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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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von der Nordlandfahrt bis zur Romfahrt.

des Vertrauensmannes Mackenzie zu Madame Adam. Offenbar hatte der
Fälscher damit einen schweren Hieb gegen Deutschland führen wollen, hat aber
schließlich nur die deutsche Politik glänzend gerechtfertigt. Das Jnteressanteste
bei dieser mit solchem Aplomb veröffentlichten Fälschung war aber, daß sich
auch nicht eine einzige Stimme in der ganzen Fortschrittspresse erhob, um, wie sie
es unter der Regierung Kaiser Friedrichs so eifrig gethan hatten, Bismarck wegen
seines entschiedeneren Widerspruchs gegen die Battenbergische Heirat zu bekämpfen.
Daß die Quelle dieser Fälschungen dieselbe ist wie die der frühern, in den bul¬
garischen Angelegenheiten verfaßten, auf den Sturz Bismarcks zielenden ge¬
fälschten Berichte, dafür spricht vieles. So wurde darin auch ein Brief der
Königin von England vom 26. März erwähnt. Thatsächlich ist dem Reichs¬
kanzler ein solcher unbekannt geblieben. Ist die Angabe in dem Berichte der
Madame Adam richtig, und war ein solcher Brief vorhanden, dann muß man
wohl schließen, daß die Fälschung aus Regionen stammt, in denen man von
der Korrespondenz der Königin Viktoria genauere Kenntnis hatte als im deutschen
auswärtigen Amte.

Wir kommen nun auf etwas Erfreulicheres. Die im Juli beendeten Kassen¬
abschlüsse des preußischen Finanzministeriums vom Etatsjahr 1. April 1837/88
zeigten, daß der früher auf 70 Millionen Mark berechnete Überschuß des lau¬
fenden Finanzjahres noch weit größer ist als diese Schätzung. Allein in den
Staatseisenbahnen war die Solleinnahme um 53 Millionen überstiegen. Mag
der Anschlag auch von vornherein zu niedrig gewesen sein, so deutet doch die so
große Ziffer auf günstigere Erwerbsverhältnisse, die nach dem politischen Stande
der Dinge fortdauern und im kommenden Jahre erst recht bedeutende Über¬
schüsse erzielen werden. Es wird wohl nicht zu viel sein, wenn wir für die
preußischen Finanzen einen Überschuß von 100 Millionen erwarten, ganz ab¬
gesehen von den neuen Reichssteuern, welche die preußischen Finanzen um 64
Millionen entlasten. Wird bei solcher Lage, wie es geschehen kann, das Per¬
sonenfahrgeld wie der Gütertarif herabgesetzt, so mehrt das die Aussicht auf
bedeutende Steigerung des Verkehrs wie auf Erleichterung der Steuerlast na¬
mentlich auf kommunalen Gebiete. Daß bei der so gehobenen Finanznot Preu¬
ßens auch die sozialpolitische Gesetzgebung des Reiches ohne Aussicht auf die
Notwendigkeit neuer Reichssteuern sich ungestört vorwärts bewegen kann, ist
der größte Gewinn, den die günstigen preußischen Finanzverhältnisse für das
allgemeine Beste haben werden. Zunächst wird wohl kein Hindernis da sein,
wenn bei der Beratung des Altersversorgungsgesetzes im Reichstage der Renten-
bezug vom 70. Jahre auf das 65. zu verlegen beantragt wird, diesen Antrag
anzunehmen; ob der Rentenbetrag von 120 Mk. erhöht werden kann, das muß
freilich erst einer Probe unterliegen, die mit dem Gesetze mehrere Jahre hin¬
durch gemacht wird.

Ebensowenig wie unsre Finanzen werden auch unsre wirtschaftlichen Ver-


von der Nordlandfahrt bis zur Romfahrt.

des Vertrauensmannes Mackenzie zu Madame Adam. Offenbar hatte der
Fälscher damit einen schweren Hieb gegen Deutschland führen wollen, hat aber
schließlich nur die deutsche Politik glänzend gerechtfertigt. Das Jnteressanteste
bei dieser mit solchem Aplomb veröffentlichten Fälschung war aber, daß sich
auch nicht eine einzige Stimme in der ganzen Fortschrittspresse erhob, um, wie sie
es unter der Regierung Kaiser Friedrichs so eifrig gethan hatten, Bismarck wegen
seines entschiedeneren Widerspruchs gegen die Battenbergische Heirat zu bekämpfen.
Daß die Quelle dieser Fälschungen dieselbe ist wie die der frühern, in den bul¬
garischen Angelegenheiten verfaßten, auf den Sturz Bismarcks zielenden ge¬
fälschten Berichte, dafür spricht vieles. So wurde darin auch ein Brief der
Königin von England vom 26. März erwähnt. Thatsächlich ist dem Reichs¬
kanzler ein solcher unbekannt geblieben. Ist die Angabe in dem Berichte der
Madame Adam richtig, und war ein solcher Brief vorhanden, dann muß man
wohl schließen, daß die Fälschung aus Regionen stammt, in denen man von
der Korrespondenz der Königin Viktoria genauere Kenntnis hatte als im deutschen
auswärtigen Amte.

