Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Volk und Nation.

übrig geblieben, die indes in Z 34 des Strafgesetzbuches für das deutsche Reich
in eine Landeskokarde umgewandelt ist.

Als Grenzen der deutschen Nation sind soeben die Grenzen des deutschen
Reiches angegeben worden. Die Deutschen in Österreich, in den baltischen
Provinzen Rußlands, in Amerika, sofern sie sich überhaupt ihres Deutschtums
bewußt geblieben sind, zählen wir nicht der deutschen Nation zu, sondern nur
der deutschen Nationalität. Somit ist allerdings klar, daß dem Begriffe
Nation eine staatliche Beziehung eigen ist. Aber ganz irrtümlich ist es, in
der Schlußfolgerung so weit zu gehen, daß man die Behauptung aufstellt,
Nation bezeichne die Gesamtheit als Staatsindividuum, während Volk "mehr
diejenigen Beziehungen umfasse, durch die sich die große Gesamtheit stamm¬
verwandter Menschen als in sich geschlossenes Ganze darstellt." (Sanders im
Wörterbuch.) Dieser Gegensatz besteht nicht. Was Nation von Volk unter¬
scheidet, ist wesentlich subjektive Zuthat: das Volk soll als ein großes, selb¬
ständiges, kulturmächtiges hervorgehoben werden. Die Bürgschaft für Selb¬
ständigkeit und freie Entfaltung des Kulturlebens, für eine mächtige Einwirkung
desselben auf die Entwicklung der Menschheit, liegt allein in einem unab¬
hängigen Staatswesen. Daher die staatliche Tendenz des Nationalitätsprinzips,
das aber seine Beruhigung findet, sobald sich die Nation in einem mächtigen
Gemeinwesen abgeschlossen hat. Das Bedürfnis eines Kulturvolkes geht darauf,
durch ein mächtiges Gemeinwesen sich seine selbständige, unabhängige Entwicklung
zu sichern; es verlangt durchaus nicht, alle Nationalitätsgenossen, d. h. die
durch gemeinsame Abstammung, Sprache, Sitte verwandten in sein Gemein¬
wesen aufzunehmen.

Eine staatliche Beziehung wohnt dem Begriffe der Nation immer bei, aber
die Bezeichnung enthält deshalb keineswegs einen staatlichen Rechtsbegriff, sie
drückt keinen staatsrechtlichen Begriff aus. Das Staatsrecht gebraucht den
Ausdruck Volk in zweifacher Bedeutung, teils zur Bezeichnung der Gesamt¬
heit der Staatsangehörigen, wobei in Monarchien der Fürst mit eingeschlossen
ist, teils zur Zusammenfassung der Unterthanen im Gegensatze zum Staats¬
oberhaupte. Ein Bedürfnis zur Aufnahme der Ausdrücke: Nation, Nationa¬
lität u. s. w. in ihren Wortschatz liegt für die staatsrechtliche Wissenschaft nicht
vor. Sie wüßte auch mit diesen Begriffen, die des unzweifelhaften äußern
Merkmales entbehren, kaum etwas anzufangen. Wo das Recht in Frage kommt,
können nur untrügliche, unbezweifelbare äußere Kennzeichen wie Geburt, Wohn¬
sitz, Religionsbekenntnis entscheiden, nicht so dehnbare und schwankende Bestim¬
mungen, wie die der Nationalität. Ob die Juden eine Nationalität, ein Volk
oder gar eine Nation genannt werden können, ist daher eine Frage, die dem
Staatsrechte immer fremd bleiben wird. Rechtlich kann ein Jude, wenn er
überhaupt unterschieden werden soll, nichts sein als ein Bekenner der mosaischen
Religion. Ähnlich verhält es sich in andern Wissenschaften, die für ihre begriff-


Volk und Nation.

übrig geblieben, die indes in Z 34 des Strafgesetzbuches für das deutsche Reich
in eine Landeskokarde umgewandelt ist.

