Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die neuesten Darstellungen der deutschen Aunstgeschichte.

Das Interesse für die Geschichte der deutschen Kunst, das seit den Tagen
der Romantiker geschlummert hatte, ist neuerdings wohl durch Vermittlung
des Kunstgewerbes in weitern Kreisen wieder rege geworden; aber die wissen¬
schaftliche Behandlung -hat auf sich warten lassen. Im Jahre 1573 bereits
wandte sich der Straßburger Verleger Bernhard Jobin in der Vorrede zu
den "eygenwissenlichen und wolgcdenkwürdigen Contrafcytungen oder Antlitz¬
gestaltungen der römischen Bäpst" gegen das durch Vasari hervorgerufene und
bis auf unsre Tage nicht ganz überwundene Vorurteil, als ob der Kunst
"Ursprung und beste Übung" allein bei den Welschen zu suchen sei. "Gleich¬
wohl, auf daß dem gemeinen Wahn ein wenig (dann ausführlich möcht mit
der Weil noch geschehen) begegnet und dem vielfältigen Verunglimpfen der
Frembden von unserm Vatterland ein Ziel geendet würde, hab ich nothalb, als
ein Freund solcher Kunst etwas zu Schutz unsrer Sachen müssen fürbringen und
des Nsreurii (Zsäuesuro. oder Friedstab einwerfen: auf daß man die Teutschen
nicht allerdings also für grob und ungeschlacht (wie etwann die römischen
Sistorioi unser Land, das sie offt nie gesehen, pflegten zu beschreiben) hielten."
So der biedere und nationalgesinnte Kunstfreund Jobin vor 300 Jahren.
Die Erfüllung seiner Hoffnung sollte indes noch hundert Jahre auf sich warten
lassen. Als dann, nachdem in den Wirren des dreißigjährigen Krieges so
manches Denkmal und viele Überlieferungen zu Grunde gegangen waren, Joachim
Sandrart in seiner pomphaften "Teutschen Akademie der edeln Bau-, Bild- und
Malereikünste" die armseligen Trümmer einer teutschen Kunsthistorie gleichsam
aus dem Staube auflas, beklagte er sich, daß ihm "von selbst erfahrener Hand
niemals genügsame Beyhülfe geschehen," und wir müssen stark bezweifeln, ob er
selbst bei einem reicheren Quellenmaterial eine wertvolle deutsche Kunstgeschichte
zu schaffen imstande gewesen wäre. Die Männer, die sich nach ihm mit dem
Stoffe in wirklich förderlicher Weise befaßten, sind an den Fingern herzuzählen:
Murr, Meusel, Fiorillo, Moeller, Heller, Förster, Schnaase, Waagen, Otte, Lotz.
In nahezu zwei Jahrhunderten zehn Namen, unter denen kaum einer von nennens¬
werter Bedeutung fehlen dürfte! Und man vergleiche nur einmal etwa Försters
traurige Deutsche Kunstgeschichte (1861) mit den dreißig Jahre früher geschriebenen
glänzenden italienischen Forschungen Numohrs! Es galt eben noch bis in die
Mitte unsers Jahrhunderts herein das Vorurteil, mit dem Heinecken 1768 sein
Vorwort zu den Nachrichten von Künstlern und Kunstsachen einleitete: "Es
wäre wohl zu wünschen, daß man von den Deutschen, meinen Landsleuten, in
Betracht der bildenden Künste sagen könnte: sie hätten wo nicht die Italiener,
Franzosen und Niederländer übertroffen, doch wenigstens es ebensoweit als sie
gebracht. Allein es ist auf keine Weise zu leugnen, daß wir unter allen oben¬
genannten Schulen, im allgemeinen Verstände zu reden, noch die schlechtesten sind."

Mit dem Aufschwünge kunstwissenschaftlicher Studien, der namentlich durch
die Anbahnung einer gesunden Methode auf historischer Grundlage sich kund-


Die neuesten Darstellungen der deutschen Aunstgeschichte.

