Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.Kultur und Technik. einigermaßen analog ist. Ein Zeitalter, ein Land ist desto mehr kultivirt, je Nach diesem so gewonnenen Maßstabe und Begriff der Kultur untersucht Der Bildung des Verstandes haben die technischen Fortschritte gewiß Dienste Von der Wirkung der technischen Fortschritte auf das Gemüt des Menschen Kultur und Technik. einigermaßen analog ist. Ein Zeitalter, ein Land ist desto mehr kultivirt, je Nach diesem so gewonnenen Maßstabe und Begriff der Kultur untersucht Der Bildung des Verstandes haben die technischen Fortschritte gewiß Dienste Von der Wirkung der technischen Fortschritte auf das Gemüt des Menschen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0178" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203613"/> <fw type="header" place="top"> Kultur und Technik.</fw><lb/> <p xml:id="ID_401" prev="#ID_400"> einigermaßen analog ist. Ein Zeitalter, ein Land ist desto mehr kultivirt, je<lb/> mehr, so weit menschliche Kräfte reichen, folgenden drei Bedingungen genügt<lb/> wird: 1. Sicherung der Existenz jedes einzelnen Individuums; wenn diese erste<lb/> Bedingung erfüllt ist, 2. Vorhandensein der Hilfsmittel und Einrichtungen, da¬<lb/> mit, soviel als nur möglich, jenes Behagen und Glück erreicht werde, das jeder<lb/> einzelne verlangt; 3. NichtVorhandensein jener Faktoren, die den einzelnen<lb/> zwingen wollen, nicht nach seinem eignen, sondern nach dem Ermessen andrer<lb/> glücklich zu sein."</p><lb/> <p xml:id="ID_402"> Nach diesem so gewonnenen Maßstabe und Begriff der Kultur untersucht<lb/> Popper den Einfluß, den die technischen Fortschritte auf die Vernunft, die Ge¬<lb/> sittung und das physische Wohl der Individuen gewonnen haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_403"> Der Bildung des Verstandes haben die technischen Fortschritte gewiß Dienste<lb/> geleistet. Jeder praktische technische Versuch dient gleichzeitig dazu, die gewonne¬<lb/> nen Theorien zu erproben, auch häufig neue Naturerkenntnisse zu gewinnen.<lb/> Die technischen Fortschritte haben den Wissenschaften auch förderliche Instrumente<lb/> geschaffen. Dadurch daß viele Länder und Völker leichter zugänglich gemacht<lb/> wurden, haben viele Wissenschaften gewonnen, und im allgemeinen hat sich eine<lb/> größere Reife in der Beurteilung menschlicher Eigentümlichkeiten verbreitet.<lb/> Aber den Wunder- und Aberglauben zu beseitigen, dazu reichten selbst die größten<lb/> Leistungen der Technik nicht aus. „Früher begnügte man sich mit gröbern<lb/> Wundern, jetzt verlangt man feinere. Die Ungebildeten und viele Gebildete<lb/> unterscheiden sich nicht durch den Mangel an Wnnderbedürfnis, sondern nur<lb/> durch den Maßstab, den sie anlegen. Von dem rohen Fetischglauben bis zum<lb/> Spiritismus, der mittels Philosophie und Mathematik unterstützt zu werden<lb/> versucht wird, ist die Reihe eine kontinuirliche."</p><lb/> <p xml:id="ID_404" next="#ID_405"> Von der Wirkung der technischen Fortschritte auf das Gemüt des Menschen<lb/> hat schon der Nachweis ihrer „ästhetischen Äquivalenz" Zeugnis gegeben. Eine<lb/> unmittelbare Folge dieser ästhetischen Bedeutung ist die, daß, wie durch das<lb/> Interesse an Kunst und Wissenschaft überhaupt, die dem Menschen innewohnende<lb/> Lust am Kampfe auf ethischere Bahnen gelenkt wird, nämlich auf den Kampf<lb/> gegen die Natur. Und insofern als jede ästhetische Freude den Menschen über<lb/> die Kleinlichkeit des Alltagslebens hinaushebt, ihn verhindert mürrisch zu werden,<lb/> haben auch die technischen Fortschritte ihren Teil an dieser Kultur. Allein wenn<lb/> sich die Frage aufdrängt, „ob die produktive Beschäftigung des Menschen mit<lb/> Wissenschaft und Kunst, also auch mit den technischen Wissenszweigen, oder ob<lb/> das allgemeine lebhafte Interesse an diesen Thätigkeiten eine wirkliche, positive<lb/> Veredelung, eine ethische Erhöhung, eine größere Gesittung der Menschen her¬<lb/> vorruft, so kann man nicht entschieden genug antworten: nicht im geringsten!"<lb/> Popper berührt sich mit I. I. Rousseau, der nur seine Ansicht ungeschickt ver¬<lb/> teidigt habe. Popper beruft sich auf Goethe, der von der Kunst grundsätzlich<lb/> alle moralischen Zwecke ferngehalten wissen wollte; er verweist auf die Geschichte:</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0178]
Kultur und Technik.
