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Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

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Wandergesellen und Stellenvermittlung.

Stellung unebne. Wo das nicht in vollstem Maße geschieht, bedarf es auch
keiner Unterstützung. Um aber eine Stellung zu finden, wird der Arbeiter sich
in der Regel zunächst an Ort und Stelle umthun, da für ihn hierdurch keine
weiteren Unkosten erwachsen. Ist dies umsonst, so wird er sich um einen aus¬
wärtigen Posten bemühen müssen, was entweder schriftlich geschehen kann oder
dadurch, daß der Arbeiter auf Reisen geht, sich persönlich umsieht und sich den
Arbeitgebern vorstellt. In beiden Fällen den Arbeitern, so weit es irgend
möglich ist, an die Hand zu gehen, wird die Aufgabe der staatlichen Fürsorge
bilden müssen.

Vor allem ist es hierbei die Frage des Wandergesellentums, die
dringend der Ordnung bedarf. Wer hat nicht schon die vielen Klagen in den
Zeitungen gelesen über die zunehmende Verrohung und Verlumpung eines großen
Teiles der wandernden Arbeiter? In allen Blättern findet man nahezu täglich
Berichte über die frechen Thaten der sogenannten Strömer, über den Bettel¬
unfug derselben, über die Gefahren, denen die Bevölkerung, zumal die ländliche
vielfach durch derartiges Gesindel ausgesetzt ist. Hier gilt es, Ordnung zu
schaffen, hier muß die Spreu vom Weizen gesondert werden, indem der Staat
sich bemüht, denjenigen Wandergesellen, denen es wirklich um Arbeit zu thun
ist, solche auf die denkbar einfachste Weise zu verschaffen. Ist dies der Fall,
dann wird der Staat auch in der Lage sein, gegen jenen andern Teil des
Wandergesellentums kräftig und mit ganzer Schärfe einzuschreiten, dem das
Wanderleben Selbstzweck ist, der sich lediglich aus Faulheit auf den Straßen
und in den Schänken herumtreibt und das Volksleben vergiftet. Als Mittel
zur Erreichung dieser Zwecke können dienen eine korporative Gestaltung
des Herbcrgswesens auf Grund der Berufsgliederung und die Einrichtung
von Zwangskassen zur Unterstützung der wandernden Arbeiter. Hand in
Hand damit wäre eine möglichst praktische Einrichtung zur Stellenvermitt¬
lung zu schaffen, die es dem Arbeitgeber wie dem Arbeiter gestattete,
jederzeit einen klaren Blick über Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkte
zu gewinnen, jederzeit zu wissen, wo Arbeiter gesucht werden und wo solche zu
finden sind. Wie ich mir die Lösung dieser Fragen ungefähr denke, möchte ich
in den folgenden Zeilen dem Leser in kurzen Zügen vor Augen führen.

Träger der ganzen Einrichtung müßten die auf Grund des Unfallgesetzes
geschaffenen Berufsgenossenschaften sein. An jedem Orte, wo sich ein zu einer
Berufsgenossenschaft gehörender Betrieb befindet, wird ein Ortsverband des¬
selben errichtet. Vorstand desselben ist ein durch Wahl der Arbeitgeber bestellter
Arbeitgeber. Ihm zur Seite steht ein aus Arbeitgebern und Arbeitern zu
gleichen Teilen bestellter Ausschuß, der sich in die Geschäfte des Schriftführers,
des Kassierers u. s. w. teilt. Mitglieder des Ortsverbandes sind sämtliche Arbeit¬
geber und Arbeiter der Berufsgenossenschaft. Aufgabe des Ortsverbandes ist
zunächst Regelung des Herbergswcsens für die durchreisenden Arbeiter der


Grenzboten IV. 1838. ' 2
Wandergesellen und Stellenvermittlung.

Stellung unebne. Wo das nicht in vollstem Maße geschieht, bedarf es auch
keiner Unterstützung. Um aber eine Stellung zu finden, wird der Arbeiter sich
in der Regel zunächst an Ort und Stelle umthun, da für ihn hierdurch keine
weiteren Unkosten erwachsen. Ist dies umsonst, so wird er sich um einen aus¬
wärtigen Posten bemühen müssen, was entweder schriftlich geschehen kann oder
dadurch, daß der Arbeiter auf Reisen geht, sich persönlich umsieht und sich den
Arbeitgebern vorstellt. In beiden Fällen den Arbeitern, so weit es irgend
möglich ist, an die Hand zu gehen, wird die Aufgabe der staatlichen Fürsorge
bilden müssen.

Vor allem ist es hierbei die Frage des Wandergesellentums, die
dringend der Ordnung bedarf. Wer hat nicht schon die vielen Klagen in den
Zeitungen gelesen über die zunehmende Verrohung und Verlumpung eines großen
Teiles der wandernden Arbeiter? In allen Blättern findet man nahezu täglich
Berichte über die frechen Thaten der sogenannten Strömer, über den Bettel¬
unfug derselben, über die Gefahren, denen die Bevölkerung, zumal die ländliche
vielfach durch derartiges Gesindel ausgesetzt ist. Hier gilt es, Ordnung zu
schaffen, hier muß die Spreu vom Weizen gesondert werden, indem der Staat
sich bemüht, denjenigen Wandergesellen, denen es wirklich um Arbeit zu thun
ist, solche auf die denkbar einfachste Weise zu verschaffen. Ist dies der Fall,
dann wird der Staat auch in der Lage sein, gegen jenen andern Teil des
Wandergesellentums kräftig und mit ganzer Schärfe einzuschreiten, dem das
Wanderleben Selbstzweck ist, der sich lediglich aus Faulheit auf den Straßen
und in den Schänken herumtreibt und das Volksleben vergiftet. Als Mittel
zur Erreichung dieser Zwecke können dienen eine korporative Gestaltung
des Herbcrgswesens auf Grund der Berufsgliederung und die Einrichtung
von Zwangskassen zur Unterstützung der wandernden Arbeiter. Hand in
Hand damit wäre eine möglichst praktische Einrichtung zur Stellenvermitt¬
lung zu schaffen, die es dem Arbeitgeber wie dem Arbeiter gestattete,
jederzeit einen klaren Blick über Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkte
zu gewinnen, jederzeit zu wissen, wo Arbeiter gesucht werden und wo solche zu
finden sind. Wie ich mir die Lösung dieser Fragen ungefähr denke, möchte ich
in den folgenden Zeilen dem Leser in kurzen Zügen vor Augen führen.