Das Interesse für die Geschichte der deutschen Kunst, das seit den Tagen
der Romantiker geschlummert hatte, ist neuerdings wohl durch Vermittlung
des Kunstgewerbes in weitern Kreisen wieder rege geworden; aber die wissen¬
schaftliche Behandlung -hat auf sich warten lassen. Im Jahre 1573 bereits
wandte sich der Straßburger Verleger Bernhard Jobin in der Vorrede zu
den „eygenwissenlichen und wolgcdenkwürdigen Contrafcytungen oder Antlitz¬
gestaltungen der römischen Bäpst" gegen das durch Vasari hervorgerufene und
bis auf unsre Tage nicht ganz überwundene Vorurteil, als ob der Kunst
„Ursprung und beste Übung" allein bei den Welschen zu suchen sei. „Gleich¬
wohl, auf daß dem gemeinen Wahn ein wenig (dann ausführlich möcht mit
der Weil noch geschehen) begegnet und dem vielfältigen Verunglimpfen der
Frembden von unserm Vatterland ein Ziel geendet würde, hab ich nothalb, als
ein Freund solcher Kunst etwas zu Schutz unsrer Sachen müssen fürbringen und
des Nsreurii (Zsäuesuro. oder Friedstab einwerfen: auf daß man die Teutschen
nicht allerdings also für grob und ungeschlacht (wie etwann die römischen
Sistorioi unser Land, das sie offt nie gesehen, pflegten zu beschreiben) hielten."
So der biedere und nationalgesinnte Kunstfreund Jobin vor 300 Jahren.
Die Erfüllung seiner Hoffnung sollte indes noch hundert Jahre auf sich warten
lassen. Als dann, nachdem in den Wirren des dreißigjährigen Krieges so
manches Denkmal und viele Überlieferungen zu Grunde gegangen waren, Joachim
Sandrart in seiner pomphaften „Teutschen Akademie der edeln Bau-, Bild- und
Malereikünste" die armseligen Trümmer einer teutschen Kunsthistorie gleichsam
aus dem Staube auflas, beklagte er sich, daß ihm „von selbst erfahrener Hand
niemals genügsame Beyhülfe geschehen," und wir müssen stark bezweifeln, ob er
selbst bei einem reicheren Quellenmaterial eine wertvolle deutsche Kunstgeschichte
zu schaffen imstande gewesen wäre. Die Männer, die sich nach ihm mit dem
Stoffe in wirklich förderlicher Weise befaßten, sind an den Fingern herzuzählen:
Murr, Meusel, Fiorillo, Moeller, Heller, Förster, Schnaase, Waagen, Otte, Lotz.
In nahezu zwei Jahrhunderten zehn Namen, unter denen kaum einer von nennens¬
werter Bedeutung fehlen dürfte! Und man vergleiche nur einmal etwa Försters
traurige Deutsche Kunstgeschichte (1861) mit den dreißig Jahre früher geschriebenen
glänzenden italienischen Forschungen Numohrs! Es galt eben noch bis in die
Mitte unsers Jahrhunderts herein das Vorurteil, mit dem Heinecken 1768 sein
Vorwort zu den Nachrichten von Künstlern und Kunstsachen einleitete: „Es
wäre wohl zu wünschen, daß man von den Deutschen, meinen Landsleuten, in
Betracht der bildenden Künste sagen könnte: sie hätten wo nicht die Italiener,
Franzosen und Niederländer übertroffen, doch wenigstens es ebensoweit als sie
gebracht. Allein es ist auf keine Weise zu leugnen, daß wir unter allen oben¬
genannten Schulen, im allgemeinen Verstände zu reden, noch die schlechtesten sind."