einigermaßen analog ist. Ein Zeitalter, ein Land ist desto mehr kultivirt, je
mehr, so weit menschliche Kräfte reichen, folgenden drei Bedingungen genügt
wird: 1. Sicherung der Existenz jedes einzelnen Individuums; wenn diese erste
Bedingung erfüllt ist, 2. Vorhandensein der Hilfsmittel und Einrichtungen, da¬
mit, soviel als nur möglich, jenes Behagen und Glück erreicht werde, das jeder
einzelne verlangt; 3. NichtVorhandensein jener Faktoren, die den einzelnen
zwingen wollen, nicht nach seinem eignen, sondern nach dem Ermessen andrer
glücklich zu sein."
Nach diesem so gewonnenen Maßstabe und Begriff der Kultur untersucht
Popper den Einfluß, den die technischen Fortschritte auf die Vernunft, die Ge¬
sittung und das physische Wohl der Individuen gewonnen haben.
Der Bildung des Verstandes haben die technischen Fortschritte gewiß Dienste
geleistet. Jeder praktische technische Versuch dient gleichzeitig dazu, die gewonne¬
nen Theorien zu erproben, auch häufig neue Naturerkenntnisse zu gewinnen.
Die technischen Fortschritte haben den Wissenschaften auch förderliche Instrumente
geschaffen. Dadurch daß viele Länder und Völker leichter zugänglich gemacht
wurden, haben viele Wissenschaften gewonnen, und im allgemeinen hat sich eine
größere Reife in der Beurteilung menschlicher Eigentümlichkeiten verbreitet.
Aber den Wunder- und Aberglauben zu beseitigen, dazu reichten selbst die größten
Leistungen der Technik nicht aus. „Früher begnügte man sich mit gröbern
Wundern, jetzt verlangt man feinere. Die Ungebildeten und viele Gebildete
unterscheiden sich nicht durch den Mangel an Wnnderbedürfnis, sondern nur
durch den Maßstab, den sie anlegen. Von dem rohen Fetischglauben bis zum
Spiritismus, der mittels Philosophie und Mathematik unterstützt zu werden
versucht wird, ist die Reihe eine kontinuirliche."
Von der Wirkung der technischen Fortschritte auf das Gemüt des Menschen
hat schon der Nachweis ihrer „ästhetischen Äquivalenz" Zeugnis gegeben. Eine
unmittelbare Folge dieser ästhetischen Bedeutung ist die, daß, wie durch das
Interesse an Kunst und Wissenschaft überhaupt, die dem Menschen innewohnende
Lust am Kampfe auf ethischere Bahnen gelenkt wird, nämlich auf den Kampf
gegen die Natur. Und insofern als jede ästhetische Freude den Menschen über
die Kleinlichkeit des Alltagslebens hinaushebt, ihn verhindert mürrisch zu werden,
haben auch die technischen Fortschritte ihren Teil an dieser Kultur. Allein wenn
sich die Frage aufdrängt, „ob die produktive Beschäftigung des Menschen mit
Wissenschaft und Kunst, also auch mit den technischen Wissenszweigen, oder ob
das allgemeine lebhafte Interesse an diesen Thätigkeiten eine wirkliche, positive
Veredelung, eine ethische Erhöhung, eine größere Gesittung der Menschen her¬
vorruft, so kann man nicht entschieden genug antworten: nicht im geringsten!"
Popper berührt sich mit I. I. Rousseau, der nur seine Ansicht ungeschickt ver¬
teidigt habe. Popper beruft sich auf Goethe, der von der Kunst grundsätzlich
alle moralischen Zwecke ferngehalten wissen wollte; er verweist auf die Geschichte:
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