
guten Teile für die nächste Zukunft gelöst war. Denn die Worte, die der
Kaiser in patriotischer Kraft und jugendlichem Feuer sprach und die die aller-
entschiedenste Verteidigung deutscher Ehre und deutschen Besitzes gelobten, diese
Worte würden vor noch nicht langer Zeit als scharfer Kriegstrompetenstoß auf¬
gefangen worden sein. Jetzt begrüßten sie die englischen und russischen Zei¬
tungen als Friedensworte. Auch hoffte die "Petersburger Zeitung," daß die
deutliche Sprache Kaiser Wilhelms jenseits der Vogesen verstanden werden würde.
Das hoffen wir auch. Jedenfalls sind sie eine ernste Mahnung an die Fran¬
zosen, die Sache sich zweimal zu überlegen, ehe sie den Frieden Deutschlands
und damit den Frieden der Welt stören. Auch haben die Herren, wie bisher
seit Errichtung der Republik, so vornehmlich jetzt gerade genug mit sich zu thun.
Erwähnen wollen wir aber, daß doch einmal während dieses Sommers, näm¬
lich bei den Streiks der Erdarbeiter, die Regierung energisch auftrat; sie schützte
die zur Arbeit bereiten Leute gegen die Agitatoren und ging in derselben Weise
vor, wie unsre Regierung mit dem bekannten Streikerlaß, der von dem Frei¬
sinn seiner Zeit als Avr xws ultrs. aller Reaktion geschildert wurde. Dabei
zeigte sich, was in Frankreich vergessen war, daß Energie das Einzige ist, wo¬
durch eine Regierung und ein Land gegen Agitatoren und deren Anhang
gerettet wird; nur daß diese Energie eine stetige sein muß, woran es freilich
in Frankreich fehlt. Das zeigte sich bald nach diesen Vorgängen an der Angst,
welche dieselbe Regierung an den Tag legte, als der Phrasenheld Boulanger
wieder dreifach in die Kammer gewählt worden war, eine Wahl, die freilich
erklärlich ist, Wenn man weiß, wie in Frankreich mit äußerster Spannung auf


von der Nordlandfahrt bis zur Romfahrt.

Körperschaften, gleichviel ob katholisch oder protestantisch, an die Echtheit der
ausgestellten Reliquien geglaubt haben, wird Wohl kein Mensch, der nicht zum
katholischen Klerus gehört, mit „Ja" beantworten wollen. Dann aber bleibt
nichts anders übrig, als anzunehmen, daß die Genannten auf Wunsch ihrer
Vorgesetzten bei der Eröffnungsfeier erschienen. Solchen Wünschen muß von
leitender Stelle aus entgegengetreten werden, denn sonst pflegt man den sitt¬
lichen Jndifferentismus, wodurch der Wahrheitssinu geschädigt wird. Wenn
O. Jäger in einem öffentlichen Blatte fragte: Was kann von Seiten der Re¬
gierung und was kann überhaupt zur Pflege der Charakterbildung und zur
Förderung des Wahrheitssinnes auf deutschen Universitäten geschehen? so ist
diese Frage deshalb falsch gestellt, weil, wenn auch die Universitäten, und setzen
wir hinzu die Gymnasien alles Mögliche zur Förderung des Wahrheitssinues
thun mögen, ihnen das doch nichts helfen wird, wenn die Teilnahme an solchen
kirchlichen Akten von den Vorgesetzten gewünscht wird.

Wenn „die Aufgabe von kolossaler Größe," welche die Times dem jungen
Kaiser Wilhelm beilegte, sich auf die Erhaltung des Weltfriedens bezieht, so
zeigte es sich bereits bei der Enthüllung des Denkmals von Friedrich Karl in
Frankfurt a. O., daß diese Aufgabe schon durch die Nordlandsfahrt zu einem
guten Teile für die nächste Zukunft gelöst war. Denn die Worte, die der
Kaiser in patriotischer Kraft und jugendlichem Feuer sprach und die die aller-
entschiedenste Verteidigung deutscher Ehre und deutschen Besitzes gelobten, diese
Worte würden vor noch nicht langer Zeit als scharfer Kriegstrompetenstoß auf¬
gefangen worden sein. Jetzt begrüßten sie die englischen und russischen Zei¬
tungen als Friedensworte. Auch hoffte die „Petersburger Zeitung," daß die
deutliche Sprache Kaiser Wilhelms jenseits der Vogesen verstanden werden würde.
Das hoffen wir auch. Jedenfalls sind sie eine ernste Mahnung an die Fran¬
zosen, die Sache sich zweimal zu überlegen, ehe sie den Frieden Deutschlands
und damit den Frieden der Welt stören. Auch haben die Herren, wie bisher
seit Errichtung der Republik, so vornehmlich jetzt gerade genug mit sich zu thun.
Erwähnen wollen wir aber, daß doch einmal während dieses Sommers, näm¬
lich bei den Streiks der Erdarbeiter, die Regierung energisch auftrat; sie schützte
die zur Arbeit bereiten Leute gegen die Agitatoren und ging in derselben Weise
vor, wie unsre Regierung mit dem bekannten Streikerlaß, der von dem Frei¬
sinn seiner Zeit als Avr xws ultrs. aller Reaktion geschildert wurde. Dabei
zeigte sich, was in Frankreich vergessen war, daß Energie das Einzige ist, wo¬
durch eine Regierung und ein Land gegen Agitatoren und deren Anhang
gerettet wird; nur daß diese Energie eine stetige sein muß, woran es freilich
in Frankreich fehlt. Das zeigte sich bald nach diesen Vorgängen an der Angst,
welche dieselbe Regierung an den Tag legte, als der Phrasenheld Boulanger
wieder dreifach in die Kammer gewählt worden war, eine Wahl, die freilich
erklärlich ist, Wenn man weiß, wie in Frankreich mit äußerster Spannung auf


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/207>, abgerufen am 24.08.2024.