Träger der ganzen Einrichtung müßten die auf Grund des Unfallgesetzes
geschaffenen Berufsgenossenschaften sein. An jedem Orte, wo sich ein zu einer
Berufsgenossenschaft gehörender Betrieb befindet, wird ein Ortsverband des¬
selben errichtet. Vorstand desselben ist ein durch Wahl der Arbeitgeber bestellter
Arbeitgeber. Ihm zur Seite steht ein aus Arbeitgebern und Arbeitern zu
gleichen Teilen bestellter Ausschuß, der sich in die Geschäfte des Schriftführers,
des Kassierers u. s. w. teilt. Mitglieder des Ortsverbandes sind sämtliche Arbeit¬
geber und Arbeiter der Berufsgenossenschaft. Aufgabe des Ortsverbandes ist
zunächst Regelung des Herbergswcsens für die durchreisenden Arbeiter der


Grenzboten IV. 1838. ' 2
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[0017] Wandergesellen und Stellenvermittlung. Stellung unebne. Wo das nicht in vollstem Maße geschieht, bedarf es auch keiner Unterstützung. Um aber eine Stellung zu finden, wird der Arbeiter sich in der Regel zunächst an Ort und Stelle umthun, da für ihn hierdurch keine weiteren Unkosten erwachsen. Ist dies umsonst, so wird er sich um einen aus¬ wärtigen Posten bemühen müssen, was entweder schriftlich geschehen kann oder dadurch, daß der Arbeiter auf Reisen geht, sich persönlich umsieht und sich den Arbeitgebern vorstellt. In beiden Fällen den Arbeitern, so weit es irgend möglich ist, an die Hand zu gehen, wird die Aufgabe der staatlichen Fürsorge bilden müssen. Vor allem ist es hierbei die Frage des Wandergesellentums, die dringend der Ordnung bedarf. Wer hat nicht schon die vielen Klagen in den Zeitungen gelesen über die zunehmende Verrohung und Verlumpung eines großen Teiles der wandernden Arbeiter? In allen Blättern findet man nahezu täglich Berichte über die frechen Thaten der sogenannten Strömer, über den Bettel¬ unfug derselben, über die Gefahren, denen die Bevölkerung, zumal die ländliche vielfach durch derartiges Gesindel ausgesetzt ist. Hier gilt es, Ordnung zu schaffen, hier muß die Spreu vom Weizen gesondert werden, indem der Staat sich bemüht, denjenigen Wandergesellen, denen es wirklich um Arbeit zu thun ist, solche auf die denkbar einfachste Weise zu verschaffen. Ist dies der Fall, dann wird der Staat auch in der Lage sein, gegen jenen andern Teil des Wandergesellentums kräftig und mit ganzer Schärfe einzuschreiten, dem das Wanderleben Selbstzweck ist, der sich lediglich aus Faulheit auf den Straßen und in den Schänken herumtreibt und das Volksleben vergiftet. Als Mittel zur Erreichung dieser Zwecke können dienen eine korporative Gestaltung des Herbcrgswesens auf Grund der Berufsgliederung und die Einrichtung von Zwangskassen zur Unterstützung der wandernden Arbeiter. Hand in Hand damit wäre eine möglichst praktische Einrichtung zur Stellenvermitt¬ lung zu schaffen, die es dem Arbeitgeber wie dem Arbeiter gestattete, jederzeit einen klaren Blick über Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkte zu gewinnen, jederzeit zu wissen, wo Arbeiter gesucht werden und wo solche zu finden sind. Wie ich mir die Lösung dieser Fragen ungefähr denke, möchte ich in den folgenden Zeilen dem Leser in kurzen Zügen vor Augen führen. Träger der ganzen Einrichtung müßten die auf Grund des Unfallgesetzes geschaffenen Berufsgenossenschaften sein. An jedem Orte, wo sich ein zu einer Berufsgenossenschaft gehörender Betrieb befindet, wird ein Ortsverband des¬ selben errichtet. Vorstand desselben ist ein durch Wahl der Arbeitgeber bestellter Arbeitgeber. Ihm zur Seite steht ein aus Arbeitgebern und Arbeitern zu gleichen Teilen bestellter Ausschuß, der sich in die Geschäfte des Schriftführers, des Kassierers u. s. w. teilt. Mitglieder des Ortsverbandes sind sämtliche Arbeit¬ geber und Arbeiter der Berufsgenossenschaft. Aufgabe des Ortsverbandes ist zunächst Regelung des Herbergswcsens für die durchreisenden Arbeiter der Grenzboten IV. 1838. ' 2

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/17>, abgerufen am 04.07.2024.