Als Grenzen der deutschen Nation sind soeben die Grenzen des deutschen
Reiches angegeben worden. Die Deutschen in Österreich, in den baltischen
Provinzen Rußlands, in Amerika, sofern sie sich überhaupt ihres Deutschtums
bewußt geblieben sind, zählen wir nicht der deutschen Nation zu, sondern nur
der deutschen Nationalität. Somit ist allerdings klar, daß dem Begriffe
Nation eine staatliche Beziehung eigen ist. Aber ganz irrtümlich ist es, in
der Schlußfolgerung so weit zu gehen, daß man die Behauptung aufstellt,
Nation bezeichne die Gesamtheit als Staatsindividuum, während Volk „mehr
diejenigen Beziehungen umfasse, durch die sich die große Gesamtheit stamm¬
verwandter Menschen als in sich geschlossenes Ganze darstellt." (Sanders im
Wörterbuch.) Dieser Gegensatz besteht nicht. Was Nation von Volk unter¬
scheidet, ist wesentlich subjektive Zuthat: das Volk soll als ein großes, selb¬
ständiges, kulturmächtiges hervorgehoben werden. Die Bürgschaft für Selb¬
ständigkeit und freie Entfaltung des Kulturlebens, für eine mächtige Einwirkung
desselben auf die Entwicklung der Menschheit, liegt allein in einem unab¬
hängigen Staatswesen. Daher die staatliche Tendenz des Nationalitätsprinzips,
das aber seine Beruhigung findet, sobald sich die Nation in einem mächtigen
Gemeinwesen abgeschlossen hat. Das Bedürfnis eines Kulturvolkes geht darauf,
durch ein mächtiges Gemeinwesen sich seine selbständige, unabhängige Entwicklung
zu sichern; es verlangt durchaus nicht, alle Nationalitätsgenossen, d. h. die
durch gemeinsame Abstammung, Sprache, Sitte verwandten in sein Gemein¬
wesen aufzunehmen.