Mit dem Aufschwünge kunstwissenschaftlicher Studien, der namentlich durch
die Anbahnung einer gesunden Methode auf historischer Grundlage sich kund-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0141" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/203576"/>
          <fw type="header" place="top"> Die neuesten Darstellungen der deutschen Aunstgeschichte.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_311"> Das Interesse für die Geschichte der deutschen Kunst, das seit den Tagen<lb/>
der Romantiker geschlummert hatte, ist neuerdings wohl durch Vermittlung<lb/>
des Kunstgewerbes in weitern Kreisen wieder rege geworden; aber die wissen¬<lb/>
schaftliche Behandlung -hat auf sich warten lassen. Im Jahre 1573 bereits<lb/>
wandte sich der Straßburger Verleger Bernhard Jobin in der Vorrede zu<lb/>
den &#x201E;eygenwissenlichen und wolgcdenkwürdigen Contrafcytungen oder Antlitz¬<lb/>
gestaltungen der römischen Bäpst" gegen das durch Vasari hervorgerufene und<lb/>
bis auf unsre Tage nicht ganz überwundene Vorurteil, als ob der Kunst<lb/>
&#x201E;Ursprung und beste Übung" allein bei den Welschen zu suchen sei. &#x201E;Gleich¬<lb/>
wohl, auf daß dem gemeinen Wahn ein wenig (dann ausführlich möcht mit<lb/>
der Weil noch geschehen) begegnet und dem vielfältigen Verunglimpfen der<lb/>
Frembden von unserm Vatterland ein Ziel geendet würde, hab ich nothalb, als<lb/>
ein Freund solcher Kunst etwas zu Schutz unsrer Sachen müssen fürbringen und<lb/>
des Nsreurii (Zsäuesuro. oder Friedstab einwerfen: auf daß man die Teutschen<lb/>
nicht allerdings also für grob und ungeschlacht (wie etwann die römischen<lb/>
Sistorioi unser Land, das sie offt nie gesehen, pflegten zu beschreiben) hielten."<lb/>
So der biedere und nationalgesinnte Kunstfreund Jobin vor 300 Jahren.<lb/>
Die Erfüllung seiner Hoffnung sollte indes noch hundert Jahre auf sich warten<lb/>
lassen. Als dann, nachdem in den Wirren des dreißigjährigen Krieges so<lb/>
manches Denkmal und viele Überlieferungen zu Grunde gegangen waren, Joachim<lb/>
Sandrart in seiner pomphaften &#x201E;Teutschen Akademie der edeln Bau-, Bild- und<lb/>
Malereikünste" die armseligen Trümmer einer teutschen Kunsthistorie gleichsam<lb/>
aus dem Staube auflas, beklagte er sich, daß ihm &#x201E;von selbst erfahrener Hand<lb/>
niemals genügsame Beyhülfe geschehen," und wir müssen stark bezweifeln, ob er<lb/>
selbst bei einem reicheren Quellenmaterial eine wertvolle deutsche Kunstgeschichte<lb/>
zu schaffen imstande gewesen wäre. Die Männer, die sich nach ihm mit dem<lb/>
Stoffe in wirklich förderlicher Weise befaßten, sind an den Fingern herzuzählen:<lb/>
Murr, Meusel, Fiorillo, Moeller, Heller, Förster, Schnaase, Waagen, Otte, Lotz.<lb/>
In nahezu zwei Jahrhunderten zehn Namen, unter denen kaum einer von nennens¬<lb/>
werter Bedeutung fehlen dürfte! Und man vergleiche nur einmal etwa Försters<lb/>
traurige Deutsche Kunstgeschichte (1861) mit den dreißig Jahre früher geschriebenen<lb/>
glänzenden italienischen Forschungen Numohrs! Es galt eben noch bis in die<lb/>
Mitte unsers Jahrhunderts herein das Vorurteil, mit dem Heinecken 1768 sein<lb/>
Vorwort zu den Nachrichten von Künstlern und Kunstsachen einleitete: &#x201E;Es<lb/>
wäre wohl zu wünschen, daß man von den Deutschen, meinen Landsleuten, in<lb/>
Betracht der bildenden Künste sagen könnte: sie hätten wo nicht die Italiener,<lb/>
Franzosen und Niederländer übertroffen, doch wenigstens es ebensoweit als sie<lb/>
gebracht. Allein es ist auf keine Weise zu leugnen, daß wir unter allen oben¬<lb/>