Wir kommen nun auf etwas Erfreulicheres. Die im Juli beendeten Kassen¬
abschlüsse des preußischen Finanzministeriums vom Etatsjahr 1. April 1837/88
zeigten, daß der früher auf 70 Millionen Mark berechnete Überschuß des lau¬
fenden Finanzjahres noch weit größer ist als diese Schätzung. Allein in den
Staatseisenbahnen war die Solleinnahme um 53 Millionen überstiegen. Mag
der Anschlag auch von vornherein zu niedrig gewesen sein, so deutet doch die so
große Ziffer auf günstigere Erwerbsverhältnisse, die nach dem politischen Stande
der Dinge fortdauern und im kommenden Jahre erst recht bedeutende Über¬
schüsse erzielen werden. Es wird wohl nicht zu viel sein, wenn wir für die
preußischen Finanzen einen Überschuß von 100 Millionen erwarten, ganz ab¬
gesehen von den neuen Reichssteuern, welche die preußischen Finanzen um 64
Millionen entlasten. Wird bei solcher Lage, wie es geschehen kann, das Per¬
sonenfahrgeld wie der Gütertarif herabgesetzt, so mehrt das die Aussicht auf
bedeutende Steigerung des Verkehrs wie auf Erleichterung der Steuerlast na¬
mentlich auf kommunalen Gebiete. Daß bei der so gehobenen Finanznot Preu¬
ßens auch die sozialpolitische Gesetzgebung des Reiches ohne Aussicht auf die
Notwendigkeit neuer Reichssteuern sich ungestört vorwärts bewegen kann, ist
der größte Gewinn, den die günstigen preußischen Finanzverhältnisse für das
allgemeine Beste haben werden. Zunächst wird wohl kein Hindernis da sein,
wenn bei der Beratung des Altersversorgungsgesetzes im Reichstage der Renten-
bezug vom 70. Jahre auf das 65. zu verlegen beantragt wird, diesen Antrag
anzunehmen; ob der Rentenbetrag von 120 Mk. erhöht werden kann, das muß
freilich erst einer Probe unterliegen, die mit dem Gesetze mehrere Jahre hin¬
durch gemacht wird.

Ebensowenig wie unsre Finanzen werden auch unsre wirtschaftlichen Ver-


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[0205] von der Nordlandfahrt bis zur Romfahrt. des Vertrauensmannes Mackenzie zu Madame Adam. Offenbar hatte der Fälscher damit einen schweren Hieb gegen Deutschland führen wollen, hat aber schließlich nur die deutsche Politik glänzend gerechtfertigt. Das Jnteressanteste bei dieser mit solchem Aplomb veröffentlichten Fälschung war aber, daß sich auch nicht eine einzige Stimme in der ganzen Fortschrittspresse erhob, um, wie sie es unter der Regierung Kaiser Friedrichs so eifrig gethan hatten, Bismarck wegen seines entschiedeneren Widerspruchs gegen die Battenbergische Heirat zu bekämpfen. Daß die Quelle dieser Fälschungen dieselbe ist wie die der frühern, in den bul¬ garischen Angelegenheiten verfaßten, auf den Sturz Bismarcks zielenden ge¬ fälschten Berichte, dafür spricht vieles. So wurde darin auch ein Brief der Königin von England vom 26. März erwähnt. Thatsächlich ist dem Reichs¬ kanzler ein solcher unbekannt geblieben. Ist die Angabe in dem Berichte der Madame Adam richtig, und war ein solcher Brief vorhanden, dann muß man wohl schließen, daß die Fälschung aus Regionen stammt, in denen man von der Korrespondenz der Königin Viktoria genauere Kenntnis hatte als im deutschen auswärtigen Amte. Wir kommen nun auf etwas Erfreulicheres. Die im Juli beendeten Kassen¬ abschlüsse des preußischen Finanzministeriums vom Etatsjahr 1. April 1837/88 zeigten, daß der früher auf 70 Millionen Mark berechnete Überschuß des lau¬ fenden Finanzjahres noch weit größer ist als diese Schätzung. Allein in den Staatseisenbahnen war die Solleinnahme um 53 Millionen überstiegen. Mag der Anschlag auch von vornherein zu niedrig gewesen sein, so deutet doch die so große Ziffer auf günstigere Erwerbsverhältnisse, die nach dem politischen Stande der Dinge fortdauern und im kommenden Jahre erst recht bedeutende Über¬ schüsse erzielen werden. Es wird wohl nicht zu viel sein, wenn wir für die preußischen Finanzen einen Überschuß von 100 Millionen erwarten, ganz ab¬ gesehen von den neuen Reichssteuern, welche die preußischen Finanzen um 64 Millionen entlasten. Wird bei solcher Lage, wie es geschehen kann, das Per¬ sonenfahrgeld wie der Gütertarif herabgesetzt, so mehrt das die Aussicht auf bedeutende Steigerung des Verkehrs wie auf Erleichterung der Steuerlast na¬ mentlich auf kommunalen Gebiete. Daß bei der so gehobenen Finanznot Preu¬ ßens auch die sozialpolitische Gesetzgebung des Reiches ohne Aussicht auf die Notwendigkeit neuer Reichssteuern sich ungestört vorwärts bewegen kann, ist der größte Gewinn, den die günstigen preußischen Finanzverhältnisse für das allgemeine Beste haben werden. Zunächst wird wohl kein Hindernis da sein, wenn bei der Beratung des Altersversorgungsgesetzes im Reichstage der Renten- bezug vom 70. Jahre auf das 65. zu verlegen beantragt wird, diesen Antrag anzunehmen; ob der Rentenbetrag von 120 Mk. erhöht werden kann, das muß freilich erst einer Probe unterliegen, die mit dem Gesetze mehrere Jahre hin¬ durch gemacht wird. Ebensowenig wie unsre Finanzen werden auch unsre wirtschaftlichen Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/205>, abgerufen am 28.09.2024.