Eine staatliche Beziehung wohnt dem Begriffe der Nation immer bei, aber
die Bezeichnung enthält deshalb keineswegs einen staatlichen Rechtsbegriff, sie
drückt keinen staatsrechtlichen Begriff aus. Das Staatsrecht gebraucht den
Ausdruck Volk in zweifacher Bedeutung, teils zur Bezeichnung der Gesamt¬
heit der Staatsangehörigen, wobei in Monarchien der Fürst mit eingeschlossen
ist, teils zur Zusammenfassung der Unterthanen im Gegensatze zum Staats¬
oberhaupte. Ein Bedürfnis zur Aufnahme der Ausdrücke: Nation, Nationa¬
lität u. s. w. in ihren Wortschatz liegt für die staatsrechtliche Wissenschaft nicht
vor. Sie wüßte auch mit diesen Begriffen, die des unzweifelhaften äußern
Merkmales entbehren, kaum etwas anzufangen. Wo das Recht in Frage kommt,
können nur untrügliche, unbezweifelbare äußere Kennzeichen wie Geburt, Wohn¬
sitz, Religionsbekenntnis entscheiden, nicht so dehnbare und schwankende Bestim¬
mungen, wie die der Nationalität. Ob die Juden eine Nationalität, ein Volk
oder gar eine Nation genannt werden können, ist daher eine Frage, die dem
Staatsrechte immer fremd bleiben wird. Rechtlich kann ein Jude, wenn er
überhaupt unterschieden werden soll, nichts sein als ein Bekenner der mosaischen
Religion. Ähnlich verhält es sich in andern Wissenschaften, die für ihre begriff-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0157" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203592"/>
          <fw type="header" place="top"> Volk und Nation.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_353" prev="#ID_352"> übrig geblieben, die indes in Z 34 des Strafgesetzbuches für das deutsche Reich<lb/>
in eine Landeskokarde umgewandelt ist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_354"> Als Grenzen der deutschen Nation sind soeben die Grenzen des deutschen<lb/>
Reiches angegeben worden. Die Deutschen in Österreich, in den baltischen<lb/>
Provinzen Rußlands, in Amerika, sofern sie sich überhaupt ihres Deutschtums<lb/>
bewußt geblieben sind, zählen wir nicht der deutschen Nation zu, sondern nur<lb/>
der deutschen Nationalität. Somit ist allerdings klar, daß dem Begriffe<lb/>
Nation eine staatliche Beziehung eigen ist. Aber ganz irrtümlich ist es, in<lb/>
der Schlußfolgerung so weit zu gehen, daß man die Behauptung aufstellt,<lb/>
Nation bezeichne die Gesamtheit als Staatsindividuum, während Volk &#x201E;mehr<lb/>
diejenigen Beziehungen umfasse, durch die sich die große Gesamtheit stamm¬<lb/>
verwandter Menschen als in sich geschlossenes Ganze darstellt." (Sanders im<lb/>
Wörterbuch.) Dieser Gegensatz besteht nicht. Was Nation von Volk unter¬<lb/>
scheidet, ist wesentlich subjektive Zuthat: das Volk soll als ein großes, selb¬<lb/>
ständiges, kulturmächtiges hervorgehoben werden. Die Bürgschaft für Selb¬<lb/>
ständigkeit und freie Entfaltung des Kulturlebens, für eine mächtige Einwirkung<lb/>
desselben auf die Entwicklung der Menschheit, liegt allein in einem unab¬<lb/>
hängigen Staatswesen. Daher die staatliche Tendenz des Nationalitätsprinzips,<lb/>
das aber seine Beruhigung findet, sobald sich die Nation in einem mächtigen<lb/>
Gemeinwesen abgeschlossen hat. Das Bedürfnis eines Kulturvolkes geht darauf,<lb/>
durch ein mächtiges Gemeinwesen sich seine selbständige, unabhängige Entwicklung<lb/>
zu sichern; es verlangt durchaus nicht, alle Nationalitätsgenossen, d. h. die<lb/>
durch gemeinsame Abstammung, Sprache, Sitte verwandten in sein Gemein¬<lb/>
wesen aufzunehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_355" next="#ID_356"> Eine staatliche Beziehung wohnt dem Begriffe der Nation immer bei, aber<lb/>
die Bezeichnung enthält deshalb keineswegs einen staatlichen Rechtsbegriff, sie<lb/>
drückt keinen staatsrechtlichen Begriff aus. Das Staatsrecht gebraucht den<lb/>
Ausdruck Volk in zweifacher Bedeutung, teils zur Bezeichnung der Gesamt¬<lb/>
heit der Staatsangehörigen, wobei in Monarchien der Fürst mit eingeschlossen<lb/>
ist, teils zur Zusammenfassung der Unterthanen im Gegensatze zum Staats¬<lb/>
oberhaupte. Ein Bedürfnis zur Aufnahme der Ausdrücke: Nation, Nationa¬<lb/>