genannten Schulen, im allgemeinen Verstände zu reden, noch die schlechtesten sind."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_312" next="#ID_313"> Mit dem Aufschwünge kunstwissenschaftlicher Studien, der namentlich durch<lb/>
die Anbahnung einer gesunden Methode auf historischer Grundlage sich kund-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0141] Die neuesten Darstellungen der deutschen Aunstgeschichte. Das Interesse für die Geschichte der deutschen Kunst, das seit den Tagen der Romantiker geschlummert hatte, ist neuerdings wohl durch Vermittlung des Kunstgewerbes in weitern Kreisen wieder rege geworden; aber die wissen¬ schaftliche Behandlung -hat auf sich warten lassen. Im Jahre 1573 bereits wandte sich der Straßburger Verleger Bernhard Jobin in der Vorrede zu den „eygenwissenlichen und wolgcdenkwürdigen Contrafcytungen oder Antlitz¬ gestaltungen der römischen Bäpst" gegen das durch Vasari hervorgerufene und bis auf unsre Tage nicht ganz überwundene Vorurteil, als ob der Kunst „Ursprung und beste Übung" allein bei den Welschen zu suchen sei. „Gleich¬ wohl, auf daß dem gemeinen Wahn ein wenig (dann ausführlich möcht mit der Weil noch geschehen) begegnet und dem vielfältigen Verunglimpfen der Frembden von unserm Vatterland ein Ziel geendet würde, hab ich nothalb, als ein Freund solcher Kunst etwas zu Schutz unsrer Sachen müssen fürbringen und des Nsreurii (Zsäuesuro. oder Friedstab einwerfen: auf daß man die Teutschen nicht allerdings also für grob und ungeschlacht (wie etwann die römischen Sistorioi unser Land, das sie offt nie gesehen, pflegten zu beschreiben) hielten." So der biedere und nationalgesinnte Kunstfreund Jobin vor 300 Jahren. Die Erfüllung seiner Hoffnung sollte indes noch hundert Jahre auf sich warten lassen. Als dann, nachdem in den Wirren des dreißigjährigen Krieges so manches Denkmal und viele Überlieferungen zu Grunde gegangen waren, Joachim Sandrart in seiner pomphaften „Teutschen Akademie der edeln Bau-, Bild- und Malereikünste" die armseligen Trümmer einer teutschen Kunsthistorie gleichsam aus dem Staube auflas, beklagte er sich, daß ihm „von selbst erfahrener Hand niemals genügsame Beyhülfe geschehen," und wir müssen stark bezweifeln, ob er selbst bei einem reicheren Quellenmaterial eine wertvolle deutsche Kunstgeschichte zu schaffen imstande gewesen wäre. Die Männer, die sich nach ihm mit dem Stoffe in wirklich förderlicher Weise befaßten, sind an den Fingern herzuzählen: Murr, Meusel, Fiorillo, Moeller, Heller, Förster, Schnaase, Waagen, Otte, Lotz. In nahezu zwei Jahrhunderten zehn Namen, unter denen kaum einer von nennens¬ werter Bedeutung fehlen dürfte! Und man vergleiche nur einmal etwa Försters traurige Deutsche Kunstgeschichte (1861) mit den dreißig Jahre früher geschriebenen glänzenden italienischen Forschungen Numohrs! Es galt eben noch bis in die Mitte unsers Jahrhunderts herein das Vorurteil, mit dem Heinecken 1768 sein Vorwort zu den Nachrichten von Künstlern und Kunstsachen einleitete: „Es wäre wohl zu wünschen, daß man von den Deutschen, meinen Landsleuten, in Betracht der bildenden Künste sagen könnte: sie hätten wo nicht die Italiener, Franzosen und Niederländer übertroffen, doch wenigstens es ebensoweit als sie gebracht. Allein es ist auf keine Weise zu leugnen, daß wir unter allen oben¬ genannten Schulen, im allgemeinen Verstände zu reden, noch die schlechtesten sind." Mit dem Aufschwünge kunstwissenschaftlicher Studien, der namentlich durch die Anbahnung einer gesunden Methode auf historischer Grundlage sich kund-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/141
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 47, 1888, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341847_203434/141>, abgerufen am 22.07.2024.