lität u. s. w. in ihren Wortschatz liegt für die staatsrechtliche Wissenschaft nicht<lb/>
vor. Sie wüßte auch mit diesen Begriffen, die des unzweifelhaften äußern<lb/>
Merkmales entbehren, kaum etwas anzufangen. Wo das Recht in Frage kommt,<lb/>
können nur untrügliche, unbezweifelbare äußere Kennzeichen wie Geburt, Wohn¬<lb/>
sitz, Religionsbekenntnis entscheiden, nicht so dehnbare und schwankende Bestim¬<lb/>
mungen, wie die der Nationalität. Ob die Juden eine Nationalität, ein Volk<lb/>
oder gar eine Nation genannt werden können, ist daher eine Frage, die dem<lb/>
Staatsrechte immer fremd bleiben wird. Rechtlich kann ein Jude, wenn er<lb/>
überhaupt unterschieden werden soll, nichts sein als ein Bekenner der mosaischen<lb/>
Religion. Ähnlich verhält es sich in andern Wissenschaften, die für ihre begriff-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0157] Volk und Nation. übrig geblieben, die indes in Z 34 des Strafgesetzbuches für das deutsche Reich in eine Landeskokarde umgewandelt ist. Als Grenzen der deutschen Nation sind soeben die Grenzen des deutschen Reiches angegeben worden. Die Deutschen in Österreich, in den baltischen Provinzen Rußlands, in Amerika, sofern sie sich überhaupt ihres Deutschtums bewußt geblieben sind, zählen wir nicht der deutschen Nation zu, sondern nur der deutschen Nationalität. Somit ist allerdings klar, daß dem Begriffe Nation eine staatliche Beziehung eigen ist. Aber ganz irrtümlich ist es, in der Schlußfolgerung so weit zu gehen, daß man die Behauptung aufstellt, Nation bezeichne die Gesamtheit als Staatsindividuum, während Volk „mehr diejenigen Beziehungen umfasse, durch die sich die große Gesamtheit stamm¬ verwandter Menschen als in sich geschlossenes Ganze darstellt." (Sanders im Wörterbuch.) Dieser Gegensatz besteht nicht. Was Nation von Volk unter¬ scheidet, ist wesentlich subjektive Zuthat: das Volk soll als ein großes, selb¬ ständiges, kulturmächtiges hervorgehoben werden. Die Bürgschaft für Selb¬ ständigkeit und freie Entfaltung des Kulturlebens, für eine mächtige Einwirkung desselben auf die Entwicklung der Menschheit, liegt allein in einem unab¬ hängigen Staatswesen. Daher die staatliche Tendenz des Nationalitätsprinzips, das aber seine Beruhigung findet, sobald sich die Nation in einem mächtigen Gemeinwesen abgeschlossen hat. Das Bedürfnis eines Kulturvolkes geht darauf, durch ein mächtiges Gemeinwesen sich seine selbständige, unabhängige Entwicklung zu sichern; es verlangt durchaus nicht, alle Nationalitätsgenossen, d. h. die durch gemeinsame Abstammung, Sprache, Sitte verwandten in sein Gemein¬ wesen aufzunehmen. Eine staatliche Beziehung wohnt dem Begriffe der Nation immer bei, aber die Bezeichnung enthält deshalb keineswegs einen staatlichen Rechtsbegriff, sie drückt keinen staatsrechtlichen Begriff aus. Das Staatsrecht gebraucht den Ausdruck Volk in zweifacher Bedeutung, teils zur Bezeichnung der Gesamt¬ heit der Staatsangehörigen, wobei in Monarchien der Fürst mit eingeschlossen ist, teils zur Zusammenfassung der Unterthanen im Gegensatze zum Staats¬ oberhaupte. Ein Bedürfnis zur Aufnahme der Ausdrücke: Nation, Nationa¬ lität u. s. w. in ihren Wortschatz liegt für die staatsrechtliche Wissenschaft nicht vor. Sie wüßte auch mit diesen Begriffen, die des unzweifelhaften äußern Merkmales entbehren, kaum etwas anzufangen. Wo das Recht in Frage kommt, können nur untrügliche, unbezweifelbare äußere Kennzeichen wie Geburt, Wohn¬ sitz, Religionsbekenntnis entscheiden, nicht so dehnbare und schwankende Bestim¬ mungen, wie die der Nationalität. Ob die Juden eine Nationalität, ein Volk oder gar eine Nation genannt werden können, ist daher eine Frage, die dem Staatsrechte immer fremd bleiben wird. Rechtlich kann ein Jude, wenn er überhaupt unterschieden werden soll, nichts sein als ein Bekenner der mosaischen Religion. Ähnlich verhält es sich in andern Wissenschaften, die für ihre begriff-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/157
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/157>, abgerufen am 02.07.2024.